• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Januar/Februar 2022
  • S. 6-7

Premiere Warten auf heute

Morgen ist heute schon gestern

Text: Mareike Wink

In: Magazin, Januar/Februar 2022, Oper Frankfurt, S. 6-7 [Publikumszeitschrift]

Ein Abend – vier Werke. In ihrer Kombination spinnt Regisseur David Hermann einen verbindenden Handlungsfaden, der grundlegende Fragen an den gemeinsamen Lebensweg zweier Individuen beleuchtet: Worauf fußt ihr Heute? Was gilt morgen? Und wie blicken sie übermorgen auf ihr gemeinsames Gestern zurück?

Die 1920er Jahre stellen Gewohnheiten auf den Kopf, verschieben vertraute Leitplanken – auf dem gesellschaftlichen und politischen Parkett ebenso wie auf den Brettern, die die Welt bedeuten. In der Vielfalt musiktheatralischer Formen und Stile schlägt sich die Suche nach einem neuen Ausdruck nieder. Die entstehenden Werke sollen nicht nur den Zeitgeist spiegeln, sondern die Kunstgattung Oper zugleich für ein möglichst breites Publikum öffnen. Ein vielfach verwendetes Mittel auf dem Weg dorthin ist die Vereinfachung formaler Strukturen, wofür exemplarisch der Einakter steht. In klarer Abgrenzung zum Musikdrama etabliert sich das Genre der Zeitoper – zumeist humoristisch und voller Anklänge an die populäre Tanzmusik ihrer Zeit, oft beeinflusst von den gerade aufkommenden Massenmedien und mit einem sehnsüchtigen Blick nach Amerika, wo man die Moderne noch moderner wähnt. Die Erfolge von Künstlern wie Bertolt Brecht / Kurt Weill, Paul Hindemith oder Ernst Křenek auf dem Gebiet scheinen den Bestrebungen Recht zu geben.

Schönberg und die Zeitoper

All das geht auch an Arnold Schönberg nicht spurlos vorbei. Nicht ohne Neid verfolgt er, wie seine Kollegen Lorbeeren ernten. Allerdings ist der Zwölftonpionier davon überzeugt: »Wenn es Kunst ist, ist sie nicht für alle, und wenn sie für alle ist, ist sie keine Kunst.« Umso überraschender, dass er sich mit seinem Einakter Von heute auf morgen 1928/29 selbst der Zeitoper zuwendet und ein Werk schreibt, das als ein musikalischer Sketch daherkommen soll. Doch mehr noch als es seinen Kollegen gleichzutun, will er das Genre nutzen, um an ihm selbst Kritik zu üben. Neben den typischen Stilelementen bringt Schönberg hier zum ersten Mal in einer Oper seine inzwischen ausgefeilte Zwölftontechnik zum Einsatz. Er will den Beweis erbringen, dass seine Methode und der populäre Erfolg eines Werkes in keinem Widerspruch zueinander stehen.

Schönbergs Hoffnungen sollen sich jedoch nicht bewahrheiten. Die Frankfurter Uraufführung am 1. Februar 1930 verläuft weitgehend im Sande. Zu Lebzeiten des Komponisten kommt seine Oper nur noch ein weiteres Mal zur Aufführung – in einer konzertanten Form für den Rundfunk unter seiner eigenen musikalischen Leitung. 

Leicht, modern, apokalyptisch

Von heute auf morgen schildert einen Abend im Eheleben eines Paares, das plötzlich beginnt, eingefahrene Rollen in Frage zu stellen. Schönbergs Ehefrau Gertrud hatte das Libretto unter dem Pseudonym Max Blonda verfasst. In einem Brief an Wilhelm Steinberg, den Dirigenten der Uraufführung, erläutert der Komponist: »Der Ton des Ganzen soll eigentlich immer recht leicht sein. Aber man wird es fühlen dürfen oder ahnen sollen, dass hinter der Einfachheit dieser Vorgänge sich einiges versteckt: dass an der Hand alltäglicher Figuren und Vorgänge gezeigt werden will, wie über diese einfache Ehegeschichte hinaus das bloß Moderne, das Modische nur ›von heute auf morgen‹ lebt.«

Kurz nach Beendigung der Partitur dieser »Apokalypse im Familienmaßstab« (Hanns Eisler) erhält Schönberg vom Magdeburger Heinrichshofen’s Verlag den Auftrag, eine Filmmusik zu schreiben. Der Komponist folgt keinen weiteren Vorgaben als lediglich den drei Schlagworten »Drohende Gefahr, Angst, Katastrophe«, die als Untertitel das »Programm« seiner expressiven Begleitmusik zu einer Lichtspielszene anzeigen. Otto Klemperer leitet die erfolgreiche Uraufführung im November 1930 an der Berliner Krolloper, nachdem das Werk unter Schönbergs Leitung im April desselben Jahres im Frankfurter Rundfunk gesendet worden war. Bis heute lässt die »Begleitmusik« großen Raum für Assoziationen und für eine eigene Bildebene jener »Lichtspielszene«, die in der Inszenierung von David Hermann zum endgültigen Bruch zwischen dem Ehepaar aus Von heute auf morgen führt.

Gemeinsam – einsam

Auf die Auflösung des Gemeinsamen folgt das Zurückgeworfensein auf sich selbst: Mit Frank Martins Sechs Monologe aus »Jedermann« eröffnet sich das vielfarbige Kaleidoskop verschiedenster Seelenzustände eines Mannes, der dem Ende seines Lebens entgegenblickt. Der Schweizer Komponist, rund 15 Jahre nach Schönberg geboren und im Gegensatz zu ihm stets der Tonalität verpflichtet, greift auf Hugo von Hofmannsthals 1911 uraufgeführtes Versdrama Jedermann zurück. In dieser Tragödie hört Martin nicht nur »die schlichte Sprache der uralten menschlichen Ängste«, sondern auch »die Sprache, in der uns das Evangelium die Erlösung durch die Liebe lehrt«. Bei der Uraufführung seiner »Jedermann-Monologe« mit dem Bariton Max Christmann 1943 in Gstaad sitzt der Komponist selbst am Klavier. Die 1949 erarbeitete Orchesterfassung wird von der Altistin Elsa Cavelti in Venedig uraufgeführt.

Mit Schönbergs bereits 1909 geschriebenem Monodram Erwartung endet der Erzählstrang des Abends in einer Ich-Fokussierung radikalster Art: eine Frau, die verzweifelt durch den nächtlichen Wald irrt, um ihren Geliebten zu suchen, und dabei diverse Abstufungen menschlicher Emotionen und angsttraumatischer Zustände durchlebt. Nahezu psychoanalytisch-protokollarisch sprengt das Werk mit seiner textlich wie musikalisch expressiven Ausdrucksfreiheit die zeitgenössischen Grenzen des Erwartbaren. Der Text stammt aus der Feder der angehenden Wiener Dermatologin Marie Pappenheim, die Schönberg durch Karl Kraus und Alexander von Zemlinsky kennengelernt hatte. Nach einigen gescheiterten Anläufen findet die Uraufführung der Erwartung erst am 6. Juni 1924 im Prager Deutschen Opernhaus im Rahmen des Musikfestes der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik unter der Leitung von Zemlinsky statt. Das Werk erfährt unter Kritikern hohe Anerkennung, etwa als »Protest gegen den Opernkitsch« oder als »ungeheuer dichte Konzentrierung auf einen Seelenzustand«. Ist es am Ende gar dieser Seelenzustand der Einsamkeit, der zur Kenngröße einer alten wie neuen Moderne wird?

Mit Camilla Nylund und Johannes Martin Kränzle werden zwei herausragende Sängerpersönlichkeiten, die der Oper Frankfurt eng verbunden sind, die überaus anspruchsvollen und intensiven Partien der Frau in Schönbergs Erwartung und des Mannes in Frank Martins »Jedermann-Monologen«, lebendig werden lassen.


WARTEN AUF HEUTE
Arnold Schönberg 1874–1951
Frank Martin 1890–1974

VON HEUTE AUF MORGEN Arnold Schönberg Oper in einem Akt / Text von Max Blonda (Pseudonym für Gertrud Schönberg) / Uraufführung 1930, Opernhaus, Frankfurt am Main BEGLEITMUSIK ZU EINER LICHTSPIELSZENE Arnold Schönberg Uraufführung 1930, Krolloper, Berlin SECHS MONOLOGE AUS »JEDERMANN« Frank Martin / Liederzyklus für Bariton und Orchester / Text von Hugo von Hofmannsthal / Uraufführung 1949, Venedig ERWARTUNG Arnold Schönberg / Monodram in einem Akt / Text von Marie Pappenheim / Uraufführung 1924, Neues Deutsches Theater, Prag 

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

PREMIERE Sonntag, 16. Januar
VORSTELLUNGEN 20., 23., 28., 30. Januar / 2., 5. Februar 

MUSIKALISCHE LEITUNG Alexander Soddy INSZENIERUNG David Hermann BÜHNENBILD, VIDEO Jo Schramm KOSTÜME Sibylle Wallum LICHT Joachim Klein DRAMATURGIE Mareike Wink

VON HEUTE AUF MORGEN
EHEFRAU Elizabeth Sutphen EHEMANN Sebastian Geyer FREUNDIN Juanita Lascarro SÄNGER Brian Michael Moore

SECHS MONOLOGE AUS »JEDERMANN«
JEDERMANN Johannes Martin Kränzle

ERWARTUNG
EINE FRAU Camilla Nylund

Mit freundlicher Unterstützung [Logo Patronatsverein]