Bayreuth Baroque

Raritäten im Barockjuwel

Das Festival unter der Leitung von Max Emanuel Cencic wartet in seinem zweiten Jahr einmal mehr mit hochklassigen Künstler:innen auf

Klaus Kalchschmid • 14. September 2021

Konzertante Opern in prächtiger Kulisse: Francesco Corti leitet das Ensemble Il Pomo d’oro © bayreuth.media

Letztes Jahr gab es zwar keine Bayreuther Wagner-Festspiele, aber doch ein wunderbares anderes Festival in der oberfränkischen Stadt: Erstmals bespielte Bayreuth Baroque damals im September eine Woche lang das gerade wunderbar restaurierte und in feinen Pastellfarben schimmernde, größte und schönste erhaltene Barocktheater Europas, das Opernhaus der Markgräfin Wilhelmine, erbaut ganz aus Holz und Leinwand in nur vier Jahren für die Hochzeit ihrer Tochter im Jahr 1748, bespielte.

Nicola Porporas «Carlo il Calvo» konnte in fesselnder Inszenierung des Festival-Leiters Max Emanuel Cencic, der das Geschehen mit großem Effekt nach Chile und in die 1920-er Jahre verlegte sowie eine der männlichen Hauptrollen sang, trotz Pandemie-Bedingungen ungekürzt in fünf Stunden mit zwei Pausen über die Bühne gehen. Franco Fagioli und Julia Lezhneva waren das fulminante junge Liebespaar. Heuer wurde die Produktion wieder aufgenommen und ist noch bis 8. Oktober auf Arte Concert zu sehen. 

Außerdem gab es in diesem Jahr, konzertant, eine weitere Porpora-Oper: «Polifemo», ebenfalls mit Cencic, aber vor allem mit Julia Lezhneva und Yuriy Mynenko als Aci und Galathea. Wie raffiniert erotisch Lezhneva ihre Koloraturen abschmeckt und herrlich ausladende Kadenzen genüsslich und doch immer stilsicher ausformuliert, das ist Barockgesang „at its best“. Auch der russische Countertenor präsentierte sich von seiner besten Seite als klangschöner, differenziert ausdrucksvoller Gestalter. 

Jakub Józef Orliński singt Raritäten © bayreuth.media

Jakub Józef Orliński, der polnische Counter-Shooting-Star und professionelle Breakdancer gab sich ebenfalls die Ehre und begrüßte das Publikum „in this beautiful Theatre“ mit „Hello Everybody and Hallöchen!“ Was folgte, war ein berückend intimes Programm mit Repertoire, das unter anderem auf der im Oktober erscheinenden CD „Anima Aeterna“ des 30-Jährigen enthalten ist – als Fortsetzung seines ersten Albums „Anima Sacra“ von 2018, das er ebenfalls geistlicher Musik des frühen 18. Jahrhundert gewidmet hatte.

Jetzt sang er mit dem feinen, kleinen Barock-Orchester Il Pomo d’oro unter Leitung von Francesco Corti Raritäten aus Oratorien von heute so wenig bekannten Komponisten wie Georg Reutter der Jüngere («La Betulia liberata») oder Francisco António de Almeida («La Giuditta»). Oftmals erst in den zauberhaft schön und souverän verzierten Wiederholungen des ersten Teils dieser Dacapo-Arien kamen er und die Musik so richtig zu sich selbst. Dann durfte man wieder staunen über diese so charakteristisch weiche und doch immer männlich klingende, überaus schöne Altstimme. Sie gab den Marien-Ariettas eines Francesco Bartolomeo Conti oder Antonio Lotti und seiner Lieblingsarie „Non t’amo per il ciel“ von Johann Josef Fux zur Begleitung einer seltenen Viola di bordone eine berückend keusche Sinnlichkeit. 

Dennoch hätte man sich auch mal ein wenig vom theatralisch effektvollen Furor gewünscht, mit dem tags darauf sein 40-jähriger Counter-Kollege, der Argentinier Franco Fagioli, in seiner Gala mit Opernarien von Leonardo Vinci das Opernhaus rockte. Einmal gab es mit „A che si serbano“ aus «Maria Vergine al Calvario» von Gaetano Maria Schiassi dann doch eine dramatisch aufgeladene Furor-Arie, die Orlinski denn auch am Ende wiederholte, sowie noch den ersten Track aus „Anima Sacra“ zugab: Nicola Fagos „Alla gente a Dio diletta“ von 1709. Hier legte er, auswendig singend, all die leichten Hemmungen ab, die zuvor das Vergnügen ein wenig getrübt hatten. Da wagte er auch endlich ein strahlendes Forte in der Höhe!

Nicht wenige Damen – und sicher auch ein paar junge Männer – warteten danach leider vergeblich auf den schon fast acht millionenmal geklickten, überaus charmanten Youtube-Hit: Antonio Vivaldis „Il mio diletto“, aufgenommen im Freien in Aix-en-Provence. Da steht Orlinski unrasiert, wuschelhaarig, in kurzer Hose und kariertem Hemd neben dem Flügel, an dem sein Pianist in Flipflops sitzt, und singt denkbar verführerisch! In «Moffie», dem großartigen, schwulen Soldaten-Drama aus Südafrika von 2019 ist der Clip bereits zur Filmmusik geworden.

Mehrere Konzerte des hochkarätigen Festivals sind „on demand“ oder im Fernsehen zu sehen. So wird die Vinci-Gala am 3. Oktober auf ARD-Alpha gesendet; der charmant präsentierte bunte Abend mit „Barock-Lady Gaga“ Simone Kermes unter dem Titel «Canzonetta d’amore» ist bis Anfang Oktober Arte Concert zu sehen, und auch «Polifemo» kann man noch über BR Klassik als Video-Stream zu erleben.

Im nächsten Jahr gibt es am 8. September die Premiere von Leonardo Vincis «Allessandro nell’Indie» in der Regie von Max Emanuel Cencic. Zehn Jahre nach Vincis «Artaserse» mit fünf Countertenören wird die Oper über den Indienfeldzug Alexanders des Großen ebenfalls in reiner Männer-Besetzung gespielt, wie sie damals in Rom üblich war. Darunter sind Franco Fagioli und der Sopranist Bruno de Sá. Erstmals seit der Uraufführung im Jahr 1730 wird das Werk dann wieder vollständig zu erleben sein.


Bayreuth Baroque