• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Dezember 2007, Januar/Februar 2008
  • S. 9-10

Die gescheiterte Lichtbringerin

Geheimnisse einer Opernsinfonie

Text: Zsolt Horpácsy

In: Magazin, Dezember 2007, Januar/Februar 2008, Oper Frankfurt, S. 9-10 [Publikumszeitschrift]

Debussy hatte sie 1902 für die weib­liche Hauptpartie von Pelléas et Mélisande abgelehnt. Die wegen ihrer permanenten Temperamentsausbrüche berüchtigte hochdramatische Sängerin Georgette Leblanc durfte in der Vertonung des Schauspiels zu­nächst nicht auftreten, obwohl ihr Lebensgefährte Maurice Maeterlinck das Stück geschrieben hatte. Ein unglaublicher Affront! Die narzisstische Kränkung markiert den Anfang einer der merkwürdigsten Entstehungsgeschichten der Opernliteratur.

Nicht nur der ungewöhnlichen Vorgänge wegen gehört Ariane et Barbe-Bleue zu den »Außenseitern« des Musiktheaters. Schon der Stoff lässt sich schwer einordnen: Maeterlinck überblendet in seinem Libretto den Ariadne-Mythos und das Märchen vom Blaubart und lässt zudem eigene Erfahrungen aus dem Zusammenleben mit seiner willensstarken Gefährtin einfließen. Ihre Forderung, er möge sich doch in seinen Stücken auch der be­dürftigen Menschen annehmen, lehnte Maeterlinck zwar ab, schrieb aber dann in seinem Tagebuch diverse Aussagen Leblancs zu diesem Thema nieder und arbeitete sie später in sein Werk ein.

Der Belgier Maeterlinck, eine literarische Schlüsselfigur seiner Zeit, inspirierte mit seinen Texten so unterschiedliche Musikerpersönlichkeiten wie Gabriel Fauré, Jean Sibelius, Arnold Schönberg und ganz besonders: Claude Debussy. Selbst seine wissenschaftlichen Abhandlungen Das Leben der Bienen und Das Leben der Ameisen wurden zu Bestsellern.

Ursprünglich hatte der Dichter beabsichtigt, ein aktuelles, realistisches Stück zu schreiben, dann griff er aber doch auf die Figur des Blaubart aus dem Märchen von Charles Perrault (1697) sowie auf den Mythos von Ariadne, der Tochter des Königs Minos, Lichtbringerin und Retterin des Theseus aus dem Labyrinth, zurück. Das Manuskript war – im Gegensatz zum ursprünglich als Schauspiel konzipierten Stück Pelléas et Mélisande – von Anfang an als Libretto geplant, als eine Art Anti-Pelléas, mit einer zentralen Paraderolle für die gekränkte Sängerin Mme Leblanc.

Maurice Maeterlincks Textbuch bezeichnet in der Stoffgeschichte vom Ritter Blaubart einen Wendepunkt. Blaubarts sechste Frau ist bei Maeterlinck kein Opfer, sondern eine außer­gewöhnlich starke Figur mit mythischen Zügen, die in eine Kunstmärchenwelt eindringt und die ursprünglichen Abläufe der Blaubart-Tradition zu brechen sucht. Überdimensional steht eine mythische Heldin einer mächtigen, und doch bereits angeschlagenen, männlichen Märchenfigur gegenüber.

Die Handlung lässt sich zwar leicht zusammenfassen, doch jeder einzelne Vorgang steht für die rätselhaften Bewegungen des Seelenlebens; vor allem die Regungen und Zustände der Protagonistin, die mit ihrer mythisch-missionarischen Haltung (und wuchtigem Klang) die gesamte Oper beherrscht. Die anderen, ihre Amme, der Titelheld und seine Frauen, werden durch sie definiert, doch bleiben sie dabei mehr oder weniger wichtige Randfiguren.

Nach Fertigstellung des Librettos, das deutlich erkennbar von Mme Leblanc beeinflusst wurde und auch eine Auseinandersetzung mit ihr darstellt, schwankte Maeterlinck bei der Komponistenwahl zwischen Edvard Grieg und Paul Dukas, für den er sich 1899 entschied. Dukas arbeitete sieben Jahre an dem Werk. Er galt bei seinen Zeitgenossen als verschlossener, extrem selbstkritischer Einzel­gänger. »Die Persönlichkeit von Dukas. Ihr erster Aspekt: eine ungeheure Kultur«, schrieb sein Schüler Olivier Messiaen 1936.

Dukas kompositorische Laufbahn fing vielversprechend an. Am Pariser Conservatoire studierte er bei Ernest Guiraud, dessen Klasse auch Debussy besuchte. Mit Eine Kantate gewann er den Zweiten Rom-Preis, eine Sinfonie, eine Klaviersonate und die Rameau-Variationen entstanden. 1887 endlich, zwei Jahre vor Beginn der Kompositionsarbeit an Ariane, brachte ihm das Orchester-Scherzo Der Zauberlehrling (nach Goethe), den ersten, durchschlagenden Erfolg. Dieses bravourös instrumentierte Stück wurde zu seinem einzigen Werk, das sich im Repertoire dauerhaft behaupten konnte.

1909 wurde Dukas zum Professor am Pariser Conservatoire ernannt, 1911 erschien sein für die Truppe von Diaghilew komponiertes Ballett La Péri. 1912 verstummte der Komponist plötzlich. Fortan unterrichtete er nur noch, schrieb Kritiken, Essays und vernichtete einen Großteil seiner Kompositionen. Mit großer Skepsis und übermäßig scharfer Selbstkritik betrachtete er auch seine noch übrig gebliebenen Werke. »Die Flasche, die ich ins Meer warf? Ich mache mir kaum Illusionen über die Zahl, die ihre Botschaft entziffert haben dürften« – äußerte er sich über sein einziges Werk fürs Musiktheater.

Auffallend in seiner Oper ist, dass die männliche Titel­figur nur knapp dreißig Takte singt und sich ansonsten lediglich durch Gesten verständlich macht. Seine Macht drückt sich vor allem im Orchesterpart aus, wie etwa die Edelsteine im ersten Akt und das schwach schimmernde Licht im zweiten durch Klangfarben im Orchester synästhetisch dargestellt werden. Blaubarts fünf Frauen tragen alle Namen aus früheren Werken Maeterlincks, in denen sie, wie im Barbe-Bleue, das Leben und seine unverständliche Ordnung geradezu sprachlos erleiden. Erst Ariane rebelliert gegen die Lethargie des symbolistischen Fatalismus.

Dukas´ Musik passt sich dem von Debussy geprägten Impressionismus an, verzichtet jedoch auf die Schwerelosigkeit des Klangs. Deutlich ist seine Musik auch von Richard Strauss inspiriert, erinnert in ihrer Sonorität an César Francks Œuvre. Trotz dieser starken Einflüsse bleibt sie da­­bei doch ganz und gar eigenständig – die Partitur präsentiert eine ungewöhnlich reiche Farbpalette und zeichnet sich durch brillante Instrumentation aus.

Ein Rätsel, warum dieses Werk so lange verkannt war. Vielleicht liegt es daran, dass Dukas darin die meisten Grundregeln der Operndramaturgie außer Acht lässt und eigensinnige, ungewöhnliche Mittel einsetzt. Ariane et Barbe-Bleue wirkt wie eine symbolistische Opernsinfonie, die von einer mythischen Frauenfigur bewegt, getragen und aufgelöst wird. Als Arianes Mission scheitert, verlässt sie resigniert das Schloss. Nach zwei Stunden orchestraler und vokaler Pracht löst sich nun auch die Musik auf, die üppig instrumentierte Partitur endet stumm.

Zum Glück wird Maeterlincks-Dukas´ »Flaschenpost« nun endlich immer häufiger geöffnet. Ihre bewusst verschlüsselte, rätselhafte Botschaft fordert Interpreten und Publikum heraus, in ihre ungewöhnlich faszinierende Welt einzutauchen und ihre eigensinnige Schönheit zu entdecken.

 


Handlung Ariane et Barbe-Bleue

Fünf Frauen von Herzog Blaubart sind in den letzten Jahren spurlos verschwunden. Mit ihrer Amme betritt Ariane, Blaubarts sechste Frau, sein Schloss. Sie lässt sich vom Reichtum des Herzogs nicht blenden, geht direkt auf die von Blaubart verbotene Tür zu und findet in der Kellergruft die fünf verschüchterten, im Dunkel dahinvegetierenden Frauen. Ariane gelingt es, den Frauen den Weg in die Freiheit zu zeigen und ihnen ein neues Selbstwertgefühl zu geben. Die endgültige Flucht lehnen sie aber ab und ziehen es vor, bei ihrem im Befreiungskampf verletzten Blaubart zu bleiben. Ariane muss alleine gehen.

 

PREMIERE Ariane et Barbe-Bleue, Paul Dukas
Sonntag, 10. Februar 2008
Weitere Vorstellungen: 16., 21. Februar; 1., 7., 14., 16. März 2008

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Märchen in drei Akten
Text von Maurice Maeterlinck
Uraufführung am 10. Mai 1907, Opéra-Comique, Salle Favart, Paris

Musikalische Leitung Paolo Carignani I Regie Sandra Leupold I Bühnenbild Dirk Becker I Kostüme Mareike Uhlig I Dramaturgie Zsolt Horpácsy I Licht Olaf Winter I Chor Alessandro Zuppardo

Ariane Katarina Karnéus I La Nourrice Elzbieta Ardam I Barbe-Bleue Dietrich Volle I Sélysette Stella Grigorian I Mélisande Barbara Zechmeister I Ygraine Britta Stallmeister I Bellangère Nina Schubert

PDF-Download

Artikelliste dieser Ausgabe