• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Januar/Februar 2020
  • S. 8-9

Ein verhinderter Revolutionär schreibt Musikgeschichte

Text: Mareike Wink

In: Magazin, Januar/Februar 2020, Oper Frankfurt, S. 8-9 [Publikumszeitschrift]

»Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende diese Liebe sich einmal so recht sättigen soll: Ich habe im Kopfe einen Tristan und Isolde entworfen, die einfachste, aber vollblutigste musikalische Konzeption; mit der ›schwarzen Flagge‹, die am Ende weht, will ich mich dann zudecken, um zu sterben«, schreibt Richard Wagner 1854 an seinen Freund Franz Liszt.


Weltverzicht

Nährboden solcher Äußerungen ist Wagners eigene Lebenssituation: Seine Resignation über die auf der Strecke gebliebenen Ziele der Revolution von 1848/49, an der sich der steckbrieflich gesuchte und nach Zürich exilierte Komponist in Dresden beteiligt hatte, verbindet sich mit einem existenziellen Leiden am Leben, das ihn für Schopenhauers Kernmotiv des Weltverzichts empfänglich macht.

Auch ein viel profanerer Aspekt treibt den Künstler um: Die Einnahmen aus seinen durchaus gespielten und viel diskutierten Werken fallen nicht gerade üppig aus, was den selbsternannten »Narr des Luxus« an den Rand des finanziellen Ruins treibt. Einer, der Wagners Anspruch, als Künstler von der Gesellschaft freigestellt zu sein, nachvollziehen kann, ist Otto Wesendonck, Teilhaber einer New Yorker Seidenfirma.


Vom Ende einer Ehe

Gemeinsam mit Ehefrau Minna bezieht der Komponist bald auf Kosten seines Gönners ein Gartenhaus in dessen Züricher Nachbarschaft. Wesendoncks Frau Mathilde begeistert sich recht schnell nicht nur für den Künstler, sondern auch für den Menschen Richard Wagner. Eine Anziehung, die auf Gegenseitigkeit beruht und ihren Ausdruck nicht nur in Wagners Vertonung einiger Gedichte seiner »ersten und einzigen Liebe« findet, in den Wesendonck-Liedern.

Während der Arbeit am ersten Tristan-Aufzug entdeckt Minna einen intimen Brief ihres Ehemanns an Mathilde – der Beginn vom Ende einer zerrütteten Ehe. Kein Wunder, dass das Urteil der enttäuschten Ehefrau Minna über Tristan und Isolde vernichtend ausfällt: »Es ist und bleibt ein gar zu verliebtes und ekliges Paar.« Zugleich fasst sie in Worte, was der bürgerlichen Moral an dem Jahrhunderte alten Stoff aus dem keltischen Sagenkreis aufstößt: die dargestellte Dreieckskonstellation und die verherrlichte Liebe fernab jedes konventionellen Ehe-Entwurfs.


Sagenumwoben

Das Sujet beschäftigt Künstler sämtlicher Sparten seit dem Mittelalter. Eine der grundlegenden Fassungen ist Gottfried von Straßburgs fragmentarischer Versroman Tristan aus dem 13. Jahrhundert. Weitere Auseinandersetzungen aus dem 19. Jahrhundert stammen etwa von Bettina von Arnim, Brentano oder Schlegel, aber auch von Donizetti (Der Liebestrank).

Wagner ist durch seine Studien der mittelalterlichen deutschen Literatur mit Straßburgs Roman vertraut, Donizettis Dramma giocoso hatte er in Dresden bereits selbst dirigiert und im Austausch mit den Komponisten-Kollegen Robert Schumann und Ferdinand Hiller die Thematik als mögliche Textvorlage eines Bühnenwerks immer wieder ausführlich diskutiert. Schließlich war es aber die Dramatisierung durch den Schumann-Schüler Karl Ritter, die weniger Wagners Beifall fand, ihn aber gerade deshalb zu einer eigenen Tristan-Version anstachelte: Das Unsittliche färbt er, beeinflusst von der Schwarzen Romantik, tief tragisch und erzählt die Geschichte vom Ehebruch als Tragödie einer Liebe. Deren Kern fasst Wagner in seiner Werkbeschreibung zusammen als »Sehnsucht, Sehnsucht, unstillbares, ewig neu sich gebärdendes Verlangen – Schmachten und Dürsten; einzige Erlösung – Tod, Sterben, Untergehen, Nichtmehrerwachen«.


»Schnell geschrieben und leicht aufführbar«

Wagners Erarbeitung von Tristan und Isolde fällt mitten hinein in die Komposition seines Opus magnum: Der Ring des Nibelungen. Das Rheingold ist bereits abgeschlossen, die Arbeit an der Walküre in vollem Gange, als er sich entschließt, eine neue Oper – »schnell geschrieben und leicht aufführbar« – zu komponieren, in der Hoffnung, seinen materiellen Sorgen vorläufig Abhilfe zu schaffen.

Von den eingangs zitierten ersten Überlegungen bis zur Beendigung des Textbuchs vergehen allerdings ganze drei Jahre, was aufgrund der Doppelbelastung mit dem Ring kaum verwundert. Wagner legt nicht nur die Walküre vollständig vor, sondern auch den ersten und den Entwurf des zweiten Siegfried-Aufzugs, ehe er sich gänzlich dem Tristan widmet. Dessen erster Aufzug entsteht in Zürich, der zweite in Venedig, und mit dem dritten beschließt Wagner die Oper nach einer Arbeitsphase von zwei Jahren 1859 in Luzern.

Dass die Oper erst sechs Jahre nach ihrer Vollendung – und nach mehreren Anläufen in verschiedenen Städten – auf Befehl des Wagner-Verehrers König Ludwig II. am 10. Juni 1865 in München uraufgeführt und euphorisch gefeiert wird, liegt größtenteils an der zweiten nicht umgesetzten Bedingung, mit der Wagner an dieses Projekt herangetreten war. Denn mit seinen virtuosen Partien galt Tristan und Isolde, jenes Werk, das der Dirigent der Uraufführung Hans von Bülow als »Wagners potentestes« im Hinblick auf seinen Erfindungsreichtum bezeichnete, zwischenzeitlich sogar als »unaufführbar«. Drei Monate vor der Uraufführung kommt Isolde zur Welt – das erste Kind Richard Wagners mit seiner späteren zweiten Ehefrau Cosima, Tochter von Franz Liszt, die noch bis 1870 mit Hans von Bülow verheiratet bleiben sollte.


Wegweisende Klänge

Wagner selbst spricht im Nachhinein von einem »Bedürfnis, sich musikalisch auszurasen«, und von »der vollsten Freiheit und gänzlichsten Rücksichtslosigkeit gegen jedes theoretische Bedenken«. Er revolutioniert die Harmonik – mit zahlreichen Dissonanzen und chromatischen Wendungen, die sich oft kaum eindeutig definieren lassen, dabei aber stets im Dienste eines werkimmanenten Gefühlslebens bleiben, das der Komponist »zwischen äußerstem Wonneverlangen und allerentschiedenster Todessehnsucht« ansiedelt. Prominentester Zeuge: der vielbesprochene und den Weg für die Musik der Moderne eröffnende Tristan-Akkord, in dem die Spannung der Dissonanz nicht mehr regelkonform in einer Konsonanz aufgelöst wird, sondern bestehen bleibt.

 


 

TRISTAN UND ISOLDE
Richard Wagner 1813–1883

HANDLUNG IN DREI AUFZÜGEN / URAUFFÜHRUNG 1865
Text vom Komponisten nach Gottfried von Straßburg. In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

PREMIERE Sonntag, 19. Januar
VORSTELLUNGEN 25. Januar / 1., 9., 14., 23., 29. Februar / 12., 20., 28. Juni / 2. Juli

MUSIKALISCHE LEITUNG Sebastian Weigle INSZENIERUNG Katharina Thoma BÜHNENBILD Johannes Leiacker KOSTÜME Irina Bartels LICHT Olaf Winter CHOR Tilman Michael DRAMATURGIE Mareike Wink

TRISTAN Vincent Wolfsteiner ISOLDE Rachel Nicholls KÖNIG MARKE Andreas Bauer Kanabas / Falk Struckmann (Juni / Juli) BRANGÄNE Claudia Mahnke / Tanja Ariane Baumgartner (Juni / Juli) KURWENAL Christoph Pohl / Simon Bailey (Juni / Juli) MELOT Iain MacNeil EIN HIRTE Tianji Lin° EIN STEUERMANN Liviu Holender STIMME EINES JUNGEN SEEMANNS Michael Porter / Michael Petruccelli° (14., 23.2.)

° Mitglied des Opernstudios