- PROspekt
- Theater Erfurt
- # 1 | September-November 2016
- S. 27
Psst! Über die fünf Phasen einer Beziehung - zum Regisseur
Text: Viktoria Knuth
In: PROspekt, # 1 | September-November 2016, Theater Erfurt, S. 27 [Publikumszeitschrift]
Als Regieassistentin frage ich mich manchmal, ob ich einen Arbeits- oder Ehevertrag unterschrieben habe. Während der Probenphase ist der Regisseur nämlich nicht nur arbeitstechnisch, sondern auch künstlerisch und sogar emotional meine temporäre Bezugsperson. Zwischen acht und dreizehn Stunden täglich bin ich dann mit diesem special someone zusammen – das ist mehr, als manche Partnerschaft aushält. Meine letzten emotional aufreibenden Erlebnisse dieser Art haben mich nachdenklich gemacht: Gibt es vielleicht auch in der Beziehung des Regieassistenten zu seinem Regisseur bestimmte Phasen, die sich in jeder Produktion wiederholen?
1. Die große Idealisierung
Das Konzeptionsgespräch – der Beginn
der szenischen Probenphase – ist meistens
der Moment, in dem ich dem Regisseur
zum ersten Mal gegenüber stehe. Mit dem
ersten festen Händedruck und tiefen Blick
in die Augen bin ich noch hoch optimistisch. Alle seine Ideen klingen genial, seine
Ausdrucksweise ist fesselnd und witzig,
seine Erläuterungen schlüssig. Wir
schwimmen auf einer Welle von Vorfreude
und dem Gefühl, die selben Ideale zu vertreten. Dies wird die beste Probenzeit und
die beste Produktion, die Erfurt und die
Welt je gesehen haben!
2. Abschied von der rosaroten Brille
Nach spätestens einer Probenwoche ziehen
die ersten grauen Wolken auf. Die Kommunikation mit dem Regisseur läuft nicht
wie geschmiert. Manchmal weiß ich nicht
einmal, welche Sprache er gerade zu sprechen versucht. Ich fand doch seinen spanischen Akzent anfangs so charmant und
seine Suche nach den richtigen Worten so
niedlich – jetzt verstehe ich nur noch
Bahnhof. Keine guten Voraussetzungen
für einen Job, in dem man den ganzen Tag
erklären, erläutern und wieder erklären
muss. Dies wird vielleicht doch nicht die
beste Produktion, aber immerhin eine
ganz gute!
3. Im Alltag angekommen
Eine Woche später haben wir uns einigermaßen aufeinander eingespielt. Ich kenne
seine Launen und versuche sie freundlich
zu umschiffen. Ich weiß, wie er seinen Kaffee trinkt und ich kenne all seine Lebensmittelunverträglichkeiten. Ich schicke ihn
sogar ins Bett, damit er endlich aufhört,
neue Ideen zu haben. Im schlimmsten Fall
kann er aber trotz allem nicht schlafen,
schaut einen dreistündigen total inspirierenden Kunstfilm und will deswegen am
nächsten Morgen eine der größten Szenen
des Stücks umstellen. Die Produktion
könnte gut oder schlecht werden – welche
Änderung war nochmal die letztgültige?
4. Die große Auseinandersetzung
Die Endproben können fatal sein. Wenn
man endlich im Originalbühnenbild steht,
fällt dem Regisseur manchmal wie Schuppen von den Augen, dass er riesige konzeptionelle Fehler gemacht hat. Als Profi weiß
er aber genau, wer Schuld daran ist. Ich.
Die Assistentin. Denn ich habe ihn die Fehler machen lassen. Wenn ich dann noch
schlechte Nachrichten überbringen muss,
reagiert der mittlerweile nervöse Regisseur
ungehalten. Mit „ungehalten“ meine ich,
er beschimpft mich stellvertretend für den
Rest der Welt, der ihn boykottieren will,
mit Kraftausdrücken. Keine Ahnung, wie
die Produktion wird. Ich gehe mal schnell
Urlaub einreichen.
5. Trennung und Neuanfang
Während der Endproben habe ich eine
Strichliste über die Tage bis zur Premiere
geführt. Jetzt ist es soweit. Trotz wüster Beschimpfungen im Vorfeld kann es an diesem
letzten Tag des Zusammenseins zu spontanen Versöhnungen, Treueschwüren und
Verehrungsgeständnissen kommen. Auch
Tränen sind keine Seltenheit. Zum Glück
kann nicht nachgewiesen werden, ob sie aus
Trauer oder Freude fließen. Das macht aber
nichts, auf der Premierenfeier proste ich
ihm ein allerletztes Mal zu (von Weitem,
versteht sich) und träume schon davon, dass
beim nächsten Mal alles viel viel besser wird.
Viktoria Knuth ist seit der Spielzeit 2015/16 als Regieassistentin am Theater Erfurt engagiert. Sie hat Spaß an Geschichten auf und hinter der Bühne.
Und sie erzählt am liebsten von denen, die dem Theaterpublikum verborgen bleiben sollen. Mit der Inszenierung Onkel Tschang gab sie in der vergangenen Spielzeit ihr Debüt als Regisseurin. In der Spielzeit 2016/17 wird sie Benjamin Brittens The Turn of the Screw für die Studiobühne inszenieren.
- Quelle:
- PROspekt
- Theater Erfurt
- # 1 | September-November 2016
- S. 27
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