Neu im Ensemble
Die Kraft der Imagination
Brian Michael Moore, Tenor
Text: Maximilian Enderle
In: Magazin, Januar/Februar 2022, Oper Frankfurt, S. 20 [Publikumszeitschrift]
Football, Baseball, Basketball – damit verbrachte Brian Michael Moore den Großteil seiner Kindheit im Umland von Cincinnati, Ohio. Im Alter von acht Jahren erkrankte er an Knochenkrebs und durfte – obwohl er die Therapie gut überstand – in der Folge keinen Kontaktsport mehr machen. Ein großer Einschnitt für den Jungen: »Ich musste mir einen neuen Kanal für meine Energie suchen und entdeckte das Singen und Theaterspielen für mich.
Während der High School nahm Brian klassischen Gesangsunterricht und hatte sein erstes Solo-Engagement an der Cincinnati Opera als Tierhändler im Rosenkavalier. Dabei wurde sein Bühnenpartner zum unerwarteten Konkurrenten: »Bei meinem Auftritt trug ich einen Chihuahua auf dem Arm. Am nächsten Tag gab es in der Zeitung einen Extra-Artikel über den Hund, ich selbst wurde mit keinem Wort erwähnt«, schmunzelt der Tenor.
Prägende Begegnungen erlebte Brian während seines Studiums an der Manhattan School of Music sowie als Teilnehmer der Young Artist-Programme an der Los Angeles Opera und der Metropolitan Opera: »Ich hatte das Glück, mit Künstler*innen wie Ana María Martínez und Placido Domingo auf der Bühne zu stehen. Von deren Herangehensweise an Rollen konnte ich mir sehr viel für meine eigene Arbeit an größeren Partien abschauen.«
Diese ließen nicht lange auf sich warten: In den USA überzeugte Brian u.a. als Herzog von Mantua (Rigoletto), Mozarts Tamino und Tschaikowskis Lenski (Eugen Onegin), ehe er 2020 ins Ensemble der Oper Frankfurt kam. Von der Qualität der hiesigen Inszenierungen war Brian sofort beeindruckt: »Wirkliche Theaterkunst besteht für mich darin, neue Lesarten von Stoffen zu entwickeln, verborgene Ebenen zu beleuchten und das Publikum zum Nachdenken anzuregen. Das gelingt in Frankfurt immer wieder ausgezeichnet.«
Allein in dieser Saison steht Brian in acht Produktionen auf der Bühne, wobei sein Auftritt als Herzog in Verdis Rigoletto sicherlich den Höhepunkt bildet. Die Partie sang er zum ersten Mal vor sieben Jahren. Nun ist er neugierig darauf, mit der inzwischen gesammelten Erfahrung noch feinere musikalische und darstellerische Nuancen herauszuarbeiten. Unterstützung erhält er dabei auch von seiner Ehefrau Azzurra Steri, einer italienischen Dirigentin: »Sie achtet sehr genau auf meine Aussprache und mein Timing, was sehr hilfreich ist. Ich wiederum kann ihr wertvolle Tipps für die Arbeit mit Sänger*innen geben. Wir sind ein gutes Team.«
Der respektlose Umgang des Herzogs mit Frauen ist Brian fremd, dennoch reizt ihn der Charakter sehr: »Ich liebe es, in Rollen einzusteigen, die auf den ersten Blick wenig mit mir selbst zu tun haben. Beim Spielen geht es mir nicht darum, das Verhalten des Herzogs moralisch zu bewerten, sondern ihn möglichst glaubhaft zu verkörpern. Er muss charmant und impulsiv sein, um die anderen Figuren und das Publikum zu verführen. I’d like to play him as the guy you love to hate.«
Auch privat taucht Brian gerne in andere Welten und Figuren ein: Jeden Sonntag trifft er sich mit Freunden, um das Fantasy-Rollenspiel Dungeons and Dragons zu spielen – live und in Farbe. Dafür entwirft er eigene Charaktere und Szenarien, die den Ausgangspunkt für mehrstündige Improvisationen der Gruppe bilden. Die Kraft der Imagination, die er dabei benötigt, ist für ihn nicht nur die Grundlage seiner Theaterarbeit, sondern auch die Basis für ein gutes menschliches Miteinander: »Unsere Fantasie ist wie ein Muskel, den wir als Kind ganz natürlich benutzen, irgendwann aber verkümmern lassen. Damit jeder von uns immer wieder aus seinem eigenen Schneckenhaus herauskommt, müssen wir diesen Muskel trainieren – und weiter spielen!«