- Programmheft
- Staatstheater am Gärtnerplatz
- »Schuberts Reise nach Atzenbrugg«, Vorpremiere der Uraufführung am 30. April 2021
- S. 9-10
»Das ist ein Himmelfahrtskommando«
Peter Turrini im Gespräch
Interview: Fedora Wesseler
In: Programmheft, »Schuberts Reise nach Atzenbrugg«, Vorpremiere der Uraufführung am 30. April 2021, Staatstheater am Gärtnerplatz, S. 9-10 [Programmheft]
Wie kommt es, dass Sie Franz Schubert, bzw. aus dessen Leben ausgerechnet die Episode der Fahrt nach Atzenbrugg als Opernstoff gewählt haben?
Begonnen hat die ganze Geschichte so: Josef Köpplinger, hat mich gefragt, ob ich ein Libretto für das Gärtnerplatztheater schreiben will. Ich bin seinem Lockruf gerne gefolgt, ich kenne ja einige formidable Inszenierungen von ihm. Von Anfang an stand fest, dass Johanna Doderer die Oper komponieren soll. Ihre Musik ist ein gelungener Versuch, die Moderne und die Schönheit miteinander zu verbinden. Ich bin ein Johanna-Doderer-Fan. Der Vorschlag, Franz Schubert zum Thema zu machen, stammt auch von Josef Köpplinger. Eine Oper über einen begnadeten Komponisten zu machen, den jeder kennt oder zu kennen glaubt, so was kann nur schiefgehen. Das ist ein Himmelfahrtskommando, und solche Unternehmungen habe ich gerne.
Hätten Sie gern zu Schuberts Zeit gelebt?
Das österreichische Biedermeier war eine schreckliche Zeit. Kriegskrüppel aus den napoleonischen Kriegen lungerten vor den Dörfern, der Unrat wurde vor die Häuser gekippt, viele Menschen vegetierten im Dreck und in Armut. Überall lauerten Spitzel. Auf den Bildern und Lithographien sieht man mehrheitlich schöne junge Mädchen in wallenden Gewändern, denen elegante junge Herren mit Zylinder die Hand küssen. Schubert wird als verträumter Lockenkopf mit Brille dargestellt. In Wirklichkeit hatte er eine schlechtsitzende Perücke und ein pockennarbiges Gesicht. Diesen Mechanismus, das Süße über die bittere Wirklichkeit zu gießen, ist zum Grundcharakter der österreichischen Nation geworden.
Nach dem 2. Weltkrieg kam heraus, dass die Österreicher überproportional unter den Wachmannschaften der KZ vertreten waren. Die österreichische Antwort darauf waren Heimatfilme, von 1945 bis 1948 wurden in Österreich 52 Heimatfilme gedreht. Sie hießen »Der Förster vom Silberwald« oder »Der Herr Kanzleirat«, »Schuberts Dreimäderlhaus« und so weiter. In diesen Filmen stellt sich der Österreicher als liebenswürdiger und unschuldiger Depp dar, der mit den gerade stattgefundenen Kriegsgräueln nichts zu tun hatte. Die Österreicher waren unschuldig, die Deutschen waren schuldig. Als Bundeskanzler Kurz vor zwei Jahren eine Koalition mit den Rechtsradikalen einging, gab es Rumor in den europäischen Staatskanzleien. Daraufhin lud Kurz Staatsmänner zum Opernball ein und die dachten wohl, ein Land, in dem so viel getanzt wird, kann nicht schlecht sein. Dieses Land verziert seine Abgründe mit Girlanden. Da führt ein direkter Weg vom Biedermeier ins Heute.
Hatten Sie früher schon irgendeine Beziehung zu Schubert? Und hat sich Ihr Zugang zu ihm nach der Beschäftigung mit dem Libretto verändert?
Bevor ich mit dem Libretto begann, habe ich immer wieder Schubert-Lieder gehört. Diese Lieder sind voller Sehnsucht nach dem Schönen und eine tiefe Melancholie durchzieht das Komponierte. Das hat mich schon immer angezogen. Dann habe ich mir einen Berg von Schubert-Literatur einverleibt, das meiste habe ich gleich wieder vergessen, sonst wäre ja aus mir ein Schubert-Experte und kein Librettist geworden. Zu viel Bildungsblei im Gepäck kann ja schädlich und hinderlich fürs Dichten sein, dazu braucht man ja die Leichtigkeit des Fliegens. Vorfindungen sind ja gut, aber Erfindungen sind manchmal besser. Es geht ja nicht darum, dass alles wahr ist, sondern möglichst wahrhaftig.
Man spricht ja gern von der Reise als Metapher für das Leben. Welche Rolle spielt es für Sie, dass Schubert schon bald nach dieser Reise nach Atzenbrugg gestorben ist?
Dass Schubert sehr jung gestorben ist, ist keine Metapher, sondern ein fürchterliches Pech für ihn und für uns. Er hätte noch so viel Großartiges komponieren können. Schuberts Reisen nach Atzenbrugg und wieder zurück, die er immer wieder mit seinen liederbegeisterten Freunden gemacht hat, sind für mich eine sehr taugliche Methode für meine Dramaturgie. Da passiert alles an einem Tag, die Hoffnung, die Freude, die Aussicht auf das Glück und der Schmerz am Ende. Zwischendurch träumt sich der Schubert immer wieder aus der Wirklichkeit weg und sieht sich als Superman des Biedermeier. Solche Flüge und Ausflüge kann man sich nur auf dem Boden einer realistischen Geschichte erlauben.
Mit welcher Figur identifizieren Sie sich am meisten?
Identifizieren ist nicht das richtige Wort, ich verstecke mich hinter meinen Figuren. In jedem dieser Personen steckt etwas von mir drinnen. Als es mir einmal wirklich sehr schlecht ging und ich nicht mehr schreiben konnte, mich also hinter niemanden verstecken konnte, war das Spiel aus und ich stand mit meinem Gesicht vor einer Mauer. Nach einiger Zeit ging das Versteckspiel wieder weiter, Gott sei Dank!
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