• Foyer5
  • Landestheater Linz
  • # 23 | April-Juni 2022
  • S. 23-25

„Wie hast du’s mit der Religion?“

Biblisches auf der Bühne

Text: Christoph Blitt

In: Foyer5, # 23 | April-Juni 2022, Landestheater Linz, S. 23-25 [Publikumszeitschrift]

Richard Wagner hatte bekanntlich ein großes Faible für Religiöses in seinen Opern, wenn er hier immer wieder christliches Gedankengut thematisierte. So verwundert es nicht, dass er eine Zeit lang überlegte, auch Jesus von Nazareth selbst zum Titelhelden einer Oper zu machen. Unter dem Einfluss der Revolution von 1848/1849 verfasste er einen entsprechenden Textentwurf. Doch Michail Bakunin, der einer der führenden Vordenker der damaligen Barrikadenkämpfer war, hatte nur Spott für Wagners Opernprojekt übrig. So schreibt Wagner in seiner Autobiografie Mein Leben: „Bakunin bat mich, Jesus jedenfalls als schwach erscheinen zu lassen. In Betreff der Musik riet er mir in allen Variationen die Komposition nur eines Textes an: Der Tenor solle singen ‚Köpfet ihn!‘, der Sopran: ‚Hängt ihn!‘ und der Basso continuo: ‚Feuer, Feuer!‘“

Zum einen spricht aus diesen Zeilen der Widerwillen Bakunins gegen alles Religiöse. Zum anderen verweist aber die Ironie der Formulierungen auf die Schwierigkeiten, die auf einen warten, wenn man sich anschickt, geistliche Themen auf der Opernbühne verhandeln zu wollen. Denn die Komplexität, die theologischen Fragestellungen nun einmal zu eigen ist, steht in einem Widerspruch zu der Notwendigkeit, in einem Opernlibretto die Dinge eher knapp zu fassen.

Dennoch sehnt sich auch das Musiktheater immer wieder nach geistlicher Nahrung. Das Neue Testament, bei dem die Verbreitung der christlichen Weltanschauung im Vordergrund steht, mag – wie uns Bakunin gerade gelehrt hat – da nur bedingt geeignete Vorlagen liefern. Aber es gibt ja noch das Alte Testament, das neben theologischem Gedankengut auch wirklich gute dramatische Geschichten bereithält, die sich für eine musiktheatrale Realisierung auch bestens anbieten. Davon künden Werke wie etwa Gioachino Rossinis Moses-Oper(n), Giuseppe Verdis Nabucco oder Camille Saint-Saëns Samson et Dalila. Natürlich stehen in den genannten Stücken die theaterwirksamen Vorgänge im Vordergrund, was gleichzeitig mit einer Vereinfachung oder Reduzierung der theologischen Implikationen des jeweiligen Stoffes einhergeht. Dementsprechend gab es hier auch immer wieder Bestrebungen, auf der Opernbühne die religiösen Aspekte stärker zu berücksichtigen. Eines der Hauptwerke stellt aber ohne Zweifel Arnold Schönbergs inhaltlich und musikalisch hochkomplexe Oper Moses und Aron dar. Gerade weil aber diese Schöpfung an tiefen Bedeutungsebenen rührt, besteht hier die Gefahr, dass eine allzu realistische Inszenierung dieses Werks, die die Handlung in der Art eines Technicolor-Sandalenfilms präsentieren müsste, die theologische Aussage wiederum verkürzt und verkleinert. Um diese Gefahr wusste Schönbergs amerikanischer Kollege und Zeitgenosse George Antheil, als er den Entschluss gefasst hatte, die Geschichte des biblischen Brudermords von Kain und Abel unter dem Titel The Brothers für die Opernbühne zu adaptieren. Dementsprechend trat er in seinem Libretto die Flucht nach vorn an, indem er die alttestamentarische Handlung in seine amerikanische Gegenwart der 1950er Jahre verlegte. Um jegliche plakative Wirkung zu vermeiden, verwandelte er die Geschichte in einen subtilen Psychothriller, bei dem die biblische Erzählung durch jede Wendung der Erzählung blitzt, ohne sich aber penetrant in den Vordergrund zu drängen. Das ist ein äußerst suggestives Verfahren, um Theologisches ohne Sinnverlust auf die Opernbühne zu transferieren.

Manch einer mag jetzt trotzdem einwenden, dass das Musiktheater vielleicht tatsächlich nicht das richtige Medium ist, um Religiöses mit einer dem Gegenstand angemessenen Seriosität zu thematisieren. Immerhin gibt es dafür mit dem Oratorium eine eigene Gattung. Dennoch kann man beobachten, dass das Verlangen der Opernschaffenden und deren Publikum nach Religiösem gerade in einer technisierten und säkularisierten Gesellschaft groß zu sein scheint. Oder wie kann man sich sonst erklären, dass szenische Realisierungen von Oratorien immer häufiger auf den Spielplänen zu finden sind?

Diese hier skizzierte Spannweite zwischen religiösen Inhalten, die in eine Oper transferiert werden, und einem geistlichen Oratorium, das szenisch realisiert wird, lotet die neue Produktion des Oberösterreichischen Opernstudio aus, wenn sie zum einen George Antheils musiktheatrale Adaption des Kain und Abel-Themas mit einer Inszenierung von Bernardo Pasquinis Oratorium Caino et Abel aus dem Jahr 1671 kontrastiert.

 


KAIN UND ABEL ODER DER ERSTE MORD
EIN MUSIKTHEATRALER DOPPELABEND

Premiere 24. April 2022
BlackBox Musiktheater

Inszenierung Gregor Horres
Bühne Elisabeth Pedross
Kostüme Yvonne Forster
Dramaturgie Christoph Blitt

 

CAINO ET ABEL
ORATORIUM VON BERNARDO PASQUINI

Text von Giovanni Filippo Apolloni
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Musikalische Leitung Anne Marie Dragosits

Mit Grégoire Delamare (Erzähler), Michael Daub (Adamo), Tina Josephine Jaeger (Eva), Hanyi Jang (Caino), Jana Marcovic (Abel), 
Peter Fabig (Gott/Satan) u. a. 

Euridice Barockorchester der Anton Bruckner Privatuniversität Linz

 

THE BROTHERS (DIE BRÜDER)
OPER IN EINEM AKT VON GEORGE ANTHEIL

Text vom Komponisten
In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Musikalische Leitung Claudio Novati

Mit Tina Josephine Jaeger (Mary Adams), Grégoire Delamare (Abe Adams), Michael Daub (Ken Adams), Navid Taheri (Jim), 
Peter Fabig (Ron) u. a.

Bruckner Orchester Linz

Die Bibel erzählt die traurige Geschichte von Kain und Abel, den Söhnen von Adam und Eva: Weil Gott die Opfergabe von Abel angenommen hat, die von Kain aber nicht, erschlägt Kain seinen Bruder aus Neid und bringt so das Verbrechen in die Welt. Während Bernardo Pasquini in seinem Oratorium diese Begebenheit mit einer aufrichtigen barocken Moralität betrachtet, filtriert George Antheil in seiner Kammeroper The Brothers ein sensibles Psychogramm von Menschen, die sich in einem Netz aus Neid, Schuld und Begehren selbst verloren haben.

 

Weitere Vorstellungen
29. April, 4., 6., 8., 10., 15. Mai 2022

Einführung jeweils um 19.30 Uhr