Fragen an Marco Arturo Marelli
Interview: Agnes Eggers
In: Magazin, September/Oktober 2010, Oper Frankfurt, S. 8-9 [Publikumszeitschrift]
Herr Marelli, Sie sind einer der wenigen international erfolgreichen Künstler, die Operninszenierungen in Personalunion als Regisseur und Bühnenbildner entwickeln. Ist diese Konzentration der Kräfte in einer Hand im Falle einer Uraufführung eine besonders große Herausforderung? Eine besondere Chance?
Bei dieser Uraufführung standen für mich Aribert Reimanns Musik und seine ureigenen Intentionen im Zentrum meiner Arbeit und nicht meine interpretatorischen Freiheiten. Ein gängiges Werk, das schon oft inszeniert worden ist, erfordert immer neue Deutungen und Interpretationen (und das ist auch richtig und wichtig so). Doch bei einer Uraufführung versuche ich vor allem, mich den Intentionen des Komponisten zu nähern und diese zu erfüllen.
Wie war der Austausch mit Aribert Reimann im Vorfeld der Proben? Hatte er die Arbeit an der Partitur bereits endgültig abgeschlossen, ehe Sie die Inszenierung zu konzipieren begannen?
Nein, ich musste das Modell und die technischen Unterlagen für das Bühnenbild sehr früh in Wien abliefern, da war erst die Hälfte der Oper fertig. Doch wurde der Austausch zwischen Aribert Reimann und mir dann immer intensiver. Zunächst versuchte ich, mich in seine Musik einzuleben. Es gab ja noch eine andere Oper mit einem verwandten antiken Thema: Troades, diese Musik habe ich dann immer wieder gehört und mir auch die Klänge von Medea erläutern lassen. Dann versuchte ich, für seine Musik eine optische Umsetzung zu finden, immer wieder tauchten in mir Bilder von verkarsteten Lavafeldern auf. Ich sammelte viele Fotos und begann, diese Ideen im ersten Modell zu visualisieren. Als ich dann Aribert Reimann in mein Atelier bat und ihm den Entwurf zeigte, erzählte er mir von seinen Aufenthalten auf der Feuerinsel Lanzarote und wie er dort die erste Textfassung von Medea erarbeitet hatte. Nie hatten wir darüber gesprochen, welche Inspirationsquellen diese Musik in ihm hervorrufen, und so war unser beider Erstaunen doch sehr groß, denn er versicherte mir, dass er immer eine solche Bühnenlandschaft vor Augen gehabt hatte, wenn er komponierte. Für die letzten Monate seiner Arbeit an der Partitur lagen dann auch die Bilder vom Modell bei ihm.
Ihr Bühnenbild zeigt einen futuristischen Glaspalast über einer Vulkanlandschaft. Handelt Reimanns Medea für Sie auch von der Hybris einer Kultur, die sich über Urgewalten zu erheben versucht?
Der zurückgekehrte und nun aber gemiedene Jason möchte gerne gesellschaftlich emporsteigen, in die oberen Etagen der Macht gelangen, ins Penthouse, ins Bett der Prinzessin und auf den Königsthron. Doch dazu kann er Medea, die ihm ja alles gegeben hat und die ihm ermöglichte, das Goldene Vlies zu rauben, nicht mehr gebrauchen. Er lässt sie sozusagen unten im Dreck sitzen. Doch das tief im Verborgenen brodelnde Feuer der Vergangenheit wird durch die Kruste hervorbrechen und auch ihn vertilgen. Der Gegensatz zwischen einer ursprünglichen, archaischen und einer kalten, zivilisierten Welt war für mich entscheidend.
Später verschließt sich dann langsam der untere Raum von Medea, es gibt für sie kein Entrinnen, die Vergangenheit holt sie ein. Aribert Reimann hat da einen Monolog der Medea aus dem zweiten Teil der Trilogie eingefügt, in dem sie spürt, wie die glühenden Schatten der Unterwelt sie heimsuchen, und ich habe versucht, ein Bild dafür zu finden.
Die Verlassenheit dieser Frau hat mich besonders berührt. Sie verliert alles, zunächst die Heimat, dann die Liebe ihres Mannes, danach auch ihre Kinder, die durch Kreon umerzogen werden. Der Mord an den Kindern ist durch nichts zu rechtfertigen. Mich interessieren vor allem Menschen, die am Abgrund stehen, und die Kräfte, die sie innerlich bewegen. Jeder kann sich an Situationen in seinem Leben erinnern, in denen er sich dermaßen allein fühlte und an sich beobachten konnte, welche erschreckenden Aggressionen sich da entwickeln können.
Am Schluss der Oper nimmt Medea von Jason mit den Worten Abschied: »Was ist der Erde Glück? Ein Schatten. Was ist der Erde Ruhm? Ein Traum. Du Armer, der von Schatten du geträumt! Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.« Wie deuten Sie dieses Ende?
Verlassen und ganz allein in der Nacht ihres Schmerzes geht Medea nach Delphi, um sich dem Urteil der Götter zu stellen und einen Weg zu finden, wie der Fluch und ihre Tat zu sühnen sind. Dort hing das Vlies, das sie nun zurückbringen will, am Beginn von Grillparzers Trilogie. Noch fast ein Kind war sie, als sie unschuldig durch ihren Vater in den bösen Kampf um Besitz und Macht hineingezogen wurde. Vergeblich hatte sie sich erträumt, dem Fluch in Kolchis zu entgehen und mit Jason eine neue Heimat in Griechenland zu finden. Doch alle Träume zerbrechen schnell, radikal kurz schildert Grillparzer das Verhältnis zwischen den beiden: »Ich dir zur Qual, du mir!«
Sie hat verstanden, wie diese andauernde Qual beendet werden kann, sie weiß nun, was sie zu tun hat. Jason weiß es leider nicht, und so hängt er jammernd in der Schluss-Szene immer noch Träumen nach und fragt nach Liebe. Hätte er nur ein wenig verstanden, so denke ich, würde er sie wohl nach Delphi begleiten.
- Quelle:
- Magazin
- Oper Frankfurt
- September/Oktober 2010
- S. 8-9
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