• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Saison 2014/2015, Mai-Juli
  • S. 8-9

Man ist dazu da, dass man’s ertragt

Text: Norbert Abels

In: Magazin, Saison 2014/2015, Mai-Juli, Oper Frankfurt, S. 8-9 [Publikumszeitschrift]

»Es waren Typen«, schreibt Hofmannsthal rückblickend auf die musikalische Komödie, »die zu individualisieren der ausführenden Feder vorbehalten blieb. Aus dem ewig typischen Verhältnis der Figuren zueinander entsprang die Handlung, fast ohne dass man wusste, wie.« Dieses Verhältnis als Schema der inneren Motive sei erst »das Eigentliche«, belehrt bereits im Mai 1911 der Librettist den Tonsetzer. Alles andere, Zeitkolorit, Zeremoniell, Dialekt, sei bloß um das Eigentliche herum gebaut. »Die Schnörkeln dürfen von zwei Leuten, die etwas können, zwar nicht gering geschätzt werden, können aber die Hauptsache nicht ersetzen«, heißt es abschließend in dem Brief.

Die Hauptsache? Die Silberrose ist eine Erfindung des Dichters, ausgedacht für ein Leben auf der Bühne. Ihre Überreichung vollzieht sich im festlichsten Augenblick. Nur ein Halbtonschritt von G-Dur hinunter nach Fis-Dur genügt dem Komponisten, um in eine verzauberte Welt zu gelangen, worin die wie Blüten niedersinkenden Celesta-Akkorde das hochheilige Paradies ewiger Liebe heraufbeschwören. Ein Wunschbild sondergleichen, aufs Äußerste indes flankiert und dementiert von der Wirklichkeit. Eine gewaltige Polarität tut sich auf. Da wird auf der Folie von sozialem Aufstiegsdrang und Besitzgier das junge Mädchen ausgebotet und verschachert. Dagegen nimmt sich der im Medium der Gesangskunst ausgetragene Männerwettbewerb der Wagner’schen Meister um die schöne Eva nachgerade nobel aus. Die Hauptsache aber ist die Rosenüberreichungsszene, die märchenhaft im Zentrum der Oper steht und die gemeine Wirklichkeit weit hinter sich lässt, dennoch nicht.

Die Zeit, ihre Fragilität und Unbestimmtheit, ihre Relativität und ihre Gegensätzlichkeit als empfundene und als objektive physikalische Einheit ist vielmehr das Thema der zweiten Zusammenarbeit von Strauss und Hofmannsthal. Alle anderen Aspekte, darunter die Treue, die Begierde, das Zeitkolorit und das Gefälle des Sozialen, das Faunsgesicht des Lüstlings und das Knabenantlitz des Boten, die ganze weitausholende Welt der Bezüge und Analogien also, dienen ihm.

Die Feldmarschallin von Werdenberg, in deren Namen bereits die Male des Vergänglichen und die des Bleibenden eingraviert sind, ist die Gestalt, die dieses Gravitationszentrum verkörpert. In ihr fließt zusammen, was etwa in Elektra und Chrysothemis, später in Ariadne und Zerbinetta, Kaiserin und Färberin oder wahrer und illusionärer Helena als getrennte Wesen die Bühne betritt. Eine Gestalt, die sich das Zukünftige als Erinnerung und das Vergangene als Blick auf das Kommende auszumalen versteht, das Typische im Singulären und das Besondere im Allgemeinen zu erahnen versteht. Sie ist als Figur der Handlung auch deren Inszenierung. Man sollte sie sich als einen Menschen vorstellen, der jenseits von aller melancholischen Weisheit das Mysterium des ewigen Werdens und Vergehens erfährt und wie Molly Bloom am Ende des Ulysses den Lauf der Dinge mit einem tiefen »Ja« freigibt. Das »Ja« zum Seienden, zur »ewigen Sanduhr des Daseins«, um ein Wort Nietzsches zu gebrauchen. Die Marschallin, gleich zu Beginn als sinnliche, den Liebesakt noch nachspürende Frau introduziert, weiß zugleich vom Ende aller auf Ewigkeit ausgerichteten Lust. Man kann sie sich vorstellen als einen Menschen, der – aus welchen Gründen auch immer – ahnt, dass auch die eigenen Tage gezählt sind.

Welten scheinen zwischen den schmerzerfüllten Dissonanzen der Elektra und der silbernen Traumwirklichkeitsmusik der märchenhaften Rosenüberreichungsszene zu stehen. Es waren aber, fast auf den Tag genau, nur zwei Jahre, die die Uraufführungsdaten der zwei Meisterwerke trennten. Dem Tragischen folgt gerne das Komische. Der Rosenkavalier sollte ganz in diesem faunisch-dionysischen, ja satyrhaften Sinne ursprünglich einmal Ochs von Lerchenau heißen. Manchmal aber vermischen sich beide Farben und es destilliert sich das Tragikomische daraus. Dann erlauschen wir hinter den heiteren Walzerklängen aus der Wienerstadt den Klang der Einsamkeit und der Gewissheit des Verlassenwerdens. Wir erkennen, dass es sinnlos ist, inmitten durchwachter Nächte die Uhren anzuhalten, um dem unaufhaltsamen Lauf der Dinge Paroli zu bieten. Strauss hat dem wiederum tonmalerisch mit einem Moment absoluter Stille nachgespürt. Wir erfahren erschrocken den tiefen Gegensatz zwischen unserer inneren Zeitempfindung und dem stur weiterschreitenden Chronometer da draußen, der sich um unseren Seelenzustand einen Kehricht schert. Gleichwohl, so belehrt uns Marie Therese, die Fürstin von Werdenberg, solle man sich am Ende auch vor ihr, der Zeit, nicht fürchten, denn auch sie sei »ein Geschöpf des Vaters, der uns alle erschaffen hat«. Ein Gedanke, den im gleichen aufgeklärten Jahrhundert Leibniz bereits vorgegeben hatte, indem er seiner Leserschaft den lieben Gott als einen Uhrmacher und die Welt als dessen gleichförmig tickende Schöpfung präsentierte. 

Der nimmersatte Eros und die zwischen den Fingern zerlaufende Zeit, die auf Ewigkeit plädierende Lust und die Endlichkeit der Liebe, die Erfahrung eben, dass alles gleitet und vorüberrinnt – das sind die von der Musik wundersam synthetisierten Grundelemente der zweiten und wohl erfolgreichsten Oper von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Eine tiefe Einheit von Dauer und Wandel entsteht dabei. In Hofmannsthals den Gegensatz vereinigenden Worten: »Es ist augenblicklich und ewig.« Die Auflösung des Gegensatzes vollzieht sich hier in einer einzigen Figur, der Marschallin. Ihr gelingt es, in der Betrachtung ihres eigenen Spiegelbildes, den Zukunftsblick auf ihre eigene gebrechlich gewordene Erscheinung zu synchronisieren mit dem Rückblick auf ihre Kindheit: »Kann mich auch an ein Mädel erinnern, die frisch aus dem Kloster ist in den heiligen Eh’stand kommandiert word’n.« Aber ebenso: »Dass ich auch einmal die alte Frau sein werd!… Die alte Frau, die alte Marschallin!« Es gibt keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn einer Welt des ewigen Vergehens. Es gibt gleichwohl dazu eine Haltung. Tief und leicht zugleich formuliert sie die Marschallin mit den Worten: »Und man ist dazu da, dass man’s ertragt. Und, in dem ›Wie‹ da liegt der ganze Unterschied.«


Christiane Karg

Die Sopranistin Christiane Karg kehrt in der Rolle der Sophie, die sie kürzlich in Antwerpen, Gent sowie an der Semperoper Dresden gesungen hat, an die Oper Frankfurt zurück. Von 2008 bis 2013 gehörte die international äußerst begehrte Künstlerin dem Frankfurter Ensemble an und debütierte hier zuletzt als Mélisande, in der sie danach an der Staatsoper Hamburg zu sehen war. Weitere Triumphe in Frankfurt waren u.a. Adele in Die Fledermaus, Susanna in Die Hochzeit des Figaro, die Titelpartie in Cavallis La Calisto, Créuse (Charpentiers Médée), Pamina (Die Zauberflöte), Zdenka (Arabella), Servilia (La clemenza di Tito) und Flora (The Turn of the Screw).

Regelmäßige Gastengagements verbinden Christiane Karg, deren Laufbahn im Internationalen Opernstudio der Hamburgischen Staatsoper begann, mit dem Theater an der Wien, der Komischen Oper Berlin, dem Glyndebourne Festival (zuletzt als Sandrina in Mozarts La finta giardiniera) und den Salzburger Festspielen. Im Februar diesen Jahres feierte sie ihr Debüt als Pamina in Die Zauberflöte am Royal Opera House Covent Garden, im September 2015 wird sie als Susanna an der Lyric Opera in Chicago gastieren. Neben ihrer regen Opern- und Konzerttätigkeit widmet sie sich mit Leidenschaft dem Liedgesang – so z.B. 2012/13 in der Liederabend-Reihe an der Oper Frankfurt. Ihre Solo-CD Verwandlung (Lieder eines Jahres) wurde mit der Verleihung des »Echo Klassik« gewürdigt. Nach ihrer CD Amoretti (Berlin Classics) erschien jüngst Heimliche Aufforderung mit unterschiedlichsten Liedern von Richard Strauss. 2009 wurde die Sopranistin – u.a. für ihre Interpretation des Ighino in Pfitzners Palestrina an der Bayerischen Staatsoper München – von Kritikern der »Opernwelt« zur »Nachwuchskünstlerin des Jahres« gewählt. Weitere Auszeichnungen erhielt Christiane Karg u.a. bei den renommierten Gesangswettbewerben »Neue Stimmen« in Gütersloh und »Francisco Viñas« in Barcelona (Sonderpreis). 

»In meinem musikalischen Leben nimmt Richard Strauss einen sehr wichtigen Platz ein: Er ist für mich neben Mozart meine zweite Basis, darum habe ich Strauss auch meine letzte CD Heimliche Aufforderung gewidmet. In den nächsten Jahren werde ich mich zu meiner großen Freude mit einer ganzen Reihe von Strauss-Partien beschäftigen. Aufgrund dieser intensiven Auseinandersetzung mit seinen Opernrollen erschließt sich mir erstaunlicherweise auch das Liedrepertoire — eine Wechselwirkung, die ebenso im umgekehrten Fall zu beobachten ist.«


Clive Bayley

Als das personifizierte Böse, als Sadist und Peiniger stellte sich der Brite einst in der Rolle des John Claggart in Benjamin Brittens umjubelter Billy Budd-Inszenierung dem Frankfurter Publikum vor. Es folgten Engagements in den Übernahmevorstellungen an der Nederlandse Opera Amsterdam und in Göteborg. In Frankfurt trat er 2012/13 als General in Harry Kupfers Der Spieler und als Dossifei in Chowanschtschina auf. Nach seinem Gastspiel als Komtur in Bergen gibt Clive Bayley in Claus Guths Der Rosenkavalier nun sein Rollendebüt als Ochs auf Lerchenau. Nachdem die Interpretation des Claggart dem stimmgewaltigen Bass bereits während seines Studiums den ersten Kontakt zu seinem Agenten eingebracht hatte, war ihm der Erfolg in Frankfurt sicher. Obwohl er sich als »schlechten Selbstvermarkter« beschreibt, hat sich in seiner Karriere ein Engagement an das nächste gereiht, was nicht zuletzt seiner flexiblen Stimme geschuldet ist, mit der er sowohl das Bariton-Register als auch die tiefen Basspartien bewältigt. 

Über Clive Bayley lässt sich mit Sicherheit sagen, dass er in keine Schublade passt: weit gefächert ist sein Repertoire, das sich vom Barock über Mozart und Verdi bis hin zu Wagner und zeitgenössischen Partien spannt. Sein phänomenales Können fußt auf keiner Hochglanzkarriere, die unter der Protektion eines großen CD-Labels forciert wurde, sondern auf seinem Talent und einer hervorragenden Ausbildung am Royal Northern College of Music in Manchester sowie am National Opera Studio in London. Seine Stimme wurde von einem Musiklehrer in der Schule erkannt, der den Jungen sachte auf die Möglichkeit einer professionellen Gesangsausbildung aufmerksam machte. Das Elternhaus (der Vater ein ehemaliger Akrobat, die Mutter Balletttänzerin) begrüßte diese Entwicklung.

Nach Clive Bayleys Debüt am Royal Opera House Covent Garden als Zweiter Gefangener in Fidelio interpretierte er dort unter anderem Colline (La Bohème), Hans Foltz (Die Meistersinger von Nürnberg) und Hunding (Die Walküre). Außerdem war er in der Weltpremiere von Harrison Birtwistles Gawain zu erleben. Mittlerweile hat er nahezu sämtliche bedeutenden Partien seines Fachs interpretiert. Zahlreiche internationale Engagements führten den Sänger an die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf, zum Glyndebourne Festival, zu den Bregenzer Festspielen und an die Opernhäuser in Amsterdam, Kopenhagen, San Francisco, Genf, Seattle und Lissabon. An der Bayerischen Staatsoper in München war Clive Bayley u.a. als Arkel (Pelléas et Mélisande), Doktor (Wozzeck) und Titurel (Parsifal) zu hören. Außerdem sang er an der Opéra National du Rhin in Straßburg Fasolt in David McVicars Das Rheingold. An der English National Opera London war er als Die Bösewichter in einer Neuproduktion von Les Contes d’Hoffmann und als Daland (Der fliegende Holländer) zu hören.

Zudem ist Clive Bayley als Konzertsänger international sehr gefragt und trat u.a. mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra, dem Orchestra of the Age of Enlightenment, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem London Symphony Orchestra und bei den BBC Proms auf. Sein Sir Walter Raleigh (Gloriana) ist auf CD dokumentiert. Diese Partie sang der Bass 2013 auch an der Hamburgischen Staatsoper.