„Das unsichtbare Band“
Interview: Mareike Wink
In: Vorschau, Spielzeit 21/22, Oper Frankfurt, S. 3-5 [Spielzeitheft]
Über aktuelle Herausforderungen, Lichtblicke und die Vorfreude auf die Spielzeit 2021/22. Bernd Loebe und Sebastian Weigle im Gespräch mit Mareike Wink
Mit welchen Gefühlen schauen Sie auf die neue Spielzeit?
BERND LOEBE Mit sehr gemischten Gefühlen. Vor allem aber mit der großen Hoffnung, dass wir bis zum Saisonbeginn 2021/22 einen Weg finden, wieder Oper zu machen – so wie wir es geplant haben. Ich hoffe natürlich auch, dass von den Abonnent*innen, die wir in dieser Spielzeit verloren haben, wieder einige zurückkehren.
SEBASTIAN WEIGLE Ich empfinde Traurigkeit und Verärgerung, dass wir trotz hervorragender Hygienekonzepte nicht spielen dürfen. Mit Blick auf die neue Spielzeit überwiegt aber auch bei mir die Hoffnung, dass es wieder losgeht!
Lassen Sie uns trotz mancher Ungewissheiten – keiner weiß, wie es nach dem Sommer tatsächlich aussieht – einen Blick auf die geplante Saison 2021/22 werfen. Worauf darf man sich freuen?
BL Es ist wieder eine Spielzeit mit Raritäten und sogenannten Repertoirewerken gleichermaßen. Opern, die neugierig machen oder vielleicht zu Unrecht vergessen sind. Wir möchten u.a. Cimarosas L’italiana in Londra, Carl Nielsens Maskerade, Rimski-Korsakows Die Nacht vor Weihnachten, einen spannenden Abend mit Werken von Schönberg und Frank Martin, nach 20 Jahren eine neue Madama Butterfly und schließlich Dallapiccolas Ulisse zur Premiere bringen.
SW Neben den Premieren kommen wunderbare Produktionen zurück. Ich greife mal die heraus, bei denen ich am Pult stehe: Königskinder, ein Märchen, das zu Herzen geht – in aller Schönheit, aber auch Grausamkeit. Dann die grandiose und immer noch aktuelle Christof Nel-Inszenierung von Die Frau ohne Schatten. Auch auf den Lohengrin freue ich mich sehr. Tatsächlich alles Lieblingsstücke!
BL Ans Pult kehren u.a. Titus Engel, »Dirigent des Jahres 2020« (Opernwelt), sowie Antonello Manacorda, Künstlerischer Leiter der mehrfach ausgezeichneten Kammerakademie Potsdam, und der derzeitige Mannheimer Generalmusikdirektor Alexander Soddy zurück. Auch die junge litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė wird im Orchestergraben stehen. Bei den Inszenierenden haben wir es ebenfalls mit einer Mischung aus etablierten Namen und neuen Gesichtern zu tun – darunter der New Yorker Regisseur R.B. Schlather, der 2019 mit Tamerlano im Bockenheimer Depot ein tolles Debüt hingelegt hat, und Tobias Kratzer, der seit seiner Arbeit in Bayreuth von den Theatern geradezu gejagt wird, sowie Christof Loy und David Hermann. Mit Mateja Koležnik, die bisher eher im Schauspielbereich inszeniert hat, und Tatjana Gürbaca debütieren zwei interessante Regisseurinnen an der Oper Frankfurt. Neben der Händel-Rarität Amadigi, wofür der Regisseur Andrea Bernard erstmals bei uns arbeitet, wird es im Bockenheimer Depot eine Uraufführung geben, in der wir uns mit der Digitalisierung und ihren Risiken beschäftigen: The People Out There von Hauke Berheide und Amy Stebbins. Für die Weiterführung unseres Britten-Zyklus mit dem vielleicht bekanntesten Werk des Komponisten – A Midsummer Night’s Dream – kehrt Brigitte Fassbaender nach Frankfurt zurück.
Über ein Jahr Ausnahmesituation. Welche besonderen Herausforderungen hat es an Sie beide gestellt?
SW Geduld aufzubringen und nicht aufzugeben! Und das bei der zusätzlichen Zeit, die man in diesen Monaten hat … Unser Orchester so gut wie nicht zu sehen, in der Regel nur telefonischen Kontakt zu den Kolleg*innen zu haben, das war und ist eine sehr spezielle Erfahrung. Man entfremdet sich schon etwas über Wochen und Monate. Dabei ist das Kontakthalten, gerade das musikalische, so wichtig, die kurzen Konversationen in den Probenpausen, das persönliche Gespräch. Umso dankbarer war ich für die Chance zum Stream von Gustav Mahlers Lied von der Erde im März 2021 mit immerhin 30 Musiker*innen. Das war eine unglaubliche Wiedersehensfreude und immense Motivation. Für mich selbst war es zusätzlich emotional, weil die Aufzeichnung rund um meinen 60. Geburtstag stattfand. Mit Strauss’ Metamorphosen und Mozarts Gran Partita folgten weitere digitale Produktionen. Und dennoch – das Digitale ist kein Ersatz für das Live-Erlebnis. Über 1000 Menschen an einem Abend hinter sich zu wissen und als Mittler zwischen Bühne und Parkett eine konzentrierte Spannung zu erreichen, ist faszinierend und unbeschreiblich. Als Dirigent spürt man das Publikum sehr konkret als Rückenstärkung.
BL Wir müssen trotz der immensen Stolpersteine signalisieren, dass wir noch da sind – auch mit digitalen Programmen. Während die Hygienemaßnahmen im Haus an allen Stellen gewissenhaft umgesetzt wurden, galt und gilt es, den Mitarbeiter*innen hinter der Bühne, im Orchestergraben, in den Proberäumen und Werkstätten wie dem Publikum, als es kommen durfte, das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Es gibt in dieser Ausnahmesituation viele Stimmen und Entscheidungsträger. Sämtliche Anliegen unter einen Hut zu bringen, ist eine große Schwierigkeit. Dabei ist es mir wichtig, auch Empathie aufzubringen für die, die ihre Kunst im Moment nicht zeigen können: für die freien Künstler*innen. Und auch wenn es mir als Intendant selbst wichtig ist, positiv und hoffnungsvoll voranzugehen, ist mir das vielleicht nicht an jedem Tag im vergangenen Jahr gelungen.
Gab es auch Lichtblicke in dieser Zeit?
BL Die wenigen, meist ausverkauften Vorstellungen vor reduziertem Publikum waren beglückend. Das analoge Geschichtenerzählen lässt sich nicht vollends durch die Verlagerung ins Digitale ersetzen. Das kluge Verzahnen von beidem ist wichtig. Aber mein Herz schlägt für das von Händen gemachte und vor Ort erlebte Theater – einmalig und unwiederholbar. Auch das funktionierende Miteinander im Haus ist ein Lichtblick: Die Städtischen Bühnen, die über 1200 Menschen, die hier beschäftigt sind, bleiben trotz dieser Krise eine Mannschaft, eine Familie. Man freut sich über jeden Brief und über jede Bekundung, als Oper Frankfurt vermisst zu werden.
Was fehlt Ihnen persönlich gerade am meisten?
BL UND SW Restaurants!
SW (lacht) Wir sind beide große Freunde und Unterstützer der Frankfurter Gastronomie. Am Abend mit Freund*innen zusammenzusitzen bei einem guten Essen, einem Glas Wein, oder auch einfach mal abzuschalten, während man etwas Kulinarisches genießt – das vermisse ich unendlich! Direkt an zweiter Stelle nach dem Theater, der gemeinsamen Musik und dem Kontakt zum Publikum.
BL Es gehört für mich auch zum Theateralltag dazu, sich nach Vorstellungen oder Proben mit den Kolleg*innen an einem gemeinsamen Tisch auszutauschen, Schwierigkeiten zu besprechen, vielleicht kritische Punkte anzumerken. Was ich ebenfalls sehr vermisse, sind Kurzreisen übers Wochenende, einfach um für einen Moment mal raus zu sein, frische Luft zu schnuppern.
Corona, Neubau-Diskussion … Andere hätten vielleicht zweimal überlegt, ob sie einen Vertrag für weitere fünf Jahre – bis 2028 – unterschreiben. Sie nicht …
BL Ich bin nach wie vor neugierig auf Menschen, Opern, künstlerische Konzepte. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, die Leute um mich herum warten darauf, dass ich den Hut nehme, wäre meine Entscheidung sicher anders ausgefallen. Ich hänge an der Stadt, bin hier geboren, habe hier meine ersten Opern gesehen, von außen die ganz schwierigen Situationen des Hauses miterlebt. Ich möchte alles daran setzen, dass die Oper Frankfurt zumindest in der Zeit meiner Intendanz keine solchen Tiefen mehr erleben muss.
Was wünschen Sie unserem Opernhaus für die Zukunft?
BL Wir müssen einerseits selbst daran arbeiten, weiterhin unser künstlerisches Niveau zu halten, andererseits brauchen wir dazu Partner in der Stadt, die die Corona-Situation nicht ausnutzen, um etwa finanziell unmögliche neue Stellschrauben anzuziehen. Oper ist keine elitäre Hochkultur für einige wenige, sondern eine Kunstform, die unterschiedliche Menschen über alle Generationen hinweg ansprechen kann. Was man auch in die offene Architektur eines neuen Opernhauses einfließen lassen sollte … Es könnte zu einem Meeting-Point im Herzen Frankfurts werden, zu einem Musiktheater-Ort, in den man hineinsehen, hineinhören kann. Ich hoffe sehr, dass uns die Stadt auch in den nächsten Jahren so unterstützt, dass wir zeigen können, worin wir gut sind – und manchmal vielleicht noch ein kleines bisschen besser als andere.
SW Eine solche Transparenz und noch deutlichere Verknüpfung von Stadt und Opernhaus würde nicht nur das Verständnis, sondern auch das Bewusstwerden und die Wertschätzung dessen, was wir tun, steigern. Kultur ist lebensrelevant! Dass es möglich ist, unseren Alltag einfach mal hinter uns zu lassen und Impulse für unseren Austausch zu bekommen – ist das nicht wunderbar? Diesen Raum zu begreifen, zu schätzen und zu schützen, sehe ich als eine ganz wesentliche gesellschaftliche und politische Aufgabe.
BL Wir sind nur da, weil wir für andere da sind! Jetzt geht es darum, das unsichtbare Band zum Publikum erneut zu spannen