• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Saison 2013/2014, März-April
  • S. 28-29

Wenn die Augen leuchten

Eindrücke aus der Arbeit mit jungen Gesangsstudierenden

Text: Joachim Tschiedel

In: Magazin, Saison 2013/2014, März-April, Oper Frankfurt, S. 28-29 [Publikumszeitschrift]

Mitte Oktober 2013: Endproben zu Georg Friedrich Händels Oper Imeneo, einer Produktion der Bayerischen Theaterakademie August Everding (BTA) mit der Hochschule für Musik und Theater München. Master- und Diplomstudierende beider Institutionen singen und spielen »um ihr Leben«. Die BTA, die sich als Lern- und Lehrtheater versteht, möchte die jungen Sängerinnen und Sänger im Alter zwischen 20 und 28 Jahren mit ihren Musiktheaterproduktionen wirklichkeitsnah mit dem Beruf des Opernsängers vertraut machen. Dazu gehört auch, sich im Falle einer Doppelbesetzung mit dem Gedanken zu befassen, nicht in der Premierenbesetzung auftreten zu können. Darüber entscheidet eine Kommission aus Präsident, Studiengangleitung und Gesangslehrern erst 10 Tage vor der Premiere.

31. Oktober 2013: Fünf junge Akteure stellen sich dem Premierenapplaus des Publikums, denn sie haben gerade in zwei pausenlosen Stunden Händels Imeneo zum Leben erweckt; das Regieteam und ich kommen dazu, der mit Bravos durchsetzte Applaus lässt die Anspannung vergessen, auf allen Gesichtern zeigt sich ein Strahlen. Eine der jungen Sängerinnen ist gerade erst 20 Jahre alt geworden, doch sie überzeugt das Publikum mit ihrer vielversprechenden Stimme und Musikalität, es ist ihre erste Premiere im Rahmen einer Produktion der BTA.

Seit ich musikalischer Leiter der Studienrichtung Musiktheater an der BTA bin, fällt mir auf, zu welch erstaunlichen Entwicklungen junge Gesangsstudierende in einem szenisch-musikalischen Prozess von wenigen Wochen fähig sind. Sie steigern sich in der Regel nicht linear sondern exponentiell, gepaart mit einem besonderen Enthusiasmus, weil es eben noch nicht Alltag ist, auf der Bühne des Münchner Prinzregententheaters zu stehen. Keiner geht aus einer Produktion heraus wie sie/er hinein gegangen ist. Meine Kolleginnen und ich betreuen die musikalischen Einstudierungen und geben unsere langjährige Theatererfahrung in den Probenprozessen weiter. Es ist stets ein besonderer Moment, wenn ein Studierender in der Intimität einer Solokorrepetition eine schwierige Passage erstmals bewältigt. Nicht umsonst macht intensives Einzelcoaching einen wichtigen Bestandteil bei den Einstudierungen aus. In diesen Augenblicken sieht man deutlich ein »Leuchten in den Augen«.

Bei der Auswahl der Stücke achten wir auf ein breites Repertoire von der Barockoper bis zum zeitgenössischen Werk, damit die Studierenden in ihrer Ausbildung verschiedene musikalische Kontexte zu bewältigen lernen. Die Opern Mozarts bilden dabei einen Schwerpunkt. Bei zeitgenössischen Werken sind die anwesenden Komponisten oft überrascht, wie die jungen Gesangsstudierenden ihre schwierigen Partien meistern, und Oscar Strasnoy wünschte sich sogar, dass der Mitschnitt der BTA-Produktion seiner Oper Le Bal auf CD erscheinen möge, was dank der Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk und dem Münchner Rundfunkorchester in greifbarer Nähe liegt. 

Weitere wichtige Partner sind das Münchner Kammerorchester, die Hofkapelle München und das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz, aber auch Ensembles für Alte und Neue Musik der Münchner Musikhochschule. Renommierte Gastdirigenten wie Michael Hofstetter, Alexander Liebreich, Andreas Spering und RegisseurInnen wie Rosamund Gilmore, Tatjana Gürbaca, Vera Nemirova, Lydia Steier, Balázs Kovalik, Christof Nel und Karsten Wiegand arbeiten mit den Studierenden. Absolventen der BTA singen an den Opernhäusern von München, Berlin, Dresden, Wien, Zürich. Zu vielen von ihnen bleibt der Kontakt über das Studium hinaus bestehen, und ich erhalte Feedback aus dem »wahren Leben« – interessant zu sehen, wie Karrieren verlaufen. Ende November 2013: Der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe ist für einen ganztägigen Workshop zu Gast an der BTA, in dem er zum einen fesselnd über seine langjährige Tätigkeit als Musikjournalist, Operndirektor und Intendant spricht, zum anderen können die Studierenden mit ihm die schwierige Situation des Vorsingens trainieren. Jeder Kandidat arbeitet rund 40 Minuten mit Loebe und profitiert von seiner reichhaltigen Erfahrung, etliche Anregungen mit nach Hause nehmend.

Anfang Dezember 2013: Acht Studierende der BTA sind auf einer mehrtätigen Vorsing-Tour durch Deutschland. Sie präsentieren sich an den Opernhäusern von Berlin, Leipzig, Stuttgart, Hamburg und Köln. Dabei hat jede/jeder mehrere Arien im Gepäck, mit denen sie/er hofft, die Kommission aus Intendanten, Operndirektoren und Agenten von sich zu überzeugen. Zuvor gab es auf der Bühne des Münchner Prinzregententheaters die Premiere dieses Programmes. Ob sich aus dieser erfahrungsreichen wie anstrengenden Tournee ein Engagement ergibt, wird sich zeigen. Diese Situation kann gar nicht oft genug trainiert werden, denn man hat nur wenige Augenblicke, um glaubwürdig in die jeweilige Rolle zu »switchen«. Gute Nerven spielen dabei ebenso eine Rolle wie genaue Werkkenntnis und szenische Erfahrungen. Schon mancher hat die Hürden des Vorsingens nur schwer genommen.

Mitte Dezember 2013: Der Chefdirigent des Münchner Rundfunkorchesters Ulf Schirmer bittet zur musikalischen Ensembleprobe von Antoine Mariottes Oper Salome, die Ende Februar 2014 zur szenischen Aufführung an der BTA kommt. Die jungen Sängerinnen und Sänger stellen sich dabei erstmals dem strengen Ohr des Maestros, der bereits zum siebten Mal eine Produktion der BTA dirigentisch betreut. Ulf Schirmer ist, wie er mir mehrfach versicherte, immer wieder fasziniert von der Zusammenarbeit mit den jungen Künstlern. Er spricht von der konzentrierten, harmonischen Atmosphäre, die er bei seiner Arbeit an der BTA empfindet. Sein Orchester ist uns dabei ein wunderbarer Partner, der die Höhenflüge der jungen Sängerinnen und Sänger überhaupt erst ermöglicht. Der Elan und die Begeisterungsfähigkeit der Studierenden überträgt sich auf das Publikum, das vom »Leuchten in den Augen« der angehenden Profis fasziniert ist. Auf welchen Bühnen werden sie wohl im Laufe ihrer Karriere stehen? 


Joachim Tschiedel

Der Dirigent Joachim Tschiedel ist seit 2002 Musikalischer Leiter der Studienrichtung Musiktheater an der Bayerischen Theaterakademie August Everding und dort für alle musikalischen Einstudierungen verantwortlich. Dirigate der letzten Jahre: Le nozze di Figaro, Così fan tutte, La finta giardiniera, Eugen Onegin und La Cenerentola, Imeneo, Le bal, Das schlaue Füchslein und Adealasia ed Aleramo.

Nach dem Dirigierstudium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main und Engagements an den Theatern von Eisenach und Dessau schloss sich der Aufbaustudiengang Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg an. Gastdirigate u.a. beim Rundfunksinfonieorchester Berlin, der Staatskapelle Berlin, an der Hamburgischen Staatsoper, beim Münchner Rundfunkorchester, bei der Staatlichen Philharmonie Halle, beim Stuttgarter Kammerorchester und dem Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz.

2005 erschien seine Biografie über den Frankfurter Komponisten Bernhard Sekles.


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