• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Februar/März 2007 (Fragment)
  • S. 13-14

Mythologie des Gerüchts

Zur Erfindung des Todesfalls Mozart

Text: Norbert Abels

In: Magazin, Februar/März 2007 (Fragment), Oper Frankfurt, S. 13-14 [Publikumszeitschrift]

Jemand musste Antonio Salieri verleumdet haben. Wer aber warf den ersten Stein? Wer streute das Gerücht? Und wann wurde dieses Gerücht zum Gericht, zum Prozess gegen den reputierten Hofkomponisten und das Haupt der italienischen Fraktion des habsburgischen Musikbetriebes? Gegen den einstigen Schüler des großen Pietro Metastasio und des späteren Lehrers des jungen Franz Schubert?

Gerüchte sind kaum je zum Schweigen zu bringen. Das Gerücht über Mozarts Ermordung durch Salieri hat seine Resistenz gegen alle auf Faktenmaterial basierenden Widerlegungen bis zum Amadeusfilm nach Peter Shaffers Theaterstück Amadeus mühelos behaupten können. Die Verleumdung, so erklärt uns Beaumarchais’ Don Basilio, sei zunächst nur ein Lufthauch, später aber ein Hurrikan. Da werden Köpfe und Hirne plötzlich taub, schwellen an und geraten zum Erdbeben. Salieri und Beaumarchais waren übrigens befreundet. Der allemal jakobinischen Neigungen nachhängende Komponist wohnte gelegentlich im Pariser Domizil des Theaterdichters, der auch als Friedensrichter, Geheimagent und Spekulant arbeitete.

»Mensch!, deine Größe auf Erden verdankst du Charakter und Tat«, so hieß es gegen Schluss von Salieris aufrührerischer Beaumarchais-Vertonung Tarare, deren Librettist niemand anders war als Lorenzo Da Ponte, ein Grenzgänger und Bote zwischen dem italienischen und dem österreichischen Komponisten wie auch Franz Xaver Süßmayr, der nach Mozarts Tod dessen unvollendetes Requiem zu Ende komponierte. Ein weiterer Fall für Gerüchte aller Art wie etwa: war Süßmayr ein Agent Salieris, war er der Vater von Mozarts vermeintlichem Sohn, der nach ihm genannt worden war. Wir kennen, um auf Mozarts Tod und sein letztes Werk zu kommen, keine einzige authentische Bemerkung zu dessen Todesmesse. Was wir kennen, stützt sich auf vage Formulierungen aus späteren Zeiten, auf stilisierte Erinnerungen oder Constanzes Versuche, die Authentizität des Werkes vorm Hintergrund durchaus pekuniärer Interessen immerzu fortzutradieren. 

Wie dem auch sei. Die aus Missgunst, Sensationslust zusammengesetzte Logorrhö, das unaufhörliche Geschwätz über Mozarts Tod und sein Requiem währt bis zum heutigen Tag an. Am Ende seines Lebens hat der greise Salieri sich gegenüber dem Prager Pianisten, Komponisten und Freund Beethovens, Ignaz Moscheles, zu den in den zwanziger Jahren immer bedrohlicher werdenden Gerücht mit angstvoller Resignation geäußert. Schon damals also schien ausgemacht, was Rossinis Verleumdungsarie bereits 1816 so festhielt: »Und der Arme, so verleumdet, erniedrigt und getreten, muss unter der öffentlichen Geißel unaufhaltsam zugrunde gehen.«

Unmittelbar nach Mozarts Tod am 5. Dezember 1791 dachte noch niemand an Mord. Noch heute streiten sich medizinische Gutachten mit immer neuen Krankheitshypothesen, darunter von Quecksilbervergiftung – das geschätzte die Syphilis heilende »schwarze Pulver«–, Morbus Basedow, Niereninsuffienz oder Rachitis. Man hat die Experimentierlust mit Arzneien zurückgeführt auf Leopold Mozarts Hobbyapothekertum, seine Lust am Mischen von Pulvern. Mozart schluckte noch auf dem Sterbebett die unterschiedlichsten Drogen, wohl auch Quecksilbersalze, Brechweinstein und sogar Arsen. Es existiert da inzwischen eine ganze Reihe medizinischer Untersuchungen, die häufig die Medikamentenmissbrauchshypothese vertreten. – Mit dem »Musikalischen Wochenblatt«, das eine Woche nach Mozarts Tod erschien, setzten dann die Vergiftungsgerüchte ein. Sogleich geriet Salieri unter Verdacht. Man unterstellte ihm Eifersucht. Er musste sich zur Wehr setzen, sich um Augenzeugen kümmern, Gutachten anfordern und dergleichen mehr. Es nutzte nichts. Alle anderen Gerüchtsobjekte – Gläubiger, Schüler, Jesuiten, Freimaurer – büßten in der Dramaturgie des Geschwätzes gegen Salieri ihre Prominenz ein. Ausgerechnet Alexander Puschkin, der Dichter, der selbst das Opfer einer schamlosen, immerfort Gerüchte um sein »maurisches Blut« verbreitenden Kamarilla geworden ist, goss in der kleinen Tragödie Mozart und Salieri, 1831 veröffentlicht, neues Öl in das Feuer. Dabei ging es ihm nachweisbar nicht um die wirkliche Existenz der beiden Komponisten, sondern um den tragisch eskalierenden Antagonismus zweier irreversibel konträrer ästhetischer Positionen und Anschauungen über das Wesen des Kunstwerks sowie das originäre Schaffen des Künstlers. Salieris existentielle Situation bei Puschkin könnte kaum desolater sein. Salieri ist ein Verlassener, der die Kunst einst liebte, frei von Eifersucht und Neid, durch die inkommensurable und genuine musikalische Kraft seines Kontrahen, »des faulen Müßiggängers Mozart« aber unrettbar von seinem »Handwerk« – »Die Harmonien maß ich mit der Algebra« – getrennt wurde. Sein Lebenselixier wird der Hass. Schließlich ersetzt er die Musik durch das Gift, dessen Zubereitung er wie diese benennt: »ein Handwerk«.

Nikolai Rimski-Korsakow las Puschkins Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Antinomie von genuineer und reproduktiver Schaffenskraft nicht unparteiisch. Immer zog ihn die »cherubische Gestalt« Mozart an, ein Komponist – so sein Biograf Iwan Lapschin – »den er über alles verehrte und der seinem Herzen sehr nahe stand«. Der leise Es-Dur-Beginn der als Adagio ausgewiesenen, im Dreiertakt stehenden Ouvertüre gibt bereits die Klangwerdung dieser Verehrung. Mit dem hart im Viervierteltakt einsetzenden Monolog Salieris »Es gibt kein Recht in dieser Welt« ändert sich sogleich die Farbe. Die beiden Welten kennen keine gemeinsame Mitte. Eben davon sollten die beiden rezitativisch-arios angelegten Opernszenen, 1897 vollendet, handeln. Ein einziges Mozartmotiv, das Salieri kurioserweise einer in der Mozart’schen Manier geschriebenen Beethoven-Sonate entlehnt, wird zum Ferment des unstillbaren Ressentiments des Hofkomponisten. Rimski-Korsakow hat sich eng an Puschkins Text gehalten und vor allem dessen Akzentuierung des schöpferischen Augenblicks musikalisch auszuleuchten versucht. Dessen Zenit wird dadurch erreicht, dass nach einer zielgerechten Vorbereitung Salieris eigene Musik durch Mozarts Requiem für ganze fünf Minuten ersetzt wird: eine unverhältnismäßige große Sequenz in einem nur knapp vierzigminütigen Werk, zugleich aber eine konsequente Eloge auf die Unaustauschbarkeit des Genialen.

Mozarts Tod und das Requiem: beides wurde zum Grundparadigma der Instrumentalisierung des Komponisten für eine Mythologie der Sensation, für einen nie versiegenden Redefluss, für eine zum Zwecke des Verklärungsbedürfnisses allzeit bereite Rezeptionsgeschichte. Das Genie Mozart siegte über den Menschen, der diesen Namen trug. Die kompakte Majorität verwaltet das Gerücht mit immer noch steigender Tendenz.

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