Zum Tod des Opernintendanten Gerard Mortier (1943-2014)
Operndirektor der Oper Frankfurt von 1977 bis 1979
Text: Bernd Loebe
In: Magazin, Saison 2013/2014, Mai-August, Oper Frankfurt, S. 37 [Publikumszeitschrift]
Der erste Kontakt reicht in die Mitte der 1970er Jahre: Der junge Enthusiast Loebe, der gerade Boris Godunow gesehen hatte, streift um die Frankfurter Oper, in der Hoffnung, noch einen Blick auf Sänger zu erhaschen. Er wird von einem schmalen, kleinen Herrn angesprochen und bei einer Käsesuppe im Hahnhof versichert man sich der gegenseitigen Leidenschaft für Oper. Damals machte Mortier Witze über die aufkeimende Idee von »Musiktheater«. Oper sei doch Musiktheater! Es entsteht Freundschaft, Briefe werden ausgetauscht, und immer, wenn der Jungjournalist Loebe später Mortier nachreist, tauscht man sich aus: über Entwicklungen des Musiktheaters, neue Namen. Wernicke galt lange als zu deutsch. Erst als der wichtige Ring in Brüssel entsteht (nach einigen Absagen), hat sich Mortier tatsächlich – innerlich überzeugt – vom Opernintendanten zum Musiktheater-Intendanten gemausert.
Gerard Mortiers jeweiliger Gesprächspartner hatte das Gefühl, dass er in diesem Moment, in dieser halben Stunde oder einen Tag lang, das Wichtigste auf der Welt war! Bei aller visionären Lust, Oper als Rezept für alle Probleme der Welt zu deuten, hing er an »seinen« Sängern. Gerade weil er in Brüssel und in Salzburg kein Ensemble hatte, war ihm der Ensemblegedanke umso wichtiger. Gehören die Sänger erst einmal zu dieserArt »Sekte«, dürfen sie auf Re-Engagements hoffen, bei Dirigenten ist es ähnlich. Auf dieser Insel der Geborgenheit entstehen reihenweise Produktionen, die zunächst von der deutsch-intellektuellen Kritik als zu ästhetisch-französisch, als geschmäcklerisch abgetan werden, bis die Botschaft von Gerard sich mehr und mehr herausschält: Es geht um eine brennende Schönheit, die fast weh tut, es geht um absoluten Kunstwillen (Lucio Silla/Chereau), um ein Wegführen aus der Realität, um uns die verborgenen Wahrheiten in Wort und Ton noch klarer zu machen. Man verlässt das Theater und fühlt sich einerseits klein wie eine Kirchenmaus und andererseits so groß, als habe man die Welt in all ihren Widersprüchen verstanden. So, als ob nur im Miteinander von allen diese Botschaft im Theater möglich sei.
Gerard war eitel. Einmal sagte er, natürlich strebe er nach Macht; aber doch nicht um der Macht willen, sondern nur, weil er dann die Ideen umsetzen könne, die ihn trieben, die darauf warteten, umgesetzt zu werden. In Salzburg war es ein Mehrseitenkampf, die Lust am Streit mit den wiengeprägten Journalisten (Endler…) gab ihm Flügel, seine despotische, Thomas Bernhard’sche Lust der Sektiererei ermöglichte Aufführungen selten erlebter Stringenz. Natürlich gelang nicht alles, aber die Künstler fühlten sich durch seinen Zornesatem beschützt und – wichtig: Es ging um etwas! Die zehn Salzburger Jahre haben das Publikum nachvollziehen lassen, warum Festspiele Sinn machen – wenn sie suggerieren, es geht um Sinnstiftendes, nicht nur um die Ablenkung inmitten eines Wellness-Urlaubes. Die vielen Jahre in Paris machten ihn mürbe: Ständige Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften überlagerten die Lust an der Oper. Aber auch hier gelang Einzigartiges. Der amerikanische Traum beflügelte ihn. Die Ideen purzelten, das Budget erkämpfte sich der Charmeur in unzähligen Gesprächen bei den Reichen des Landes; die europäische Idee von Musiktheater als moralische Instanz sollte den Amerikanern auf sanften Flügeln entgegenfliegen. Die Weltwirtschaftskrise und Misstrauen machten den Traum zunichte; der amerikanische Patient stieß den Eiferer ab. Die Lust am Elitären schien besser zum Teatro Real Madrid zu passen. Aber auch hier verbrauchte sich Mortiers Lust in Kämpfen an verschiedenen Fronten. Die Zeit dort hatte etwas von einem Epilog. Ein langes Gespräch nach einer Don Carlo-Wiederaufnahme in Frankfurt zeugte von einem kämpferischen Gerard: Er glaubte, in Madrid weiter-machen zu können und schließlich die stolzen Madrilenen von seinem Musiktheater-Verständnis überzeugen zu können. Der unkorrumpierbare Kunstwille passe doch auch in dieses Land. Beiläufig sagte er: »Dein Dirigent weiß wohl nicht, dass Don Carlo mit einem piano endet: Sag ihm das!« Das Ende in Madrid war unwürdig, so behandelt man selbst Feinde nicht. Eigentlich war die Dir nachgesagte Eitelkeit nichts anderes als Demut vor dem Werk. Du warst ein Opernverrückter. Dass uns Dein Geist auch nach Deinem Tode anstecken möge!
- Quelle:
- Magazin
- Oper Frankfurt
- Saison 2013/2014, Mai-August
- S. 37
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