• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Januar/Februar 2020
  • S. 20-21

Scherzo? Mit tödlichem Ausgang!

Text: Zsolt Horpácsy

In: Magazin, Januar/Februar 2020, Oper Frankfurt, S. 20-21 [Publikumszeitschrift]

Es war um 1900 sicherlich nicht einfach, sich dem berühmtesten Exzentriker, dem »Phänomen« Oscar Wilde und seinem skandalträchtigen Dramolett Salomé zu entziehen. So ging es auch dem 40-jährigen Richard Strauss, der um 1904 bereits zu den wichtigsten Dirigenten und Komponisten seiner Zeit zählte. Es ist zu vermuten, dass er fast zwangsläufig in den Bannkreis von Wildes überzogenen Akzenten und dessen Bildgewalt geraten war.

Die Urquellen der Dramenvorlage, die Evangelien von Markus und Matthäus, enthalten nicht einmal den Namen der Protagonistin. Sie berichten nur am Rande von einem ausgelassenen Geburtstagsfest des – von den Römern eingesetzten – jüdischen Tetrarchen Herodes. Dort soll ein hübsches Mädchen vor den Gästen getanzt und den Antipas dermaßen begeistert haben, dass er schwor, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Der Name Salome taucht erst viel später in einer Schrift des jüdisch-römischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus auf.

Blick auf das Unbewusste

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war von »dieser kleinen Tänzerin« wie besessen. Eine regelrechte Salome-Epidemie grassierte, von der fast alle Kunstgattungen betroffen waren. Nach Gustav Flauberts Erzählung, Stéphane Mallarmés visionären Versen, Jules Massenets Oper oder Gustav Moreaus Gemälde markierte Oscar Wildes Dramolett in dieser Kette jedoch einen neuen, richtungsweisenden Schritt, der einen tiefen Blick auf das Unbewusste und die überwältigende Kraft der Triebe warf. Salome als der männermordende Vamp steht hier im Brennpunkt einer Geschichte, die eine breite Emotionsskala zwischen Liebe und Tod schamlos auslotet und durch ihre extremen Wendungen eine ganze Epoche mit ihren Umbrüchen porträtiert.

Inspiriert vom bekannten irischen Dandy schwebte dem aufstrebenden Strauss ein Experiment mit hypersensiblen und expressionistisch gefärbten Klangwelten vor. Sein drittes Bühnenwerk nach Guntram und Feuersnot sollte überraschen, provozieren, aufrütteln – und ihm zum durchschlagenden Erfolg auch als Opernkomponist verhelfen. Das Salome-Projekt ging mit all seinen Risiken und Nebenwirkungen perfekt auf: Trotz – oder gerade aufgrund – all der anfänglichen Skandale, Proteste und Verbotsforderungen bedeutete der Einakter für Strauss den Beginn einer auch finanziell höchst erfolgreichen Karriere. Kaum setzte sich Salome in der Opernwelt durch, waren platte Klischees im Spiel: Das Bild von einer »Männerfresserin«, das »der Inkarnation einer rätselhaften weiblichen Lust« oder das »des Inbegriffs einer dekadenten Verbindung von Liebe und Tod«. Begriffe, die durch die Vereinfachung der schillernden, chamäleonartigen Titelfigur manche Interpretation ordentlich fehlgeleitet haben.

Durch Strauss’ Bearbeitung und Raffung der von Hedwig Lachmann ins Deutsche übersetzten Vorlage Wildes wurden die extremen Kontraste auf die Spitze getrieben. Sein »Wunsch nach schärfster Personencharakteristik« führte den Komponisten zur Sprengung der traditionellen Harmonik. Strauss verabschiedete sich hier vom Wohlklang Richard Wagners und verfolgte wie besessen und mutig wie später nie wieder seine Vision. Seine Partitur überwältigt mit krassen Wechseln der Klangfarben und völlig unerwarteten rhythmischen Lösungen. »Ein Scherzo mit tödlichem Ausgang« nannte Strauss in einem Brief an Stefan Zweig sein bahnbrechendes Werk. Ein Bonmot? Keineswegs. Vielmehr handelt es sich um die exakte Beschreibung einer verstörenden Partitur.

Salomes rätselhafte Aura und Wirkung auf ihre Umgebung wurde hier nicht mehr der gewöhnlichen Dramaturgie der Epoche entsprechend als zusammenhängende Kette von Episoden dargestellt. Diese verblüffende dramatische Form verzichtet auf eine logische Handlungserzählung. Metaphern und Symbolismen (wie z.B. der Mond) umrahmen die Geschichte und fügen ihre Szenen zusammen. Auffällig isoliert wirken dabei die Figuren: Sie kommen selten in intakten Dialogen miteinander ins Gespräch und wirken wie skizzenhafte Erscheinungen, die sich in einer morbiden, surrealen Welt bewegen. Die Vorgeschichte und die sich möglicherweise daraus ergebende Motivation spielt plötzlich keine Rolle mehr. Es geht um das Hier und Jetzt – um ein Aufeinandertreffen von überzeichneten, monströsen Figuren inmitten eines fürchterlichen Albtraums.

Maikäfer in der Hose

Wie im Rausch komponiert, ahnte Strauss, dass Salome die konservativen Zeitgenossen überfordern würde. Es war zu erwarten, dass die Uraufführung, um die sich Gustav Mahler für Wien bemüht hatte und die wegen der dortigen Zensur am Königlichen Opernhaus in Dresden stattfand, ein Skandal werden würde. Bezeichnend war auch die Reaktion seines Vaters: Als ihm der Sohn den Einakter auf dem Klavier vorspielte, rief er aus: »Gott, diese nervöse Musik! Das ist ja gerade, als wenn einem lauter Maikäfer in der Hose herumkrabbelten!« Noch treffender die Meinung Cosima Wagners: »Das ist der Wahnsinn!« Ja, sie hatte recht. Salome fordert heraus. Immer, überall. Ein genial durchkomponiertes Horrorszenario, das jeden aus der Reserve lockt.
 



SALOME
Richard Strauss 1864–1949

DRAMA IN EINEM AUFZUG / URAUFFÜHRUNG 1905
Text von Richard Strauss nach Oscar Wilde. In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

PREMIERE Sonntag, 1. März 2020
VORSTELLUNGEN 5., 8., 13., 20., 26., 29. März / 4., 10., 13. April 2020

MUSIKALISCHE LEITUNG Joana Mallwitz INSZENIERUNG Barrie Kosky BÜHNENBILD UND KOSTÜME Katrin Lea Tag LICHT Joachim Klein DRAMATURGIE Zsolt Horpácsy

SALOME Ambur Braid JOCHANAAN Christopher Maltman HERODES AJ Glueckert HERODIAS Claudia Mahnke NARRABOTH Gerard Schneider EIN PAGE DER HERODIAS Katharina Magiera 1. JUDE Theo Lebow 2. JUDE Michael McCown 3. JUDE Jaeil Kim 4. JUDE Jonathan Abernethy 5. JUDE Alfred Reiter 1. NAZARENER Thomas Faulkner 2. NAZARENER Danylo Matviienko° 1. SOLDAT Dietrich Volle 2. SOLDAT Pilgoo Kang°

° Mitglied des Opernstudios