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  • Fux.Opernfest Vol. 2: Apollo und Daphne | Juni 2019
  • S. 9-13

Ad notam

Text: Karl Böhmer

In: Programmheft, Fux.Opernfest Vol. 2: Apollo und Daphne | Juni 2019, Styriarte, S. 9-13 [Programmheft]

Dafne in Lauro.
Ein Kammerspiel zur Geburtstagsfeier
 Ihrer kaiserlichen und katholisch-königlichen Majestät,
Karls VI., Kaiser der Römer.
Im Jahr 1714.
Dichtung vom Doktor Pietro Pariati
Musik von Johann Joseph Fux.

So steht auf der einzigen Quelle geschrieben, die sich für „Dafne in Lauro“ erhalten hat: der Partiturabschrift in der Österreichischen Nationalbibliothek. Da die Libretti zur Uraufführung am 1. Oktober 1714 sämtlich verloren gingen, kann man über die Inszenierung, über den Anteil der Tänze an der Oper und über das Bühnenbild nur Spekulationen anstellen. Zumindest die originale Sängerbesetzung ist in der Partitur aufgeführt:

Dafne         Maria Landini Conti, Sopran (Prima donna, damals 46 Jahre alt)
Diana         Regina Schoonians, Sopran (Seconda donna, 37 Jahre alt)
Apollo        Gaetano Orsini, Alt (Primo uomo, 47 Jahre alt)
Amore        Giovannino Vincenzi, Sopran (Secondo uomo, 16 Jahre alt)
Mercurio     Silvio Gorghetti, Tenor (30 Jahre alt)

Dass die beiden Hauptdarsteller nicht mehr die Jüngsten waren, tat dem Erfolg der Aufführung keinen Abbruch. Den Altkastraten Gaetano Orsini rechneten die Zeitgenossen noch mit 50 zu den größten Sängern Italiens. Die Primadonna Maria Landini konnte sich noch mit 46 in eine unschuldige Nymphe verwandeln. Fux schrieb ihnen eine „bellissima musica“ auf den Leib. Der „Corriere ordinario“, die italienische Zeitung des Hofes, berichtete über die Geburtstagsfeier des Kaisers und den Erfolg der abendlichen Oper: „Des Abends machte man in der Favorita zu diesem Ereignis eine sehr schöne Musik. Danach speiste die gesamte kaiserliche Familie zu Abend.“ 

Opernabende in der Favorita

Dekorative Kulisse dieses Abendfestes im Oktober war die Favorita, das Kaiserliche Lustschloss auf der Wieden, in jener Wiener Vorstadt, die damals noch ganz von den Sommersitzen der hohen Herren und ihren Gärten dominiert war. Entlang der „Favoritengasse“ erstreckte sich der kaiserliche Sommersitz, mit stattlichen Innenhöfen, einem Teich, französischen Gartenparterres und einem Opernhaus. Dort hatte Kaiser Karl VI. zum Geburtstag seiner Gemahlin am 28. August 1714 eine Oper von Francesco Conti aufführen lassen: „I Satiri in Arcadia“. Dieses Satyrspiel auf einen Text des Hofdichters Pariati zeichnete sich durch umfangreiche Balletteinlagen aus und war ein überwältigender Erfolg. Das „Wienerische Diarium“ berichtete, dass der Kaiser „am 2. September des Abends bey der jüngsterwehnten Opera, die Satyren in Arcadien genannt, sich wieder eingefunden“, leider ohne seine Gemahlin, die zur Kur in Baden bei Wien weilte. Den Verzicht auf diesen sommerlichen Opernabend machte Elisabeth Christine wett, indem sie ihrem Gemahl zu dessen Geburtstag am 1. Oktober eine neue Oper von Fux schenkte. 

Erotisches Treiben mit getanzten Chören

Bei „Dafne in Lauro“ handelt es sich zweifellos um ein Gegenstück zu den „Satyrn in Arkadien“, verfasst vom selben Librettisten. So wie Contis Oper sommerlich überhitzt war, ein erotisches Treiben um die unkeuschen Satyrn, die das idyllische Schäferland Arkadien überfallen, so war Fuxens Oper herbstlich gesittet: die Erzählung von der Göttin Diana auf der Jagd und ihrer keuschen Nymphe Dafne, die ihre Unschuld rettet, indem sie sich in den Lorbeer verwandelt. Weil Amor im Land der Nymphen sein Unwesen treibt, spielt auch hier die „Galanterie“ eine entscheidende Rolle, also das Reden über die Liebe und die Strategien der Liebeswerbung. Da aber Gott Apoll der Liebeswerber ist und nicht der grobe Satyr Damon, entfaltet sich die Liebesmusik von Fux auf einem ganz anderen Niveau als die „satirische“ Musik von Conti. 

In beiden Opern spielen Tänze und Tanzrhythmen eine zentrale Rolle. Für Contis Oper lassen sich die getanzten Chöre am Libretto belegen, für die „Dafne“ von Fux ergeben sie sich aus den Tanzrhythmen der Arien und Chöre: Zu Ehren der Jagdgöttin tanzt ihr singendes Gefolge eine Bourrée, in die das Orchester die Fanfaren imaginärer Jagdhörner hineinschmettert. Da es am Wiener Kaiserhof damals noch keine Hornvirtuosen gab, wird diese Aufgabe von den Geigen und Oboen übernommen, wie schon zu Beginn der Ouvertüre. Zu Ehren Jupiters stimmt der Chor ein Menuett an, zu dem natürlich auch getanzt wurde. Diana singt eine Arie, die in Wahrheit eine Chaconne ist, also ein französischer Gruppentanz. Die Oper endet mit dem Lobpreis des Kaisers, der für seine Tugend mit dem Lorbeer bekrönt wird – wieder in Form eines getanzten Chores. Das von Karl VI. neu installierte Wiener Hofballett, Vorgänger des heutigen Staatsopernballetts, hatte in „Dafne in Lauro“ dankbare Aufgaben. Die Namen der Choreographen Simon Pietro Levassori della Motta und Alexandre Phillebois sind im Libretto der „Satiri in Arcadia“ nachzulesen. Ob der Chor tatsächlich von einem solchen gesungen wurde oder nur von den Solisten, geht aus den Quellen nicht hervor. Alfredo Bernardini hat sich für das Ensemble der Solisten entschieden.

Galanterie in Noten und ein Lamento

Fux hat kaum eine andere Oper geschrieben, die so sehr von galanten Tanzrhythmen geprägt wird wie „Dafne in Lauro“. Dafne singt ihre erste Arie von der schönen Rose im schwingenden Rhythmus einer Giga. Die Metaphern des italienischen Textes könnten dabei auch ganz anders gemeint sein, wie Alfredo Bernardini und seine italienischen Orchestermusiker sofort durchschaut haben. Denn nicht nur die Rose verbirgt sich tief im Gebüsch, sondern auch die Keuschheit der schönen Nymphe selbst, die Apollo erobern möchte. So sind Pariatis Text und Fuxens Musik von erotischen Anspielungen durchsetzt, die das junge Kaiserpaar zweifellos zu schätzen wusste, bleibt die Moral der Geschichte am Ende doch unanfechtbar: Dafne rettet ihre Unschuld, indem sie sich in den Lorbeer verwandelt. Davor aber entbrennt in Dianas Reich ein regelrechter Liebeskrieg, mit Amor als Anstifter, Apoll als Angreifer, Diana als Verteidigerin und Merkur als mahnender Instanz. Im Spiel aller dieser Gottheiten bleibt Dafne das einzige irdische Wesen, eine Nymphe, die am Ende ihr Leben opfern muss, weil sie zum Spielball der Götter geworden ist.

Fux hat diesen Bruch eindringlich herausgearbeitet. Erst brillieren die streitenden Götter in ihren galanten Tanzrhythmen, in Giguen, Menuetten und Bourréen. Amor gibt mit seiner frechen ersten Arie den Ton an und zeigt seine ganze Durchtriebenheit in einer Gigue in g-Moll. Apollo hält die fliehende Dafne mit einer sanften Sarabande zurück. Am Ende aber, wenn er nicht mehr lockerlässt, stimmt Dafne ihr großes Lamento der Verwandlung an, eine Moll-Arie mit obligater Gambe wie das „Es ist vollbracht“ in Bachs Johannespassion. Auf einmal zeigt Fux, der Wiener Vizekapellmeister, der im Folgejahr zum Oberkapellmeister aufrücken sollte, wie viel Tiefe seine Musik entfalten kann. Nur in den Sentenzen des ewig mahnenden Merkur gibt es ähnliche Mollkomplikationen.

Auch das Ambiente spielt in der Partitur eine wichtige Rolle. Obwohl die Aufführung im Theater der Favorita stattfand und nicht draußen, weht gleichsam frische Luft durch die Partitur. Die Ouvertüre hebt mit einer Jagdfanfare an, die sofort in eine heitere Fuge umgebogen wird. Amor richtet seine erste Ansprache an die „glücklichen, seligen Lüfte“, die natürlich durch das Streichorchester wehen. Apollo beschreibt in seiner ersten Arie ein rasend schnelles Bächlein auf der Wiese, was sich im Orchester widerspiegelt. Wenn Dafne ein kleines Vögelchen beschreibt, das allzu vertrauensselig durch die Lüfte streift und am Vogelleim hängen bleibt, stimmen eine solistische Traversflöte und ein Chalumeau ein Vogellied an. So ist Fuxens „Dafne“ auch eine „Freiluftoper“ für den Innenraum.

Das Kaiserpaar endlich vereint

Für den jungen Kaiser, der gerade erst 29 wurde, und für seine 23-jährige Gemahlin war all dies anno 1714 noch keine Wiener Opernroutine, sondern brandneu. Erst im Juli 1713 war Elisabeth Christine in Wien eingezogen, nachdem sie in Spanien für ihren Gemahl zwei Jahre lang die Stellung gehalten hatte. Im April 1711 war Kaiser Joseph I. völlig überraschend an den Pocken gestorben, sodass sein Bruder Karl sofort in Barcelona die Zelte abbrechen musste, um seine österreichischen Erblande und die Kaiserkrone zu sichern. Seine Frau blieb zurück und konnte auch die Kaiserkrönung ihres Gemahls im Dezember 1711 in Frankfurt nicht miterleben. Ohne die Kaiserin aber hatten Opernaufführungen in Wien keinen Sinn. Deshalb trat in den Jahren 1711 bis 1713 eine empfindliche Opernzäsur am Kaiserhof ein. Erst als das Paar glücklich wieder vereint war, begann im August 1713 die Routine der Opern, die man sich gegenseitig zum Geburtstag schenkte. „Dafne in Lauro“ war erst das vierte Stück in dieser neuen Serie, also taufrisch und ein Signal, dass nun die Ära Karls VI. in der Wiener Hofoper anbrach. Der Steirer Johann Joseph Fux sollte dabei eine entscheidende Rolle spielen.

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