- Foyer5
- Landestheater Linz
- # 24 | September / Oktober 2022
- S. 10-12
Premierenfieber | Musical
War „Fräulen Unbekannt“ die Großfürstin Anastasia Nikolajewna Romanowa?
Über die Frau, die sich zeitlebens als überlebende Zarentochter Anastasia ausgab
Text: Arne Beeker
In: Foyer5, # 24 | September / Oktober 2022, Landestheater Linz, S. 10-12 [Publikumszeitschrift]
Am 17. Juli 1918 wurde der letzte russische Zar Nikolaus II., seine Frau Alexandra, die vier Töchter Olga (22), Tatjana (21), Maria (19), Anastasia (17) und der kränkliche „Zarewitsch“ Alexej (14) von den Bolschewiki ermordet. Doch schon wenig später kamen Gerüchte auf, die jüngste Zarentochter habe überlebt. In der Öffentlichkeit meldeten sich Dutzende junger Frauen, die sich als Anastasia ausgaben. Die überzeugendste von ihnen war Anna Anderson, die bis zu ihrem Tod 1984 standhaft behauptete, die „letzte Romanow“ zu sein. Zehn Jahre später konnte allerdings durch einen DNA-Vergleich bewiesen werden: Anna war nicht Anastasia. Ob sie es selbst geglaubt hatte?
2021 übernahm das Bayerische Hauptstaatsarchiv den Nachlass von Anna Anderson. Er umfasst neben persönlichen Papieren und einer Haarlocke zahlreiche Dokumente, die belegen sollen, sie sei tatsächlich die Tochter des letzten russischen Zarenpaars, außerdem Prozessunterlagen ihres jahrzehntelangen Kampfes um Anerkennung ihrer Behauptung und die damit verbundenen Rechtsansprüche.
In einem ihrer Testamente schildert Anna Anderson, sie sei „beim Abtransport der Leichen meiner Eltern und Geschwister und ihrer ermordeten Begleiter als zwar schwer verletzt, aber lebend entdeckt, in Sicherheit und weiter nach Bukarest gebracht“ worden. Ihren Retter, einen Polen namens Alexander von Tschaikowsky, habe sie geheiratet, er sei aber in Rumänien erschossen worden. Den gemeinsamen Sohn habe sie auf der Flucht zurücklassen müssen.
In Berlin habe sie sich im Februar 1920 schließlich das Leben nehmen wollen. Man fischte sie aus dem Landwehrkanal und brachte sie nach ein paar Wochen als „Fräulein Unbekannt“ ins Sanatorium Dalldorf. Sie schwieg hartnäckig – wochenlang, monatelang. Erst nach fast zwei Jahren verkündete sie plötzlich, sie sei die Tochter des russischen Zaren Nikolaus II. Tatsächlich sprach sie Deutsch mit starkem Akzent, auf Russisch konnte sie sich hingegen fließend und angeblich akzentfrei unterhalten.
Die Boulevardpresse sprang begeistert auf ihre Geschichte an und schlachtete sie weidlich aus. Mit detaillierten Schilderungen des Alltags am Zarenhof überzeugte Anna Anderson allerdings auch kritische Geister. Die aus Russland stammende Bildhauerin Harriet von Rathlef-Keilmann beherbergte sie ab 1925 drei Jahre lang und bemühte sich um ihre Anerkennung durch die Zarenfamilie Romanow. 32 Jahre lang, zwischen 1938 und 1970, führten Rechtsanwälte an deutschen Gerichten Prozesse, um Andersons Ansprüche auf Vermögenswerte Anna Anderson der Zarenfamilie durchzusetzen.
1956 erschien der Film Anastasia mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle, der Anderson viel Renommee einbrachte. Mit den Einnahmen aus diesem Film baute sie sich in Unterlengen - hardt am Rande des Schwarzwalds, wo sie seit 1949 wohnte, ein Haus, in dem sie bis 1968 lebte. 1968 heiratete sie einen amerikanischen Historiker und lebte fortan in Charlottesville/ Virginia. 1970 entschied der deutsche Bundesgerichtshof letztinstanzlich, dass nicht bewiesen sei, dass Anna Anderson mit Anastasia identisch sei. Anna Anderson behauptete bis zu ihrem Tod 1984, sie sei Anastasia.
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Wie es gewesen sein könnte – die Fantasie ist ja meist schöner als die Realität – das zeigen wir in der Österreichischen Erstaufführung des Musicals Anastasia, das wir zur Saisoneröffnung 2022/2023 als erstes deutschsprachiges Theater nach der Ensuite-Produktion in Stuttgart spie - len dürfen. Anastasias Großmutter ist nach Paris emigriert und hat einen hohen Betrag für die Auffindung ihrer Enkelin Anastasia ausgesetzt, die angeblich das Massaker der Bolschewiken an der Zarenfamilie überlebt hat. Die Gauner Wlad und Dimitri wollen ihr die unter Gedächtnisverlust leidende Straßen - kehrerin Anja als Anastasia präsentieren. In einem Crashkurs soll Anja zur glaubwürdigen Romanow geformt werden – und erweist sich als erstaunlich gelehrig. In Paris überzeugt sie die zunächst kritische Zarenmutter tatsächlich – aber dann kommen Anja im letzten Moment Zweifel, ob sie diesen Weg tatsächlich beschreiten will.
Der erfolgreiche Zeichentrickfilm von 1997 wurde wenig später vom Ragtime-Team Terrence McNally, Stephen Flaherty und Lynn Ahrens für die Bühne adaptiert. Die Autor:innen waren sich einig, dass das Musical auch ein erwachsenes Publikum ansprechen sollte. Darum eliminierten sie viele der typisch disneyesken Elemente und schufen so ein echtes Familienmusical, das am Broadway mit über 800 Aufführungen einen Riesenerfolg verbuchen konnte und seither auf Bühnen in aller Welt gespielt wird.
Das Landestheater Linz präsentiert in Zusammenarbeit mit Stage Entertainment, Tom Kirdahy und Hunter Arnold die Österreichische Erstaufführung von
ANASTASIA – DAS MUSICAL
BUCH TERRENCE MCNALLY
MUSIK STEPHEN FLAHERTY
GESANGSTEXTE LYNN AHRENS
Deutsch von Ruth Deny (Dialoge) und Wolfgang Adenberg (Gesangstexte)
Inspiriert durch den Twentieth-Century-Fox-Film in spezieller Übereinkunft mit Buena Vista Theatrical Nach dem Theaterstück von Marcelle Maurette in der Adaption von Guy Bolton
Orchestrierung Doug Besterman Vokalarrangements Stephen Flaherty Tanzarrangements David Chase Keyboard-Programmierung Gerald Landschütze
In Auftrag gegeben von Dmitri Bogatschew Original-Broadway-Produzenten: Stage Entertain - ment, Bill Taylor, Tom Kirdahy, Hunter Arnold
In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Preview 9. September 2022
Österreichische Erstaufführung 10. September 2022
Großer Saal Musiktheater
Musikalische Leitung Tom Bitterlich Inszenierung Matthias Davids Choreografie Kim Duddy Bühne & Co-Regie Andrew D. Edwards Kostüme Aleš Valašek Lichtdesign Michael Grundner Nachdirigat Juheon Han Dramaturgie Arne Beeker
Mit Hanna Kastner (Anja), Lukas Sandmann (Dimitri), Karsten Kenzel (Wlad), Nikolaj Alexander Brucker / Mathias Edenborn (Gleb), Daniela Dett (Zarenmutter), Judith Jandl (Lily), Joel Parnis (Zar, Graf Ipolitow, Graf Gregory), Gernot Romic (Gorlinski, Graf Leopold), Sanne Mieloo (Zarin, Dunja), Celina dos Santos (Tatjana, Paulina), Bettina Schurek (Olga, Marfa, Gräfin Gregory), und Anastasia Bertinshaw, Barbara Castka, Alexander Findewirth, Julia Hübner, Albert Jan Kingma, Nils Klitsch, Luca Marchetti, Nathan Mitterbauer, Susannah Murphy, Maura Oricchio, Noa Joanna Ryff, Pascal Schürken, Aday Velasco
Swing Hannah Moana Paul
Kinder Emilie Eder/Luisa Kircher/Helena Unger (Junge Anastasia), Jakob Blaimschein/Fabian Harrich/ Antonin Stamm (Alexej )
Das Newa-Club-Orchester
Statisterie des Landestheaters Linz
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- Quelle:
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