• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Saison 2014/2015, November-Dezember
  • S. 26-27

Essay

Zuhören und mitmachen, erleben und erfahren

Ansätze der Musikvermittlung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene

Text: Hendrikje Mautner-Obst

In: Magazin, Saison 2014/2015, November-Dezember, Oper Frankfurt, S. 26-27 [Publikumszeitschrift]

Oper ist langweilig, uncool, anstrengend und altmodisch – dies zumindest behaupten geläufige Vorurteile, die jungen Menschen häufig in den Mund gelegt werden. Dass weder eine Beschäftigung mit Oper noch eine Opernaufführung oder der Opernbetrieb selbst langweilig oder gar uncool sind, wissen viele Kinder und Jugendliche sehr gut. Diejenigen nämlich, die eigens für ihre Altersgruppen entstandene Inszenierungen gesehen haben, die an Projekten, Workshops und Einführungen teilgenommen oder einen Blick hinter die Kulissen geworfen haben.

Dass Opernhäuser heute musikvermittelnde Angebote für unterschiedliche Publika anbieten, Zugangsmöglichkeiten zum Musiktheater aufzeigen und sich als Institutionen einem interessierten Publikum öffnen, ist keine Selbstverständlichkeit. Ein Blick zurück mag dies verdeutlichen: Nach 1945 traten die öffentlichen Kulturinstitutionen – Opernhäuser und Orchester – als Vermittler von Musik im Sinne eines über die Aufführung von Werken hinausgehenden pädagogischen Angebots zunächst nicht wesentlich in Erscheinung. Bis in die 1960er Jahre zielte die kulturpolitische Ausrichtung auf die Pflege des kulturellen Erbes – gemeint war damit die sogenannte Hochkultur. Zusätzliche pädagogischvermittelnde Angebote spielten in diesem Zusammenhang keine nennenswerte Rolle. Die kulturpolitisch erwünschte Pflege der Hochkultur sollte in erster Linie durch personelle und institutionelle Absicherung öffentlicher Aufführungen verwirklicht werden. Vor diesem Hintergrund betrachteten es die öffentlichen Kulturinstitutionen als ihre zentrale Aufgabe, künstlerisch hochwertige Aufführungen zu gewährleisten. Der Schwerpunkt, aus dem sich auch ihr Selbstverständnis ableitete, lag auf der künstlerischen Produktion.

Bis in die 1960er Jahre hinein war die Idee der »Traditionspflege« verbunden mit der pädagogischen Vorstellung eines »hochkulturfähigen Menschen« als idealem Besucher einer Aufführung. Es gehörte jedoch nicht zu den zentralen Aufgaben der Kulturinstitutionen ihn heranzubilden; dies war Aufgabe der Bildungsinstitution Schule. Erst Diskussionen um eine Demokratisierung der Kultur in den 1970er Jahren, die in dem bekannten Buchtitel »Kultur für alle« des ehemaligen Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann schlagwortartig zusammengefasst sind, führten in der Folge zu einer allmählichen Veränderung des Selbstverständnisses von Kulturinstitutionen und Künstlern.

Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich Schritt für Schritt der Gedanke durchgesetzt, dass Kulturinstitutionen über die Darbietung von Kunst hinaus einen Beitrag zur Vermittlung von Kunst und Kultur leisten sollten. Entsprechend haben Kultureinrichtungen und freie Künstler verstärkt musikvermittelnde Formate entwickelt, die Zugänge zu Kunst und Kultur öffnen sollten. Es wurde beispielsweise immer weniger denkbar, Opernaufführungen oder Konzerte, die sich ohnehin im Repertoire befanden, lediglich zu einer familienfreundlichen Uhrzeit anzubieten und ohne zusätzliche Vermittlung als Programm für Kinder und Jugendliche zu deklarieren. Stattdessen entstanden in allen musikalischen Sparten, auch im Musiktheater, eigene Produktionen für junges Publikum oder es wurden Formate entwickelt, die anknüpfend an das jeweilige Repertoire der Spielzeit auch junge Menschen auf die Aufführungen vorbereiteten. An der Oper Frankfurt sind dies die Veranstaltungen JETZT! – Oper für dich.

Ein sprunghafter Anstieg musikvermittelnder Angebote besonders für Kinder und Jugendliche ist seit etwa 2005 zu verzeichnen. 2004 wurde auf dem ersten Kongress von Kinder zum Olymp! die Notwendigkeit ästhetischer Bildung für Kinder und Jugendliche thematisiert. Im selben Jahr erschienen die Ergebnisse des 1. Jugend-Kultur-Barometers, die erstmals bundesweit Einblick gewährten in die kulturellen Interessen (und Desinteressen) junger Menschen. Zu den zentralen Ergebnissen gehörte die Erkenntnis, dass junge Menschen, anders als angenommen, durchaus Interesse an Kunst und Kultur haben. Erfragt wurde neben vielem anderen, welche Erwartungen junge Menschen an einen Kulturbesuch haben: Gute Unterhaltung und das Live-Erlebnis belegen hier die vordersten Plätze. Doch auch Aspekte wie Verbesserung der Allgemeinbildung und künstlerische Impulse spielen eine Rolle. Ebenfalls im selben Jahr 2004 lief monatelang bundesweit der Dokumentarfilm über das Projekt Rhythm is it der Berliner Philharmoniker, der große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Alle drei genannten Ereignisse haben die öffentlichen Diskussionen über kulturelle Bildung befördert und dazu beigetragen, kulturelle Vermittlungsarbeit als selbstverständlich zu betrachten. 

Inzwischen gibt es eine Vielzahl von musikvermittelnden Konzepten mit unterschiedlichsten Ausrichtungen und Zielsetzungen, die unterschiedliche Altersgruppen und Vorkenntnisse berücksichtigen. Grundsätzlich lassen sich zwei Vermittlungs-Ansätze unterscheiden: Ansätze mit rezeptiv-analytischem Schwerpunkt zielen auf ein intensiviertes Hörerlebnis und Verständnis von Musik. In diesen Bereich gehören beispielsweise etablierte Formate wie Einführungsvorträge, Matineen und Nachgespräche zu Inszenierungen.

Konzepte mit künstlerisch-kreativem Schwerpunkt eröffnen Zugänge über eine musikalisch-praktische Auseinandersetzung mit Musik. Dies können beispielsweise Workshops sein, die die kreativen Ausdrucksmöglichkeiten der Teilnehmer ansprechen, erweitern und stärken, aber auch partizipative Projekte wie das Frankfurter »Fifty-Fifty-Konzert«. Hier spielen Schülerinnen und Schüler mit professionellen Orchestermusikern von einem Pult und können eine Vorstellung davon entwickeln, was es bedeuten mag Berufsmusiker zu sein. Und das soll uncool sein?

Längst bilden nicht mehr hauptsächlich Kinder und Jugendliche die Zielgruppe musikvermittelnder Angebote. Kinder und Jugendliche sind auch nicht das Publikum von morgen, sondern das Publikum von heute, das eigens für junge Menschen gestaltete Angebote wahrnehmen kann. Dies betrifft ebenso (junge) Erwachsene, für die Afterwork- oder Late Night-Veranstaltungen konzipiert werden, die sich durch aufgelockerte Atmosphäre vom traditionellen Aufführungsrahmen absetzen.

Auch Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen keine Aufführungen besuchen können, werden verstärkt als Kulturpublikum wahrgenommen. Sowohl Kulturinstitutionen als auch freie Künstler suchen Menschen außerhalb von Konzertsälen und Opernhäusern auf – in Krankenhäusern und Seniorenheimen, in kleinen abgelegenen Orten im ländlichen Raum, in Kindergärten oder Schulen. »Oper unterwegs« für Grundschulen im RheinMain-Gebiet oder »Aramsamsam« heißen entsprechende Projekte in Frankfurt.

Kulturinstitutionen begeben sich jedoch nicht nur aus ihren Spielstätten hinaus, sondern öffnen umgekehrt ihre Türen und zeigen im »Blick hinter die Kulissen«, welche Gewerke an der Entstehung einer Oper beteiligt sind, geben Einblicke in das komplexe Entstehungsgefüge einer Opernproduktion, zeigen Räumlichkeiten jenseits der Bühne, die der Zuschauerperspektive normalerweise verschlossen bleiben. Führungen durch ein Opernhaus gehören praktisch zu den »Klassikern« an Angeboten, die dem interessierten Publikum – jung oder alt – über einen Opernbesuch hinaus Einblicke in den Opernbetrieb ermöglichen sollen. Die Oper Frankfurt hat zwei zusätzliche Varianten entwickelt: Die Reihe »Eigenhändig – Werkstätten entdecken« verbindet den Gedanken eines Blicks hinter die Kulissen mit handwerklich-künstlerischer Betätigung der Teilnehmer; »Phantom der Oper« hat das Format »Theaterführung« zu einem ganz besonderen Erlebnis für das junge Publikum ausgebaut: Die Führung findet nachts statt, im Anschluss an einen Opernbesuch, und endet nach einem nächtlichen Imbiss im Schlafsack – die Teilnehmer übernachten im Opernhaus. Wenn das nicht »gute Unterhaltung« und »Live-Erlebnis« bietet – was dann?


Hendrikje Mautner-Obst studierte Schulmusik, Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Hannover. 1999 promovierte sie in Musikwissenschaft mit der Arbeit »Aus Kitsch wird Kunst. Zur Bedeutung Franz Werfels für die deutsche Verdi-Renaissance«. 1999 bis 2002 war sie Dramaturgin und Pressereferentin am Nationaltheater Mannheim, 2002 bis 2006 Dramaturgin an der Oper Frankfurt. 2006 wurde sie auf eine Juniorprofessur für Musikvermittlung an die Musikhochschule Stuttgart berufen. Im Rahmen eines Lehrauftrags unterrichtete sie daneben 2008 und 2009 an der Universität Klagenfurt. Seit 2012 ist sie Professorin für Kulturvermittlung / Musiksoziologie an der Musikhochschule Stuttgart, seit 2013 Prorektorin für Internationale Kontakte. 

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