- Alles bleibt anders
- Deutsche Oper am Rhein
- Rückschaujournal März 2020 - Mai 2021
- S. 67
Linda Watson: „Wir finden zu dem zurück, was am Wichtigsten ist“
In: Alles bleibt anders, Rückschaujournal März 2020 - Mai 2021, Deutsche Oper am Rhein, S. 67 [Publikumszeitschrift]
Vor einem Jahr im Jänner hatte ich an der Wiener Staatsoper noch eine ganze Serie von Vorstellungen „Lohengrin“ (Ortrud) zu singen und wurde dabei zur österreichischen Kammersängerin ernannt. Wer hätte zu diesem Zeitpunkt gedacht, dass das meine letzten Vorstellungen für eine lange Zeit sein würden? Die Woche vor unserem ersten Lockdown hier in Österreich kehrten mein Mann und ich gerade noch rechtzeitig von unserem verspäteten Honeymoon auf Hawaii zurück. Ich war sehr glücklich, dass wir uns entschieden hatten, noch zu fahren, denn rund ein Jahr später ist es ja leider noch immer nicht möglich, wieder zu verreisen.
Für uns Amerikaner lief aber gleichzeitig noch etwas, das ich hier nicht ganz ignorieren kann: Donald Trump. Viel möchte ich nicht dazu sagen außer, dass es eine Zeit lang jeden Tag für mich schwarz gefärbt hat. Das war echt eine schwere Last, zusätzlich zum „Corona-Problem“. In Österreich waren die Regeln von Anfang an sehr streng. Wir waren eigentlich alle froh und auch ziemlich stolz auf uns, dass wir es geschafft hatten, die Zahlen niedrig zu halten. Aber das hat leider nicht lange gehalten. Ich bin in der glücklichen Lage, mit meinem Mann auf dem Land zu wohnen, dazu in einem Weingebiet. Hier haben wir seit einem Jahr nun die meiste Zeit verbracht. Es war eine schöne Arbeit, den Garten neu anzulegen und das Haus teils zu renovieren.
Ich bin außerdem Universitätsprofessorin in Wien und habe von da aus unterrichten können und müssen. Seit März 2020 haben sich alle Examen, Diploma und Klassenabende verschoben - wirklich sehr traurig. Mir ist es aber sehr wichtig, immer in Kontakt mit meinen Studierenden zu bleiben, die ja plötzlich ganz ohne Perspektive dastanden. Es ist eh schon schwer genug, für junge Sängerinnen und Sänger, immer motiviert zu bleiben, aber jetzt in diesen Zeiten?!
Ich habe trotz alledem Meisterkurse geben können im Sommer, auch live, Gottseidank. Und noch eine Freude: Seit Oktober unterrichte ich auch im neuen Opernstudio an der Wiener Staatsoper! Dort werden jeden Tag 300 Leute getestet, also ist es ziemlich sicher. Ansonsten habe ich versucht, mich fit zu halten, um vorbereitet zu sein, falls ein neues Engagement kommen sollte. Und tatsächlich: Plötzlich kam eine Anfrage aus Mailand, ob ich eine neue „Salome“- Produktion an der Scala machen könne im Frühjahr. Haben wir gemacht, gefilmt und gestreamt. Das war einfach toll!
Es war allerdings eine sehr schwere Probenarbeit mit den Masken. Das kann sich ein Außenstehender sicher kaum vorstellen, wie es ist, auf der Bühne zu stehen und stundenlang in eine Maske zu singen: schmutzig und ungesund fühlt sich das an, und der Sauerstoff ist knapp. Dann kam ein Anruf von Axel Kober: Isolde in der „Tristan“-Produktion an der Deutschen Oper am Rhein! Ich dürfe sie wieder mit Leben erfüllen, auffrischen und neue Impulse geben! So eine große Freude für mich! Mit meinem Kollegen Michael Weinius bin ich noch immer in Kontakt – „Zoom-Cocktail-hours“ haben wir organisiert!
Wie denke ich über diese Zeit? Ich finde sie ziemlich existenziell für uns Menschen. Wenn ich gut gelaunt bin, und das bin ich meistens, dann überlege ich, was so etwas bringt und schafft in uns, warum wir das überhaupt erleben und ich komme darauf, dass es bei allem Leid auch Positives gebracht hat. Vor allem, dass wir wieder mehr selbst reflektieren, was drastisch fehlt heutzutage. Und natürlich, dass wir zurückfinden zu dem, was am Allerwichtigsten ist: Familie und Freunde! //
Linda Watson
Spätestens seit ihrem Debüt bei den Bayreuther Festspielen 1998 gehört Kammersängerin Linda Watson zu den wichtigsten Wagner- und Strauss-Sängerinnen unserer Zeit und ist auf allen wichtigen Bühnen der Welt zuhause. 2013/14 kehrte sie ins Ensemble der Deutschen Oper am Rhein zurück, wo sie u.a. als Marschallin, Elektra, Ariadne oder Brünnhilde zu hören war.
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