Nehmen Sie sich „con brio“ ernst!
Text: Norbert Trawöger
In: Foyer5, # 16 | Jänner-März 2020, Landestheater Linz, S. 52 [Publikumszeitschrift]
„Schön war es, aber ich verstehe ja nichts davon!“, bekommen Musikerinnen und Musiker nicht selten nach Konzerten zu hören. Ich kontere meist, dass ich auch nicht viel davon verstehe, obwohl ich gründlich Musik studiert habe. Ich kenne Zusammenhänge, vermag manches vielleicht in seiner Bauweise zu analysieren, und natürlich schärft mehrmaliges Hören von Stücken die Wahrnehmung – keine Frage. Im Bewusstsein steckt das Wissen, welches mithelfen kann, bewusster zu hören. Aber genauso gut, oft und gern, ablenken kann, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann. Wenn man sich zu sehr auf das Gewusste konzentriert, hört man meist nur sehr eingeschränkt auf Details. Großer Kunst wohnt immer ein Geheimnis inne. Wenn alles erklärt und verstanden werden könnte, würde es sich wohl nicht um ein Kunstwerk handeln. Es gibt viel zu begreifen, wenn man ergriffen ist. Es passiert, dass man einen magischen Raum betritt, unterhalten oder irritiert wird. Alles ist möglich, sogar das Unmögliche! Sie sollten vor allem Ihren Gefühlen über den Weg, Ihrer Stimmung trauen. Diese stimmen für Sie sicher, auch wenn die Sitznachbarin ganz anderer Meinung ist oder es besser weiß. Offenheit und Einlassen können gute Türöffner sein. Jede, jeder hört ihre, seine Sinfonie, auch wenn alle dem gleichen Stück lauschen. Alles hat Bedeutung, wenn wir uns zuwenden. Zuwendung heißt wahrnehmen. Wir nehmen wahr, was wir für wahr nehmen. Auch das Gegenteil kann wahr sein. Bleiben Sie spielerisch und nehmen Sie sich „con brio“ ernst. Im selben Sinne, wie Balduin Sulzer „con brio“ als „unabdingbare Grundbefindlichkeit eines ernstzunehmenden Musikers“ definiert hat. Ich denke, das gilt für Spielende und Hörende gleichermaßen.
Norbert Trawöger
Künstlerischer Direktor
Bruckner Orchester Linz
- Quelle:
- Foyer5
- Landestheater Linz
- # 16 | Jänner-März 2020
- S. 52
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