• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 12 | Frühling 2019
  • S. 33

Komponistenporträt

José Vianna da Motta

Der letzte Schüler

Text: Monika Jaroš

In: Magazin Klassik, # 12 | Frühling 2019, Radio Klassik Stephansdom, S. 33 [Hörermagazin]

Bei Wunderkindern, die bereits mit fünf oder sechs Jahren öffentlich auftreten, ist man, genauso wie jene Dame gegenüber Jascha Heifetz, versucht zu fragen: „Und vorher? Was haben Sie da gemacht? Nur gebummelt?“ Gebummelt hat der portugiesische Pianist, Dirigent und Komponist José Vianna da Motta sicher nie. Schon in den frühesten Beschreibungen heißt es, er sei reif, abgeklärt und gewissenhaft. Mit 19, also in seinen wildesten Teenagertagen, urteilte er nüchtern über sich: „Ich bin nie übermütig, meistens heiter, immer ernst, manchmal traurig.“ Kaum zu glauben, dass dieser so kühl wirkende Künstler 1868 in eine der heißesten Regionen der Welt hin eingeboren wurde, auf die afrikanische Insel São Tomé. Doch schon mit sechs Jahren findet man den eifrigen Schüler am Lissabonner Konservatorium, mit 14 am Scharwenka-Institut in Berlin. Die wichtigsten Momente seiner Ausbildung verlebt er jedoch 1885 in Weimar bei Liszt und 1887 in Frankfurt bei Bülow. Zeitlebens deren treuer Adept, lieferte er sowohl mit seinen Erinnerungen an diese Ausnahmekünstler sowie durch seine Mitarbeit an der ersten Liszt-Gesamtausgabe einen unschätzbaren Beitrag zur Musikgeschichte.

In den folgenden Jahren konzertierte der gefeierte Bach-, Beethoven- und Liszt-Interpret in Europa und Amerika, u. a. gemeinsam mit Sarasate, Casals, Amalie Joachim und Ferruccio Busoni. Letzterer widmete seinem Freund nicht nur seine Bach-Transkriptionen, sondern schrieb ihm auch die eine oder andere Kadenz in die geübten Finger. Bei all dem blieb Berlin sein ständiger Lebensmittelpunkt – bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Der von seiner Gesinnung her durch und durch Deutsche galt plötzlich als Ausländer. Um Ressentiments zu entgehen, übernahm er in der Schweiz die Klavier-Meisterklasse des kurz zuvor verstorbenen Bernhard Stavenhagen, bevor es ihn 1917 zurück in die – eigentlich recht fremde – Heimat zog, wo er rasch eine fieberhafte Tätigkeit entfaltete. Als Direktor des Lissabonner Konservatoriums reformierte er zwischen 1919 und 1938 den hiesigen Lehrplan, leitete als Chefdirigent des Lissabonner Sinfonieorchesters portugiesische Erstaufführungen wie jene von Brahms’ Dritter Symphonie oder Berlioz’ „Roméo et Juliette“, begründete den Lissabonner Konzertverein und wurde mit eigenen Werken (Symphonie „À Patria“, „Três Scenas Portuguezas“) selbst zu einer Gallionsfigur der portugiesischen Nationalmusik. Mag er im Leben auch etwas unscheinbar gewesen sein, bedeutete sein Tod dennoch eine Zäsur. Mit Vianna da Motta starb 1948 der letzte damals noch lebende Schüler des wohl größten Virtuosen des 19. Jahrhunderts: Franz Liszt. Es war das Ende einer Ära.


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