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  • Arianna | Johann Joseph Fux (1660–1741): La Corona d’Arianna, K 317 (1726)
  • S. 10-14

Ad notam

Text: Josef Beheimb

In: Programmheft, Arianna | Johann Joseph Fux (1660–1741): La Corona d’Arianna, K 317 (1726), Styriarte, S. 10-14 [Programmheft]

Fux anno 1726

Johann Joseph Fux hatte das Pensionsalter von 65 Jahren schon überschritten, als er im Sommer 1726 noch einmal zur Feder griff, um die Serie seiner Festopern für die kaiserlichen Geburts- und Namenstage mit einem gewaltigen Werk zu krönen: „La Corona d’Arianna“. Diese „Festa teatrale“ über zwei junge Liebespaare, die von der Liebesgöttin Venus durch allerhand Stürme hindurch in den Hafen der Ehe geleitet werden, war die längste und aufwendigste seiner Wiener „Serenate“. Vor allem der Chor kommt hier in einer Weise zur Geltung wie in keinem anderen seiner Bühnenwerke. Auf der griechischen Insel Naxos versammelt sich nämlich das gesamte Personal göttlicher Dienerschaft: Grazien und Amoretten, Nereiden und Tritonen, Nymphen und Schäfer, Bacchanten und Silenen. In diesen wechselnden Rollen besingt der Chor in prachtvollster Weise das mythologische „Setting“ der Handlung. Das Orchester darf tonmalerisch die Wellen des Meeres, das Wehen des Windes und andere sommerliche Sinneseindrücke wiedergeben, und die ursprünglich sieben Solisten wurden mit prächtigen Arien geradezu überschüttet. Ganz offenbar wollte Fux zum Abschluss seines Opernschaffens noch einmal ein Glanzstück abliefern. Dass ihn das Kaiserpaar fünf Jahre später noch einmal zu einer Serenata überreden würde, war dem schwer gichtkranken Oberkapellmeister sicher eine Last und hing mit dem neuen Hofdichter Metastasio zusammen. In vielerlei Hinsicht ist „La Corona d’Arianna“ die eigentliche Krönung der Kaiser-Serenaden von Fux.

„Arianna“, eine kaiserliche Sommeroper

Kaiserin Elisabeth Christine, die Mutter von Maria Theresia, genoss die Uraufführung an ihrem 35. Geburtstag, dem 28. August 1726, in vollen Zügen. Drei Tage später vermeldete das „Wienerische Dia­ rium“, die damalige deutsche Zeitung Wiens: „Des Abends aber wurde die bewusste zu dem glorwürdigsten Geburtstag Ihrer Majestät … von dem Herrn Johann Joseph Fux, Dero Capellmeistern, in Music gebrachte, sehr schöne italiänische Opera, oder Theatral-Fest, genannt: Die Cron Ariadnæ, in der Kaiserl. Favorita-Garten auf einem besonders dazu aufgerichteten Theatro vorgestellet, welche bey denen Kaiserl. Majestäten ein allergnädigstes Wohlgefallen und bey der gantzen Hofstatt und Adel ein allgemeines Lob gefunden hat.“

Es blieb nicht bei der Premiere Ende August. Noch zwei weitere Aufführungen am 4. und 17. September sind durch Zeitungsmeldungen belegt. Offensichtlich war das Werk eine echte kaiserliche Sommeroper: Es versüßte den Sommer in der Favorita durch mehrere Wochen hindurch. Kaiser Karl VI. und Kaiserin Elisabeth Christine befanden sich mit ihren Töchtern in den Sommerferien. Eine Reise ins echte Griechenland wäre dafür nicht in Frage gekommen: Es war von den Osmanen besetzt, und eine Urlaubsreise war für ein Kaiserpaar des Barock noch keine Option. (Diesen Bruch mit der Etikette erlaubten sich erst Erzherzog Johann und Kaiserin Sissi im 19. Jahrhundert.) Man bestieg die Kutsche und ließ sich von der Hofburg in die Favoritagasse fahren, gleich unterhalb des heutigen Hauptbahnhofs von Wien. Hinter hohen Mauern verbrachte das Kaiserpaar den Sommer in einem Kunst-Griechenland: ein riesiger Teich mit Insel in der Mitte, Gärten, ein Theater, idyllische Orte, soweit das Auge reichte, und in der Nähe wildreiche Jagdgründe. Man lockerte das strenge höfische Zeremoniell auf und ließ sich zu den kaiserlichen Namens- und Geburtstagen Festopern von Fux kredenzen. Gerade die Musik des Steirers Fux muss sich für das Kaiserpaar automatisch mit Sommer und Urlaub verbunden haben.

In seiner „Arianna“ schuf Fux dafür die schönsten sommerlichen Arien und Chöre: galant singend, tänzerisch schwungvoll, überwiegend in Dur – ein Fest des Lebens und der schönen Jahreszeit. Die reich besetzten Chöre und das prachtvolle Orchester waren ganz auf die Wirkung im Freien berechnet. Vier Trompeten, Pauken, Oboen und Streicher stimmten mit dem Chor in die schönsten Klangbilder ein. Sie ergänzten das festliche Bühnenbild des genialen Italieners Giuseppe Galli Bibiena: „Das Szenenbild zeigt die Insel Naxos und stellt einen edel geschmückten Platz mit Triumphbögen dar, um die Ankunft des Bacchus zu feiern.“ Im gedruckten Libretto findet sich der Hinweis auf eine Theatermaschine in der Schluss-Szene, weshalb man wohl noch von weiteren theatralischen Effekten ausgehen darf. Als weiteres Element kamen die aufwendigen Ballette hinzu, erfunden von den kaiserlichen Choreographen Philebois und Levassori und komponiert von Nicola Matteis. Die „Arianna“ war ein Gesamtkunstwerk, nicht nur von Johann Joseph Fux.

Das Sängerensemble 1726

In der Wiener Produktion des Sommers 1726 waren die Rollen in „La Corona d’Arianna“ folgendermaßen verteilt:

Venere      Marianna Lorenzani Conti
Arianna     Regina Schoonians
Teti            Anna d’Ambreville-Perroni
Baccho     Gaetano Orsini
Peleo        Pietrino Casati
Asterio      Francesco Borosini
Simardo    Christoph Praun

Fux’ wichtigste Aufgabe war es, eine Paraderolle für die neue Primadonna der Wiener Hofoper zu schreiben: Marianna Lorenzani Conti. Sie hatte am 1. Juni 1726 ihren Dienst angetreten und präsentierte sich als Venere in ihrer ersten Wiener Hauptrolle. Die „Lorenzani Conti“ ist nicht zu verwechseln mit der 1722 verstorbenen Maria Landini Conti. Die neue „Conti“ kam aus Mantua, wo sie seit 1718 dem kaiserlichen Statthalter gedient hatte. Zwischen 1720 und 1726 sang sie als Primadonna in Venedig, Genua, Mailand und Florenz in Opern von Gasparini, Albinoni, Porpora und anderen berühmten Italienern. Die Empfehlung für Wien kam sicher aus dem damals österreichisch regierten Mailand, wo sie zum Geburtstag von Kaiserin Elisabeth Christine am 28. August 1723 in einer Arianna-Oper von Giovanni Porta die Titelrolle gesungen hatte („L’Arianna nell’isola di Nasso“). In der Wiener „Arianna“ übernahm sie dagegen die Rolle der Liebesgöttin Venus. In Fuxens Partitur ist Venere eindeutig die Partie der Primadonna: Sie hält die Fäden der Handlung in Händen, sie stiftet die Ehen der beiden jungen Paare und sie singt die meisten und prachtvollsten Arien.

Die herausragende Stellung der Lorenzani Conti kann man auch an ihrem Gehalt ablesen: Sie bezog sofort das Spitzensalär von 4000 Gulden, das auch ihre Vorgängerin erhalten hatte. Regina Schoonians musste sich mit 2700 Gulden begnügen. Folglich war sie in der Partie der Arianna nur „seconda donna“, zweite Sängerin. Die Altistin Anna d’Ambreville übernahm als dritte Sängerin die Rolle der Thetis. Die männlichen Starsänger in „La Corona d’Arianna“ bezogen jeweils nur 1800 Gulden Gehalt: der berühmte Altkastrat Gaetano Orsini als Baccho, sein junger Kollege Pietro Casati als Peleo und als Asterio der Tenor Francesco Borosini, der gerade aus London zurückgekehrt war, wo er in Händels Opern „Tamerlano“ und „Rodelinda“ geglänzt hatte. Hinzu kam der viel gepriesene Bass-Bariton Christoph Praun als Simardo. Es war durchaus ein Starensemble, für das Fux seine „Arianna“ komponierte. Alle Stimmen außer der neuen Primadonna kannte er von seinen früheren Opern her, wie „Psiche“ oder „Dafne in Lauro“.

Arianna aktualisiert, Graz 2022

Die Styriarte-Produktion versetzt dieses barocke Sommermärchen aus dem Sommerschloss der Kaiserfamilie zu Wien in den Arkadenhof des Grazer Schlosses Eggenberg. Regisseur Adrian Schvarzstein dagegen holt die Handlung aus der antiken Mythologie ins Hier und Heute: Bacchus ist nicht der göttliche Herrscher über die Insel Naxos, der gerade von einem Feldzug in Indien zurückgekehrt ist, sondern der Star im Club Naxos, der angesagten neuen Urlaubs-Location am Mittelmehr. Dem Draufgänger und Gigolo kann normalerweise keine Frau widerstehen, doch bei Ariadne, die von ihrem Freund Theseus verlassen wurde, beißt er auf Granit. Derweil bemüht sich die stattliche Meeresgöttin Thetis umsonst um den niedlichen Sterblichen Peleus. Venus hat alle Hände voll zu tun, um als „Parship“-Expertin die rechten Paare zusammenzubringen. Was sich der Wiener Hofdichter Pietro Pariati als geschickte Kombination zweier berühmter Paare der Antike ausgedacht hatte – Bacchus und Ariadne, Peleus und Thetis –, das wird in der heutigen Aufführung zu einer Beziehungsoper im Clubbing-Milieu. Singen, tanzen, sich lieben – „Dolce far niente“. Die schicken Menschen im Naxos genießen das Leben. Das Meer rauscht im Orchester vorüber, und der Chor singt, trunken von Cocktails und der Liebe, einen Song nach dem andern.

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