• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Saison 2013/2014, März-April
  • S. 6

Dorfidylle mit Justizirrtum

Text: Zsolt Horpácsy

In: Magazin, Saison 2013/2014, März-April, Oper Frankfurt, S. 6 [Publikumszeitschrift]

Wechselnde Fremdherrschaft, Kriege und ständige Bespitzelungen – die politischen Verhältnisse in Italien zur Zeit des Risorgimento blieben nicht ohne Einfluss auf Rossinis Frühwerk. Obwohl die berühmte Ouvertüre zu seiner Diebischen Elster eine heitere Handlung einzuleiten scheint, verwandelt sich bereits am Anfang der Oper der unbeschwerte Buffa-Ton und schildert die düstere Seite des Sujets, in dem sich die Wirklichkeit des Alltags im Italien des frühen 19. Jahrhunderts widerspiegelt. Kriegsrecht, Todesstrafe und plötzliche Amnestie überschatten die (Liebes-) Geschichte.

Wenige Monate nach Rossinis genialer Aschenbrödel-Vertonung La Cenerentola entstand die Partitur der Diebischen Elster. Trotz ihrer unterschiedlichen Klangwelten und Handlungen sind die beiden Werke eng miteinander verbunden, indem sie der Misch-Gattung von Opera buffa und Opera seria, der sogenannten Semiseria angehören, für die Rossini Anfang des 19. Jahrhunderts eine besondere Vorliebe entwickelte. Das Libretto leitet sich von einem realen Ereignis ab: Ein französisches Bauernmädchen wurde wegen Diebstahls verurteilt und gehängt. Erst später stellte sich heraus, dass eine diebische Elster die Täterin war. Dieser unwahrscheinliche Zufall sorgte im Bauernmilieu, inmitten von Kriegswirren, für fatale Verstrickungen. Die (ursprünglich) tragische Geschichte wurde von mehreren Bühnenautoren aufgegriffen, bis schließlich die beiden routinierten Pariser (Boulevard-)Theatermanager Caigniez und d’Aubigny den Stoff zu einem Melodram verarbeiteten: Das Pariser Publikum strömte scharenweise ins Theater, um dort über »die rührende Geschichte Tränen zu vergießen«. In ganz Europa wurde das Stück ein Kassenschlager. Als Rossini 1817 nach einem geeigneten Stoff für die Scala suchte, entschied er sich für die Bearbeitung der Diebischen Elster; allerdings mit Happy End.

Die Vorlage der Diebischen Elster ist ungewöhnlich reich an Ereignissen und Charakteren. Sie spielt in einem Dorf, das zwar dem König untertan ist, doch von einem sadistischen Bürgermeister regiert wird. Abenteuer und spannende Wendungen sind hier mit grausamen Gefängnisszenen verknüpft. Das Libretto liefert eine ganze Ansammlung von Charakteren, die gefühlvoll oder durchaus kritisch gezeichnet sind. Die Titelheldin und Sympathieträgerin Ninetta, deren Schicksal im Zentrum des Werkes steht, würde als Dienerfigur traditionell zu den komischen Rollen zählen, wenn sie als Justizopfer nicht knapp ihrer Hinrichtung entkommen wäre.

Rossinis Musik balanciert zwischen dem im Textbuch vorgegebenen Pathos und einem Feuerwerk von Koloraturen: Virtuos integriert er Buffo-Elemente in die anrührende Rahmenhandlung. Er behält die düstere Grundstimmung der Vorlage, ohne auf komische Szenen und einen glücklichen Ausgang zu verzichten.

In mehrfacher Hinsicht erscheint La gazza ladra als Ausnahme in Rossinis Oeuvre. Im Unterschied zu seiner üblichen Kompositionsweise verwendet er hier keine »Selbstzitate«. In einem Zeitraum von etwa zwei Monaten entstand eine vollkommen neu komponierte und ungewöhnlich detailliert durchgearbeitete Partitur mit einer bemerkenswerten dramaturgischen Einbindung der Ouvertüre. Bereits der Rossini-Enthusiast Stendhal erkannte die Verbindung und die bewusst gesetzten Wiedersprüche zwischen der pittoresken Ouvertüre mit der nachfolgenden Oper und bewunderte ihren »traurigen und doch feurigen Charakter, der die jugendlichen Leidenschaften schildere«.

Lebendig erscheinen die Figuren der skurrilen, »ernst-heiteren« Geschichte; Rossinis Musik lässt sie zwischen Tragik und Komik changieren, wobei die Partitur des 25-jährigen Komponisten auch in ihrer Kunst der musikalischen Gegensätze weit über ihre Entstehungszeit hinausweist.

Ein ungewöhnliches Ensemble beschließt die grelle Handlung. Von besänftigter Naturgewalt nach einem Seesturm ist die Rede, wobei die fünf Protagonisten den allgemeinen Jubel stets unterbrechen und damit in Frage stellen: Ob sich ein Justizirrtum so schnell auf wundersame Weise korrigieren lässt?