- Alles bleibt anders
- Deutsche Oper am Rhein
- Rückschaujournal März 2020 - Mai 2021
- S. 62-63
Internationales Sprungbrett
Text: Eva Hölter
In: Alles bleibt anders, Rückschaujournal März 2020 - Mai 2021, Deutsche Oper am Rhein, S. 62-63 [Publikumszeitschrift]
Im Opernstudio der Deutschen Oper am Rhein sollen junge Talente vor allem Bühnenerfahrung sammeln können. Daraus wurde für den aktuellen Jahrgang bislang nichts – aber untätig war der künstlerische Nachwuchs in den vergangenen Monaten nicht. Im Gegenteil.
Von den sechs jungen Nachwuchssänger*innen des Opernstudios der Deutschen Oper am Rhein haben vier im August 2020 ihr Engagement begonnen: Ekaterina Aleksandrova, Anna Rabe, Sander de Jong und Jake Muffett kamen zu Andrei Nicoara und Luvuyo Mbundu hinzu. Neun Monate später, im Mai 2021, haben von den vier „Neuen“ die beiden jungen Sängerinnen noch nie auf der Bühne in Düsseldorf oder Duisburg vor Publikum gestanden, während Sander de Jong und Jake Muffett immerhin in „Comedian Harmonists“ schon einmal die Erfahrung einer richtigen Vorstellung machen konnten.
Im Gegensatz zu vielen ihrer jungen Kolleginnen und Kollegen haben die Mitglieder des Opernstudios immerhin die Sicherheit einer Anstellung in unsicheren Zeiten, sie sind Teil eines Ensembles und integriert in die festen Strukturen eines großen Opernhauses. Auch unbeschäftigt sind sie alle nicht – fast täglich steht die intensive Arbeit am Repertoire auf dem Probenplan, hinzu kommen musikalische und teilweise szenische Proben für Produktionen, die fertig geprobt werden in der Hoffnung, sie in absehbarer Zeit vor Publikum zeigen zu können. Auch die musikalischen Meisterklassen mit Stephen Harrison, Helmut Deutsch, Camilla Nylund und Marius Vlad konnten glücklicherweise alle stattfinden, während szenische Workshops in dieser Spielzeit komplett entfallen mussten. Besonders bedauerlich ist die Absage des Auftritts beim internationalen Shakespeare Festival 2021 in Neuss, zu dem das Opernstudio erneut mit einem eigenen Programm eingeladen war.
Mit dem szenischen Bereich fehlt einer der ganz wesentlichen Bausteine der Ausbildung im Opernstudio leider fast vollständig: Bühnenerfahrung zu sammeln, das Gelernte und Geübte live zu präsentieren, die lange vorbereitete Arie oder Rolle endlich auf einer großen Bühne vor einem tatsächlich anwesenden Publikum zu singen, als Teil eines Ensembles den Moment zu erleben, in dem der Vorhang sich hebt, die ganz unmittelbaren Reaktionen aus dem Zuschauerraum zu spüren. Auch die Möglichkeiten, sich an anderen Häusern und vor einem anderen Publikum vorzustellen, sind sehr eingeschränkt: Nahezu alle großen Gesangswettbewerbe wurden für 2020 und teilweise auch 2021 abgesagt, und auch Vorsingen (sei es für eine Gastrolle oder ein Anschlussengagement) finden aufgrund der allgemeinen Planungsunsicherheit der Opernhäuser nur sehr eingeschränkt statt, während nun gleich zwei Jahrgänge begabter junger Sänger*innen international um Wettbewerbsplätze und Rollen konkurrieren.
Zu kurz kommen auch, trotz aller modernen Kommunikationsmittel, die vielen kleinen Dinge jenseits des Probenplans: der direkte persönliche Austausch mit den erfahrenen Kolleginnen und Kollegen des Ensembles, die Möglichkeit, sich von ihnen während der Proben oder auf der Bühne etwas abzuschauen, ein gemeinsames Essen in der Kantine, Premierenfeiern mit Publikum.
Neu hinzugekommen ist stattdessen eine andere Herausforderung und Erfahrung: Singen in einem leeren Raum für ein unsichtbares Streaming-Publikum, Meisterklassen-Konzerte für die Kamera, und für einige bei „Romeo und Julia“ sogar die Aufzeichnung einer ganzen Produktion für die Streaming-Plattform OperaVision. Gerade durch die schwierigen Umstände haben die jungen Sänger*innen in den vergangenen Monaten vieles gelernt, was ihnen auch auf ihrem weiteren Weg helfen wird: flexibel zu sein, mit Enttäuschungen umzugehen und trotzdem optimistisch zu bleiben, Konzentration und Fokus nicht zu verlieren, diszipliniert weiterzuarbeiten und die Zeit sinnvoll zu nutzen.
All das teilen die jungen Mitglieder des Opernstudios der
Deutschen Oper am Rhein mit vielen ihrer Kolleginnen und
Kollegen, die weltweit auf dem Sprungbrett zur Karriere
stehen – jetzt muss nur noch wieder Wasser ins Becken. //
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