• „Dein ist mein ganzes Herz“. Ein Franz Lehár-Lesebuch (Auszug)
  • Böhlau Verlag
  • 1. Auflage (2020), herausgegeben von Heide Stockinger und Kai-Uwe Garrels
  • S. 169-201

Das Wiener Lehár-Schlössl

Ein Potpourri

Text: Heide Stockinger

In: „Dein ist mein ganzes Herz“. Ein Franz Lehár-Lesebuch (Auszug), 1. Auflage (2020), herausgegeben von Heide Stockinger und Kai-Uwe Garrels, Böhlau Verlag, S. 169-201 [Buch]

Einführung

Das barocke Schlössl in Nussdorf, Hackhofergasse 18, im 19. Wiener Gemeindebezirk Döbling ist ein denkmalgeschütztes „schlossähnliches“ Gebäude kulturhistorischer Bedeutung. Erfüllt mit Leben ist das Schlössl an den Abhängen des Kahlenbergs nahe der Donau bis zum heutigen Tag. Die frühe Geschichte des Anwesens, das erst im 18. Jahrhundert zum „Schlössl“ wurde, liegt weitgehend im Dunkeln. Ins Scheinwerferlicht gerät es erst beim Kauf durch den Theaterprinzipal Emanuel Schikaneder zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Dann wird es wieder still um die Geschicke des Gebäudes und seiner Bewohner. Bis zum Jahr 1932, als der Komponist Franz Lehár das barocke Schikaneder-Schlössl kaufte, mit seiner Frau Sophie bewohnte und eine Schar hochgestellter Besucher anzog, die bis heute, mehr als 70 Jahre nach seinem Tod, in das mit Stuck und Fresken geschmückte Interieur eines „Tempels“ der Tonkunst eintauchen! Nein, nicht nur ein Bewahren von Vorhandenem gewährleisten sie, sondern das herrschaftliche Barock-Juwel „tönt“, und das nicht im übertragenen Sinn.

Wichtigster Darsteller im folgenden Potpourri ist das Schlössl. Tragende Rollen haben im historischen Ambiente der Komponist Franz Lehár, sein Freund, der Sänger Richard Tauber, sein Bruder, Anton Freiherr von Lehár, und, angekommen im Heute, die 95-jährige Hermine Kreuzer, ohne die das „Schlössl“ keinen Auftritt hätte, in dieser Anordnung des Gedenkens …
 

Das Schlössl-Hauptstück

Nie hätte Lehár den Taktstock gehoben, wenn nicht der Bruder dabei gewesen war. Anton Freiherr von Lehár war der strengste Kritiker seines Bruders Franz. Zwischen den beiden ist eine innige Liebe gewesen.

Hermine Kreuzer

Wenn auch Hermine Kreuzers Zitat eine freundliche „Annäherung“ an den Wahrheitsgehalt der Aussage ist, weiß sie doch, wovon sie spricht. Seit ihrem Dienstantritt im Schlössl im Jahr 1951, also seit nunmehr 70 Jahren hütet sie das Barock-Schlössl in Nussdorf, bis zu seinem Tod 2011 war auch ihr Ehemann Erich maßgeblich daran beteiligt. Das Jahr 1962 brachte eine Wende für das Ehepaar Kreuzer, Hermine wird noch mit eigenen Worten von diesem für beide einschneidenden Ereignis berichten! Seit Erichs Tod – er wurde 94 – ist sie alleinige vielbewunderte und bedankte Besitzerin, „Hausherrin“; die Bezeichnung Schloss-Herrin verbietet sie sich.

Das Lehár-Schlössl, als Schikaneder-Schlössl den Wienern immer noch geläufig, hat in der bis heute bestehenden Gestalt nach Umbauten Mitte des 18. Jahrhunderts viele Besitzer gehabt. Die längste Periode eines Besitzer-Kontinuums erlebte das Schlössl in den letzten 90 Jahren. Erwerben konnte der Komponist Franz Lehár das geschichtsträchtige Schlössl in damals ruhiger Lage im Jahr 1932, da er es mit seinen Operetten zu Wohlstand gebracht hatte. Nach seinem Tod im Oktober 1948 erbte das Schlössl sein Bruder Anton Freiherr von Lehár. Bei der Testamentseröffnung nach seinem Tod im Jahr 1962 erlebte das treue Hausmeisterpaar Hermine und Erich Kreuzer eine Überraschung …
 

Erstes Schlössl-Zwischenspiel

Der unter den Künstlern wohl berühmteste Schlössl-Gast bei Franz Lehár in den 30ern, der Tenor Richard Tauber, steht an einem noch milden Dezembertag des Jahres 1933 vor dem hackhofergassenseitigen Trakt des Lehár-Schlössls. „Wie ein Bürgerhaus der Vorstadt, es lässt nicht vermuten, was sich dahinter verbirgt! Typisch Franz, diese Bescheidenheit, sogar beim Entree!“ geht’s Tauber durch den Kopf. Er läutet. Der Diener Karl – er hieß Karl Grün, aber unter „Herr Grün“ wüssten die meisten Lehár-Forscher wohl nicht, wer gemeint ist –, also der mürrische Diener Karl öffnet. Seine Züge hellen sich auf. Wer hätte auch Richard Tauber gegenübertreten können, ohne nicht gleich von dessen freundlichem Gruß angesteckt zu sein! Richard Tauber tritt in den nicht sehr großen Innenhof ein, geht aber keine fünf Schritte, als auch schon Franz Lehár erscheint, um seinen „Bruder“, denjenigen „ohne den Luxus der Blutsverwandtschaft“ willkommen zu heißen. Er hat sich sogar von seinem Komponier-Stüberl losreißen können. Es ist schon am Nachmittag, da hat er sich schon dazugesetzt an seinen Schreibtisch, oder dazugestellt an sein Stehpult; er arbeitet ja gern in die Nacht hinein. „Ist ein schöner Wintertag heute, und Vorstellung hab ich auch nicht“, so könnte Richard Tauber das Gespräch eröffnen. „Bleibst zum Essen“, könnte Franz vorschlagen, „die Sophie tät sich freu’n.“ „Deine Küche verschmäh’ ich nicht, danke, gern, aber ist noch Zeit für einen Besuch des Schlossgartens? Hat der Ginkgobaum schon alle seine Blattl’n abgeworfen?“

Die beiden ungleichen Herren mit 21 Jahren Altersunterschied, Lehár bürgerlich und pedantisch, Tauber großzügig und zwanglos, betreten das Hauptgebäude, dessen Hauptfront dem Garten zugewendet ist. Sie befinden sich in der hohen Halle mit doppelseitiger Treppe, steigen aber nicht zum Salon hinauf, sondern tasten sich über eine dunkle steinerne Wendeltreppe die 43 Stufen hinunter. Eine leicht abfallende Wiesenfläche mit hohem Baumbestand öffnet sich, der Springbrunnen plätschert. „Da hast du dein gelbes Laub, haufenweis’! Wer wird das wegräumen?“ Tauber hebt eins der gespaltenen Ginkgobaumblätter auf: „Sind es zwei, die sich erlesen – “ „Was“? „Franzl, hast deinen Goethe immer noch nicht gelesen? Nach dem Triumph mit der Friederike?“ „Schnappula, sprich nicht in Rätseln. Ja, ich war skeptisch beim Goethe-Stoff. Jetzt reißen sich die Theater um das Singspiel.“ Sie schlendern vorbei an mythologischen Steinfiguren, zählen die Goldfische im Becken des Springbrunnens, begegnen der Haus-Schildkröte und setzen sich aufs steinerne „Goethe-Bankerl“. „Den Geheimrat, nein, da war er ja noch ein Studenterl in jungen Jahren, den sing ich jetzt nicht, der Bollmann macht das ganz gut. Ich probier’ ja zurzeit in deinem Opus Maximum den Octavio. Gut, dass die Giuditta im Opernhaus herauskommt, der Hubert Marischka macht’s mit seinem Theater an der Wien nicht mehr lang.“ „Ah so?“ „Dem geht’s vielleicht bald wie dem Schikaneder, seinem Vorvorvorgänger, er verschuldet sich.“ Die Köchin Anna erscheint im Fensterrahmen und ruft: „Abendessen, die Herren!“ Die beiden steigen die doppelte Freitreppe der mit Stuck-Girlanden unter den Fensterbänken verzierten Vorderfront des dreigeschossigen Schlössls hinauf, das wohl auch für Goethe ein würdiger Wohnsitz gewesen wär’…

Wir sind aus dem Waldviertel nach Wien gezogen. Einfach so „ins Blaue“, 1949. Erich hat eine Stelle gefunden, am Salzgrieß, da war er im Textilgeschäft. Gewohnt haben wir bei der Schwiegermutter, in einem kleinen Kabinettl. Ich bin einmal von der Kirche nach Haus und in die Trafik rein und hab „Neues Österreich“ geholt und gesucht und gesucht … Ich hab ein ganz kleines Inserat gefunden: “Anton Freiherr von Lehár sucht jemand, ein Ehepaar mit Führerschein“. Zum Erich hab ich gesagt, „da schreib ich jetzt hin“. „Ja, ich hab einen Führerschein, aber ich steh im Beruf.“ „Vielleicht brauchen sie dich nicht jeden Tag.“ Ich hab hingeschrieben und gleich eine Karte bekommen von Anton Lehár. Keine Ahnung, wer das ist, und dass das Schlössl mit einem Musiker zu tun hat! Wir haben uns dann vorgestellt …

Hermine Kreuzer

Vor dem hackhofergassenseitigen Trakt des Lehár-Schlössls stand also im Jahr 1951 das noch recht junge Ehepaar Hermine und Erich Kreuzer. Die beiden, anders als Tauber, wird schon die einstöckige, eher schlicht gehaltene Hausfassade beeindruckt haben …

Bedingt durch eine Straßenregulierung liegt der Vordertrakt etwas unter dem Straßenniveau. Die Fassade ist fünfachsig mit pilastergegliederter Beletage über einem gequaderten Sockelgeschoß. In den beiden mittleren Pilastern sind Gedenktafeln für Lehár und Schikaneder in Bronze eingelassen. Noch nicht sehen konnte das Ehepaar Kreuzer die erst später auf einem Steinquader angebrachte Marmortafel links vom rundbogigen Eingangsportal, die an den Sänger Richard Tauber erinnert. Die zwei mittleren Fenster werden durch ein gemeinsames Schmiedeeisengitter zu einer Einheit zusammengefasst. Ebenfalls noch nicht wird das Ehepaar Kreuzer die vier rot-weißen Fahnen über dem Eingang zum Schlössl gesehen haben. Deren Enden flattern nicht im Wind, sondern werden von der geschwungenen „Eine Stadt stellt sich vor“-Tafel über dem Schlussstein des Portals gebündelt. Im linken Teil des Straßentraktes liegt die Kapelle, schon von außen als solche erkennbar, weil die beiden putzenscheibenverglasten Kapellenfenster sich nach oben hin verjüngen.

Später haben wir erfahren, dass der Baron 150 Bewerbungsschreiben – wir haben immer „Baron“ zu General Anton Lehár gesagt – auf seine Annonce hin erhalten hat. Im Hof ist der Baron auf zwei Stöcken uns entgegengekommen. Beim Gespräch hat er mich gefragt, ob ich das machen würde, täglich eine offene Wunde verbinden. Ich hab „ja“ gesagt. „In zwei Wochen könnt ihr anfangen“ hat es nach unserem Vorstellungsgespräch geheißen. Eine Wohnung haben wir nicht auflassen müssen, wir haben keine besessen, bei der Schwiegermutter waren wir in Untermiete. Ich hab die sehr kranke Schwiegermutter gepflegt …

Hermine Kreuzer

Das Ehepaar Kreuzer hat für sein langes Leben ein Heim und eine Wirkungsstätte gefunden. Auch für Franz Lehárs Bruder Anton Freiherr von Lehár und seine Frau war das Schlössl für den kurzen Rest ihres Daseins Heimstätte. Der Komponist Lehár hatte schon ein bewegtes Leben hinter sich, als er, gerade 60 Jahre alt geworden, das Schlössl erwarb. Erst als Dreißigjähriger hatte er seinen Dienst als Militärkapellmeister der k.u.k. Monarchie quittieren und somit sein Wanderleben beenden können und lebte in Wien zunächst in einer kleinen Wohnung. Nach einigen mehr oder weniger mäßigen Erfolgen mit ersten Operetten- und anderen Kompositionen landete er 1905 am Theater an der Wien mit der Lustigen Witwe einen Coup, den er zeit seines Lebens nicht mehr toppen konnte. 1908 kaufte er in der Theobaldgasse ein Haus, ein Eckhaus im 6. Bezirk, und bewohnte es. Bei Aufenthalten in Ischl hatte er schon 1903 seine spätere Frau Sophie kennengelernt, die er unweit der Theobaldgasse in der Paulanergasse unterbrachte. Im Jahr 1912 kaufte Franz Lehár in Bad Ischl („Bad“ hieß der Ort erst seit 1906), noch zu Kaisers Zeiten, eine Villa am rechten Ufer der Traun. Viel Zeit verbrachte Franz Lehár ab dem Kauf bei gutem Wetter in seiner Ischler Villa, die ihm Inspirationsquelle für seine Kompositionen war. Seine Frau wohnte in einem kleinen Nebengebäude – Franz konnte keine Störung ertragen, wenn er am Klavier saß und Noten schrieb.

Richard Tauber, der als viel angefragter berühmter Sänger ein Vagantenleben führte, war ab 1924 oft in Lehárs Villa zu Gast; ab der Operette Paganini war er zum Teil federführend beim schöpferischen Prozess, zumindest beim Komponieren der „Tauber-Lieder“. Richard Tauber hatte ja in den Lehár-Operetten Paganini, Der Zarewitsch, Friederike, Das Land des Lächelns, Schön ist die Welt und Giuditta die für einen Tenor geschriebenen Hauptrollen gesungen.

Mit dem Kauf des Schikaneder-Schlössls in Nussdorf hatte Lehár eine zweite Bleibe, trotz Wien-Nähe – es gab ja schon Straßenbahn und Personenkraftwagen – im „Grünen“; die Räume in der Theobaldgasse, die Lehár behielt, barsten aus allen Nähten – so viel an Notenmaterial, Büchern und, und, und hatte sich im Lauf der Jahre angesammelt! Franz Lehár hatte das Schlössl 16 Jahre lang, bis zu seinem Tod 1948, in Besitz. Bewohnt hat er es allerdings nur bis zum Jahr 1944. Gestorben ist er in seiner Villa in Bad Ischl. Schon ein Jahr vor ihm war Sophie in Zürich gestorben, wo das gesundheitlich angeschlagene Ehepaar Lehár (geheiratet hatte Franz seine Sophie erst im Jahr 1924) Ärzte konsultiert hatte. Unter der Bedingung, dass die Räumlichkeiten der Villa mit all der Einrichtung erhalten bleiben, setzte er die Stadt als Erbin ein. Die Villa ist heute ein vielbesuchtes Museum und bietet mit seiner Überfülle an Kunst- und Einrichtungsgegenständen einen Einblick in Lehárs Lebenswelt. Das „Lehár-Schlössl“ bietet in seinen Räumlichkeiten nur sehr bedingt Anschauungsunterricht für Lehárs Lebensweise. Nach Franz Lehárs Tod hat die Schwester Emmy noch schnell das Inventar verkauft, bevor Anton Freiherr von Lehár das ihm vermachte Schlössl bezogen hat …

Die offene Wunde des Barons von seiner schweren Kriegsverletzung im Ersten Weltkrieg konnte ich versorgen, weil ich nach der Vertreibung aus Südmähren 1945 einige Jahre eine Stellung bei einem Arzt gehabt hab, in Dobersberg nahe Waidhofen an der Thaya. Haushalt und so, saubermachen, auf die vier Kinder aufpassen war meine Aufgabe. Aber ich hab doch auch gesehen, was ein Arzt macht. Die Wunde vom Baron hab ich täglich verbunden. Das muss man sich einmal vorstellen: viermal operiert worden, Schenkelkopf herausgenommen – damals hat es noch keine künstlichen Gelenke gegeben. Dum-dum-Geschoße sind im Fuß explodiert, hundert Splitter! Noch im Jahr 62 ist ein Splitter aus der Wunde herausgekommen, kurz vor seinem Tod.

Hermine Kreuzer


Mittelsatz

Der Festsaal des Lehár-Schlössls ist heute ein kleines, aber feines Lehár-Museum. Im Großen und Ganzen ist die Einrichtung des Museums mit seinen verglasten Vitrinen und Bücherschränken und Bildern an den Wänden dem „Baron“ zu verdanken. Er hat trotz seiner schweren Kriegsverletzung in Hauptsache an ein würdiges Gedenken an seinen Bruder gedacht. Er kaufte Gegenstände und Möbel, die seine Schwester ins Dorotheum gebracht hatte, trotz beschränkter Mittel zurück.

Wenn Museumsbesucher heute von Hermine Kreuzer in das Museum geführt werden, oder wenn die Pforten des ehemaligen Salons für Konzertbesucher geöffnet werden, erwartet diese ein Aha-Erlebnis. Hohe Fenster, gefüllte Türen mit Bronze-Beschlägen und den Stuck am Plafond, der ein großes Fresko rahmt, konnten weder Napoleons Truppen (1809) zerstören noch die Plünderer zu Ende des Zweiten Weltkriegs zu Geld machen! Zunächst fällt auf, dass der rechteckige Raum einem quadratischen Grundriss nahekommt. Der Blick fällt auf die drei Fenster gegenüber, mit Oberlichten und bronzenen Griffen. Schwere Vorhänge fallen nieder; die nicht sichtbaren Vorhangschienen haben eine Verblendung, die vergoldet ist und barock geschwungen. Der Besucher, nach dem Registrieren der Lichtquellen gegenüber, ist zunächst wie „erschlagen“ angesichts der Fülle von Inventar ringsum im musealen Ambiente. Am besten: zunächst auf die Decke hinaufschauen! Mittig gemalter Himmel mit Figurengruppen, von Stuckgirlanden eingefasst. Stuck ziert auch die übrigen Flächen der Decke. In den vier Ecken der Decke steinerne Putten, die herunterzupurzeln scheinen. Steinerne Dekormuscheln können den Fall nicht aufhalten.

Nach der innerlichen Weigerung, sich den tausend Einzelheiten des Museums hinzugeben, siegt die Neugier. Was steht im Mittelpunkt, wenn auch gegenüber, im linken Eck? Das Klavier, auf dem Franz seine Melodien den Tasten entlockt hat. Bei den Konzerten, die im Saal stattfinden, erklingt es noch manchmal! Wenn man sich zwischen vielen bunt durcheinanderstehenden Stühlen (für die Konzerte) und Vitrinen mit Glasabdeckung und im Raum verteilten Stehtischchen (eines hat den Fuß in Form einer Lyra) den direkten Weg, den geraden, zu einem Mauerabschnitt zwischen zwei Fenstern gebahnt hat, stößt man auf die Schikaneder-Gedenkstätte. Kupferstiche mit Szenenabbildungen der Zauberflöte bedecken die Wand. Ein Tabernakel-Schränkchen enthält Erinnerungsstücke. Links und rechts vom Schränkchen stehen wie zwei Wächter wuchtige Renaissancestühle aus Schikaneders Zeiten mit hohem geradem Rückenteil; die Armlehnen laufen in Engelsköpfchen aus, und die Standfestigkeit des Stuhls wird von gewellten Querhölzern zwischen den geraden Stuhlbeinen gewährleistet.

Rechts von diesen Schikaneder-Anordnungen zwischen zweitem und drittem Fenster eine riesige Tafel an der Wand zur 100. Aufführung der Operette FRIEDERIKE. Medaillonartig eingefasste Abbildungen der Schöpfer und der Interpreten der Operette, der Librettisten, der Goethe- und Friederike-Darsteller und natürlich des Komponisten Franz Lehár sind auf der Tafel verteilt.

Das Eck rechts hinten dominiert ein weiteres Relikt aus Schikaneders Zeiten, eine herrschaftliche Sänfte, schön verziert, mit Goldquaste zum Öffnen der Tür. Auf der Bank, innen, sitzt eine in ein edles Kostüm gekleidete Stabpuppe, ein Requisit von der Uraufführung der LUSTIGEN WITWE. Die rechte Querwand mit dem großen Schreibtisch davor muss warten; in Augenschein genommen wird im rechten vorderen Eck der hohe weiße barocke Kamin. An der Wand gleich rechts von der Eingangstür ein sehr großes Gemälde des vor Publikum dirigierenden Franz Lehár, noch in jungen Jahren. Auf einem Barocktischchen davor ein Körbchen mit Konzert-Einladungen und Werbematerial. Darüber vergilbte Fotos von Franz Lehár als Kind, sein Geburtshaus und längst dahingegangene Anverwandte. Links von der Eingangstür eine große bullige Truhe, viele Orden auf Samt unter Glas, auf einem Schränkchen martialische Bronzefiguren, wie zum Beispiel „Soldat mit Gewehr im Anschlag“, und an der Wand neben einem Porträtbild von Anton Freiherr von Lehár in Öl ein großes Schlachtengemälde. Da entgehen zunächst die vielen Urkunden und Anerkennungsschreiben dem Blick, die sich auch an dieser Wand befinden! Das Wiener Denkmalamt ehrt das Ehepaar Kreuzer und, nach 2011, dem Tod von Erich Kreuzer, Hermine Kreuzer; ihrer beider Verdienste um den Erhalt des Schlössls überstrahlen alles im Raum Befindliche! Man muss nur die richtige Einstellung dazu haben … ohne die beiden Schlössl-Hüter gäbe es heute kein Lehár-Museum mehr!

An der linken Querwand ein sehr großer Schrank mit wenigen Erinnerungsstücken an Anton, wie zum Beispiel ein Federbuschhelm und bedruckte Seiden-Schärpen, die wohl der dekorierte Soldat quer über die Schulter getragen hat. Die bei weitem größere Fläche des Schrankes ist mit Büchern zu und über Franz Lehár gefüllt, auch mit Büchern zu Richard Tauber, seinem besten Freund, und mit alten Schallplatten. Neben dem Schrank, hinter dem Klavier noch ein Tabernakel-Schränkchen mit allerlei Tand. Die Weite des Saales beherrschen aber zwei im Raum aufgestellte halbhohe Vitrinenschränke, die das „Eigentliche“ herzeigen: Partituren, Klavierauszüge, Autographe, handschriftliche Aufzeichnungen in Notizbüchern, „Wien, du bist das Herz der Welt“-Notenschrift der letzten Lehár-Komposition, Huldigungsschrift für Lehár zur Hundertjahr-Feier der Wiener Philharmoniker. Auch ein „Dein ist mein ganzes Herz“-Szenario mit Lehár-Autograph und großem Richard-Tauber-Foto ist zu bewundern. Die Querwand rechts birgt in einer Schreibtischlade einen Schatz: zusammengeheftet zu einem dicken Paket sind Glückwunschtelegramme zu Franz Lehárs 60. Geburtstag und ein altes Gästebuch, das Eintragungen aus den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts enthält. Offen auf der Schreibtischfläche viele Gästebücher aus neuerer Zeit.

Wir haben gar nix gehabt! Einen Karton. Am Naschmarkt hab ich Paprika gekauft und Gewürze und ein paar Erdäpfel, für ein Erdäpfelgulasch. Und so sind wir ins Lehár-Schlössl hingezogen. Im Jahr 1949? Nein, im Jahr 1951. Es war klar, dass wir in diesem Anbau wohnen. Die Wohnung war sehr klein, später ist sie a bisserl umgebaut worden, neue Fenster und so weiter. Der Baron hat gesagt, die Wohnung könnt ihr haben, wir haben dafür nix zu bezahlen, aber die Arbeit haben wir zu machen. Gekocht hab ich selber. Auf einem Gasofen. Da hat der Baron einmal zu mir gesagt: „Ich hab einen Wunsch.“ Ich darauf: „Sie wissen ja, jeden Wunsch erfüll’ ich Ihnen.“ „Gehen Sie, kaufen Sie einen Elektroherd. Kinderl, wenn Gas ausströmt, können Sie die Wohnung nicht verlassen, das kleine Fenster ist vergittert!“

Hermine Kreuzer


Martialisches Interludium

Anton Freiherr von Lehár wurde 1876 in Komaróm (deutsch: Komorn) geboren. Sechs Jahre davor war auch Franz in Komorn zur Welt gekommen. Der Vater Franz Lehár war Soldat und Kapellmeister des Infanterieregiments (IR) Nr. 50. Anton schien für den Musikerberuf wenig geeignet: Nach zwei Jahren an der Realschule wechselte er in die Infanteriekadettenschule Wien, wo er als Klassenbester zum Offiziersstellvertreter ernannt und 1893 zum IR 50 ausgemustert wurde. Seine Generalstabsausbildung erhielt er an der Kriegsschule Wien. Der Generalstabsdienst ermöglichte ihm den raschen militärischen Aufstieg. 1901 heiratete er die Wienerin Emmy Magerle. Seine Ehe blieb jedoch kinderlos. 1902 war er Hauptmann. Er beschäftigte sich mit Ballistik und Schießlehre. Er drang jedoch mit seinen Erkenntnissen beim Chef des Generalstabs Franz Conrad von Hötzendorf nicht durch! 1913 durfte er als Major an die Armeeschießschule, wo er bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs blieb. Für sein hervorragendes Führungsverhalten an der Russlandfront erhielt er 1914 den Orden der Eisernen Krone 3. Klasse. Am 7. September 1914 wurde Lehár bei Lublin durch einen Schuss in den Oberschenkel verwundet. Nach einem langen Aufenthalt im Lazarett diente er ab Jännern 1915 im Kriegsministerium Wien. Als Oberstleutnant kehrte er im September 1915 auf eigenen Wunsch an die Front, die italienische, zurück. Aber nicht lange, er wurde zum Technischen Militärkommando nach Wien abberufen. Ab September 1917 war er wieder an der Front, diesmal in der Bukowina. Im Mai 1918 erfolgte die Ernennung zum Oberst. Eine letzte verzweifelte Offensive der untergehenden Monarchie im Juni 1918 („Piave-Offensive“) blieb erfolglos. Oberst Lehár erhielt die Goldene Tapferkeitsmedaille für Offiziere und wenig später den Militär-Maria-Theresien-Orden.

Lehár blieb auch nach der Auflösung der Monarchie überzeugter Monarchist im Rang eines Generalmajors. Als im September 1921 Karl Habsburg einen Restaurationsversuch in Ungarn wagte, stand ihm GM Anton von Lehár – seit 1918 war er Freiherr von Lehár – treu zur Seite. Der Versuch schlug fehl, Freiherr von Lehár musste fliehen. Im Winter 1922 kehrte er nach Wien zurück. Eine bürgerliche Existenz aufzubauen war mühsam. 1926 wurde er in Berlin Direktor der „Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger“ und verlegte eine Zeitung. 1933 musste er Berlin verlassen und gründete in Wien den „Chodel-Verlag“, den er 1935 seinem Bruder überschrieb, um sich bei Theresienfeld als Landwirt niederzulassen. Nach dem Anschluss 1938 zwang ihn die Gestapo, sein Landgut aufzugeben. Er begann, seine Memoiren zu verfassen. Nach dem Tod seines Bruders im Jahr 1948 übernahm er das Lehár-Schlössl und kümmerte sich um dessen Nachlass. GM Anton Freiherr von Lehár hatte sich zeitlebens nicht mit dem Ende der Monarchie abfinden können. Am 12. November 1962 starb er im Schlössl. Das ihn pflegende Ehepaar Kreuzer hatte ihn auf sein Bitten hin nicht ins Krankenhaus bringen lassen.


Zweites Schlössl-Zwischenspiel

Am 2. Januar 1934 läuten Richard Tauber und Jarmila Novotná am Eingangsportal des Schlössls Hackhofergasse 18 an der Tür. Wieder öffnet der hagere Diener Karl und gerät wegen der Erscheinung der bildhübschen Sängerin etwas aus der Fassung. Als der Tenor und der Sopran, der Octavio und die Giuditta, die Hauptrollen-Träger der Operette GIUDITTA nach dem Durchschreiten des Hofs durch das schon offene Tor in die hohe Halle des Haupttrakts gelangen, ist es Jarmila Novotná, die nun staunt. Eine doppelseitige geschwungene Treppe mit kunstvollem Schmiedeeisen-Geländer führt in den ersten Stock, der gartenseitig der zweite Stock ist. Tauber erinnert daran, dass auf dieser Treppe, die vor hundert Jahren noch eine Freitreppe war, Schikaneder hinaufgestiegen ist. Das Deckenfresko in der Halle hoch oben zeige, erklärt er, die Fortuna, die Schikaneder aber kein Glück brachte, nach wenigen Jahren des Besitzes des Schlössls musste er es wieder verkaufen. Trotz des erzielten Gewinns von 38.000 Gulden starb er bald mit bloß 71 Gulden in der Tasche. Er müsse beim Hinaufschreiten immer daran denken, dass er diesem Schikaneder seinen „Tamino“ aus der ZAUBERFLÖTE verdanke, der ihn beim Debüt in Chemnitz zum Opern-Sänger machte, was wiederum das Engagement an der Dresdner Oper nach sich zog. Auch das Theater an der Wien, das ja Schikaneder bauen ließ und im Jahr 1801 beziehen konnte, danke er dem vielseitigen Theaterdirektor. Wie viele Erfolge habe er dort, seit 1922 in der Lehár-Operette Frasquita, erzielen können! Die beiden Sänger betreten den Salon. Meister Lehár begrüßt sie. Er weist hinauf zum Deckenfresko und erklärt die Szene aus der Zauberflöte: „Die Königin der Nacht wird von zwei großen Vögeln durch die Lüfte getragen. Genien umschweben sie. Im Vordergrund steht auf einer Wolke theatralisch der Monostatos. Das Werk des Malers Vinzenz Sacchetti dürfte 1802 entstanden sein.“ Jarmila ruft aus: „Was für ein Zauberflötenzauber in diesem Haus“, „Zauber mit Tauber“, fügt Lehár, der nie um eine Bemerkung verlegen ist, hinzu. Nach einem Gespräch über die kommende Produktion bittet Lehár um einen Eintrag in das Gästebuch. Jarmila Novotná schreibt ein paar Worte in tschechischer Sprache hinein, auf das baldige Großereignis hinweisend. Ins Deutsche übersetzt lautet der Eintrag, dass im Neuen Jahr das poema mit Namen „Giuditta“, toi, toi, toi, ganz glücklich verlaufe, wünsche sie dem großen Meister Lehár.


Fortsetzung Mittelsatz

Als die beiden Stars Richard Tauber und Jarmila Novotná knapp drei Wochen vor der Premiere von GIUDITTA an der Staatsoper (20. Januar 1934) im Schlössl weilten, waren die Adaptierungs- und Restaurierungsarbeiten im Schlössl im Großen und Ganzen abgeschlossen. Seit dem Kauf des Schlössls 1932 verging geraume Zeit, bis im Sommer 1933 alles zum Einzug bereit war. Im Lauf der Jahre hatte sich in der Theobaldgasse so viel angesammelt, dass das Ehepaar Lehár nach einer neuen Wohnstätte Ausschau hielt. In Nussdorf wurden sie fündig! Nussdorf war noch außerhalb der Stadtgrenzen gelegen, „in die entern Gründ“, als Schikaneder das „Schlössl“ 1802 erwarb. Als „schlossähnliches Gebäude“ kann das Anwesen in Nussdorf bezeichnet werden, seit Hofkammerrat Dr. Joachim Gschwandtner (auch: Georg Schwandtner), ab 1737 für einige Jahre der Eigentümer desselben, dieses umbauen ließ und ihm sein heutiges Aussehen gab. Wie das Anwesen, ursprünglich ein „Freihof “, Anfang des 18. Jahrhunderts „frei von Untertänigkeit und Grundherrlichkeit“ erklärt worden war, und wie die Besitzer, deren Namen heute niemandem mehr etwas sagen, im Laufe der Jahrhunderte hießen, lässt sich über einschlägige Literatur erforschen. Der Deutsch-Amerikaner Viditz-Ward, der Franz Lehár das Schlössl verkaufte, war, soviel weiß man, nur sieben Jahre lang Schlösslbesitzer gewesen. Im Jahr 1932 war das Schikaneder-Schlössl zwar nicht mehr weit von Wien entfernt gelegen, aber immer noch für ungebetene Gäste, Verehrer, Autogrammjäger, Interviewer, Schaulustige und Bittsteller nicht leicht zu erreichen. Lehár, als Meister Lehár tituliert, war ein weithin berühmter Mann, der als Komponist Störungen aller Art nicht gebrauchen konnte. Auch war ihm, wenn er komponierte, das Gefühl, dass ihm jemand zuhören könnte, unerträglich! Seine kluge Frau, an verschlossene Türen gewöhnt, durfte bei ganz dringenden Angelegenheiten das Haustelefon benützen. Dass Lehár ein Grießgram war, dem widerspricht Hermine Kreuzer aber, und zwar mit einer kleinen Geschichte, die sie wohl von Bruder Anton Lehár erfahren hat:

Franz Lehár hat einmal bei offenem Fenster eine Kinderstimme gehört. Er hat hinausgeschaut und gesehen, wie ein kleines Mädchen vom Nebenhaus auf das Dach der kleinen Waschküche geklettert ist. Das fünf Jahre alte Mäderl kraxelt auf das Dacherl und hat in den Schloss-Garten geschaut! Franz Lehár hat gerufen: „Was suchst du denn da?“ „Ich will auch einen schönen Garten sehen!“ Da hat Franz Lehár gesagt: „Geh schön langsam zurück vom Dach, komm in der Hackhofergasse zu unserer Tür, klingle an, dann kannst du hereinkommen.“ Das Mäderl hat hereinkommen dürfen und unterm Klavier sitzen dürfen. Einmal klingelt es bei mir, Jahre später! Eine Dame im Rollstuhl und ein Herr stehen vor der Tür. Sie hat gesagt, sie kann nicht ins Museum kommen, aber dem Mann kann man das Museum zeigen. Die Dame war das Mäderl von damals mit fünf Jahren. Sie war 85 und wollte das Haus nochmals sehen!

Hermine Kreuzer

So landschaftlich schön gelegen und architektonisch reizvoll das Schikaneder-Schlössl auch war, es war doch ein ziemlich unpraktischer Bau! Eine Erweiterung des Baus, Restaurierung desselben und Modernisierung der Badezimmer-, Küchen- und Heizanlagen waren vonnöten. Nach Fertigstellung reihten sich an Empfangs-, Speise- und Arbeitszimmer weit voneinander liegend die Schlafräume der Ehegatten. Am äußersten rechten Flügel befand sich ein Billardzimmer. Überall in den Räumen Klaviere! Und Kunstgegenstände, für deren Ankauf Sophie zuständig war. In der Bibliothek Sammelwerke über bildende Künste des 17. und 18. Jahrhunderts. Im Obergeschoss war das Archiv untergebracht, die unermessliche, in vierzigjähriger emsiger Arbeit zusammengetragene, aus der Theobaldgasse übersiedelte Leháriana-Sammlung: Partituren von KUKUŠKA bis zur 1943 in Budapest aufgeführten Operette GARABONCIÁS DIÁK, Operetten-Urhandschriften, in schweres Leder gebunden in einem Panzertresor. 100.000 Zeitungsartikel, Rezensionen, Interviews und Artikel waren in 150 Folianten, nach Datum geordnet, eingeklebt: In 22 separaten Bänden befanden sich 200.000 Theaterprogramme aus aller Welt, die Wände tapezierten Widmungsbilder. Bücher mit Karikaturen, Briefe, Fotografien. Spezielle Regale für Briefordner und Verträge, Abrechnungen, Geschäfts- und Privatkorrespondenz.

Zeugnisse für das Datum des Bezugs des Schlössls sind vorhanden. Handschriftliche Eintragungen vom Sommer 1933, die im schon mit vielen früheren Eintragungen versehenen Gästebuch zu finden sind, sind zum Beispiel diejenigen, in „freudiger Erwartung“ auf gemeinsames Musizieren am 17.6., vom Vorstand der Wiener Philharmoniker, Hugo Burghauser, und am 21.6. vom Sekretär Anton Weigl. Die Gattin von Anton Weigl schreibt: „Ich beglückwünsche mich, das schmucke / und traute Heim unseres allerwertesten / Meisters in Benützung geben zu können. / Alles Gute und Schöne wünscht bei diesem Anlass Inge Weigl.“ – Franz und Anton Lehárs Schwester Emmy (Emmy Papházay-Lehár) notiert am 9. Juli 1933: „Zur Erinnerung an einen unvergleichlich schönen Nachmittag / im Schikanederschlössl! / Emmy Pawlas (sic.) Lehár“. – „Wien, d. (?) Dezember 1933“ schmückt das Gästebuch eine Eintragung von Carl Alwin, dem damals berühmten Dirigenten und Weggefährten von Lehár sowie von Tauber (Alwin und Tauber mussten wegen jüdischer Abstammung im März 1938 emigrieren): Eine Zeile mit Notenschrift ist kommentiert mit „Fanget an“ und mit dem Hinweis „Meistersinger“ versehen; der Eintrag setzt sich fort mit: „Auf zur Giuditta! / mit schönem Dank für / die gastliche Aufnahme bei / Meister Lehár“. – Der Jänner und Februar 1934 bringt so unterschiedliche Personen auf einer Seite in Nachbarschaft wie Alma Maria Mahler mit ihrer Unterschrift in energisch großer Handschrift und Dr. Artur Schuschnigg mit den Worten „In tiefer Verehrung und Dankbarkeit“; „Artur“, Leiter der Tonträgerabteilung Wien und nach dem Zweiten Weltkrieg Intendant der Sendergruppe West in Tirol, war der jüngere Bruder von Dr. Kurt Schuschnigg. – Mit Vermerk „3. Aug. 1934“ ist zu lesen: „We are here to serve great / Meister Lehár, to carry / his lovely notes across the wide ocean – / straight into the hearts / of American radio listeners! / Max Jordan / National Broadcasting / Company of America“. – Eine weitere Eintragung stammt vom Deutsch-Amerikaner Ernst Lubitsch: „Meister Lehar / von seinem aufrichtigsten / Verehrer und Bewunderer / 24 April 36, Bel Air, California, U.S.A.“ – Worte der Bewunderung für das Ehepaar Lehár findet am 9. November 1941 ein Herr, der als Bruder den Familiennamen eines Berühmt-Berüchtigten trägt und sich verbürgterweise für die Sicherheit von Sophie Lehár, die jüdischer Herkunft war, und auch für andere verfolgte Personen eingesetzt hat: „Ein Erlebnis, in diesem kultivierten / Heim zu sein, voll Schönheit und / Erinnerungen. Nicht allein dem Meister / der seelenvollsten Musik meinen / herzlichsten Dank, sondern in erster / Linie den warmen Menschen: / Frau und Herrn Lehár. / Ihr dankbarer / Albert Göring“. – Die letzten Eintragungen der Kriegsjahre im Lehár-Schlössl stammen vom 6. August 1943 und bedürfen keiner näheren Erklärung: „Der für mich so völlig überraschend kommende Besuch / in diesem wahrhaft märchenhaft trauten Heim / hat mich zutiefst beeindruckt und wird mir / unvergeßlich bleiben. / In dankbarster Erinnerung / Emil Dietz, Graz // Treue um Treue! Ernst […] // Liebe um Liebe! Hilde Dietz“.

Die Annalen schweigen darüber, wie lange der treue Diener Karl Grün im Schikaneder-Schlössl seine Dienste versah und somit den Gästen Einlass gewähren oder auch verweigern konnte. Gesichert ist, dass er 1934 sein 25-jähriges Jubiläum als Kammerdiener bei Meister Franz Lehár gefeiert hat. Die „Illustrierte Kronenzeitung“ betont in ihrem Artikel vom 25. Oktober:

Wer 25 Jahre auf einem Posten ist, der stellt damit nicht nur sich selbst, sondern auch seinem Herrn ein gutes Zeugnis aus. […] Still und unauffällig verrichtete er seine Obliegenheiten, still und unauffällig blieb er auch außerhalb des Hauses. Und beinahe wäre es ihm am liebsten, wenn man auch jetzt von seinem Jubiläum gar keine Notiz nehmen würde. „Wenn S’ was über mich schreiben, dann nur ein ganz kurzes G’setzel!“

Im Zeitungsartikel wird auch die Theobaldgasse erwähnt, die der Obhut des Kammerdieners anvertraut gewesen sein soll. Andererseits berichten die Biografen Maria von Peteani und Bernard Grun, die Lehár persönlich gekannt haben, von „Karls“ Anwesenheit im Schikaneder-Schlössl, das erst später in Lehár-Schlössl umbenannt worden ist.


Drittes Schlössl-Zwischenspiel

Am 21. Januar 1936 stellt Richard Tauber seinen Mercedes am Nussdorfer Platz ab. Er öffnet Diana, die er im März des Vorjahres in England kennengelernt hat, die Autotür und lädt sie zu einem kleinen Spaziergang ein. Nein, nicht in die Hackhofergasse münden sie ein, sie gehen die Heiligenstädterstraße weiter, nur ein paar Schritte, bis sie zur Linken durch ein altes Gittertor einen Garten und in dessen Hintergrund, hoch aufragend, von Tannen beschattet, den überaus vornehm wirkenden schlossartigen Barockbau am Fuße des Kahlenbergs erkennen können: das Schikaneder-Schlössl, das seine Hauptfront dem nahen Donaustrom zuwendet. „Hier fuhren früher die Kutschen ein und aus. Heute geht’s profaner zu. Einlass ins Schlössl wird nur durch die Hintertür gewährt, dann, wenn der Gast dem Diener, der öffnet, zu Gesicht steht.“ Richard führt nun seine Diana die Hackhofergasse hinauf, und diesmal erwartet der „Franzl“ seine Gäste höchstpersönlich an der Pforte, das ist er Taubers eleganter Freundin Diana Napier schuldig. „We had a glimpse through the gate to the beautiful garden und already saw the front of your castle!“ „Der Garten ist im Winterschlaf, ihr müsst wieder einmal im Sommer kommen“, schlägt Lehár vor. „Ab Mitte April bin ich in England, dann in der Schweiz, danach wieder in England, für ein paar Tage Ostende, dann Paris, dann wieder Schweiz, London und erst im November wieder in Wien“, antwortet Tauber, „aber jetzt konzentrier’ ich mich noch auf meine eher tragische Rolle, den Octavio in GIUDITTA, der als Barpianist endet.“ Lehár bittet die beiden zum Tee in den Salon. Gesprächsthema ist natürlich GIUDITTA, diese Operette, die sich musikalische Komödie nennt, aber eigentlich eine Oper ist. „Diana, die Giuditta hat mir Richard eingebrockt“, sagt Lehár. „Mir gefiel zunächst die Textvorlage von Beda und Knepler nicht. Obwohl: vorgeschwebt ist mir immer schon eine carmenähnliche Figur.“ Richard führt aus: „Du hast ja doch immer wieder ins Textbuch geschaut, und es sind dir dabei wunderbare Melodien eingefallen: ‚Freunde, das Leben ist lebenswert‘!, ‚Meine Lippen, die küssen so heiß‘! Hast’ schon vergessen? Bei meinem ersten Besuch im Schlössl – da war die Ausgestaltung der Räume noch gar nicht fertig – hast du von Plänen gesprochen, Operetten, die nicht erfolgreich waren, zu überarbeiten, wie du das ja bei FÜRSTENKIND praktiziert hast. Ich, nicht begeistert, hab dich gefragt: ‚Warum komponierst du nichts Neues? Seit FRIEDERIKE sind drei Jahre vergangen! Wann kann man denn endlich etwas aus dieser geheimnisvollen GIUDITTA hören?‘ Und als du dich ans Klavier gesetzt hast, war ich dem Stück, der Rolle verfallen. Hab sogar die Staatsoper für die Uraufführung vorgeschlagen.“ „Ja, mit Spott und Häme wurde ich übergossen, schon vor der Premiere, und nachher schrieb mein Biograf Ernst Décsey, dessen unbrauchbare Libretti ich immer ignoriert hab’, in seiner Zeitungs-Besprechung im letzten Satz: ‚Die Giuditta ist ein elendes Machwerk, das nicht in die Staatsoper gehört.‘“ Bevor Tauber protestieren kann, schaltet sich wieder Diana ein, auf Englisch, versteht sich: „Also, was ich so gehört habe, war GIUDITTA ein triumphaler Erfolg. Die internationale Presse war da. Das Stück hat seit der Premiere im Januar 1934 schon viele Aufführungen erfahren, 1935 die Lehár-Festspiele in Abbazia und dieses Jahr ist noch Zürich an der Reihe. Richard, sag’, wann wollen die beiden Herren kommen?“ Das Klingelzeichen, das ertönt, überrascht nur Lehár. Er wird von Tauber aufgeklärt: „Es kommen der Ambassador Tonie Howard und Robert Hart. Ich habe sie hierher bestellt. Lass dich überraschen …“ Die beiden Herren der amerikanischen Botschaft, Lehár, Tauber und Diana Napier führen, nach Begrüßungs- und Vorstellungsritualen, ein angeregtes Gespräch. Bevor die Gäste aufbrechen, verlangt Tauber nach dem Gästebuch, dem er die Zeilen anvertraut: „Zum Gedenken an den 21. Jänner 1936, / wo die Idee geboren wurde / die Uraufführung von / Giuditta in englischer / Sprache in New York im / Herbst dieses Jahres zu machen! / Hoffen wir, dass diese wunderbare / Idee sich verwirklichen lässt!! / Vereint werden wir alle / und alles / schlagen / Richard Tauber und Diana / Tonie Howard, Ambassador Extraordinary“.

Die GIUDITTA kam in New York nicht zur Aufführung. Der Schwung beim In-Töne-Setzen der Giuditta im Schlössl hielt nicht an. Ein unsinniger Plagiatsvorwurf, der zu Ungunsten der Klägerin ausging, beschäftigte Lehár über Monate hinweg. Der Plagiatsvorwurf zog aber weitere Kreise, nicht nur wurden GIUDITTA-Aufführungen abgesagt, der Komponist Wilhelm Kienzl schloss sich, wie es in Lehár-Biografien heißt, „aus Berufsneid“ den Anschuldigungen von Künstlern an, Lehár habe „abgeschrieben“, was erstaunlich ist, gibt’s doch den freundlichen Kienzl-Eintrag „Hier ist’s gut – ‚sitzen‘“ im Gästebuch! Schadenersatzansprüche wurden geltend gemacht. Schließlich wurden die Rädelsführer verhaftet, aber dem Komponisten Lehár, bald 70 Jahre alt, hatten die Aufregungen sehr zugesetzt. Auf schöpferische Eingebung wartete er vergeblich.

Der politische Umbruch in Österreich im Jahr 1934 brachte Dr. Kurt Schuschnigg an die Macht. Nach der Ermordung von Kanzler Dollfuß kam es unter der neuen politischen Führung nicht mehr zur Bewilligung einer Subvention zur Sanierung des Theaters an der Wien. Hubert Marischka musste, vor dem Konkurs stehend, am 1. März 1935 sein Theater schließen. Sein Verlag, der Karczag-Verlag, besaß die Urheberrechte der Lehár-Operetten. In einem außergerichtlichen Vergleich erhielt Lehár die Rechte aller seiner Werke samt dem vorhandenen Lager an Musikalien und Materialien zur freien Verfügung. Auf riesigen Lastautos wurden vor dem Hintereingang des Theaters an der Wien alle Klavierauszüge Lehárs, Einzelnummern, Orchesterstimmen, Potpourris, Tanz-Arrangements und Textbücher aufgeladen, in die nahegelegene Theobaldgasse transportiert und dort in den Lagerräumen des von Lehár neugegründeten Glocken-Verlages hinterlegt. Das Verlagsgeschäft nahm von nun an viel Zeit in Anspruch, aber diszipliniert wie er war, fuhr Lehár jeden Tag frühmorgens vom Schlössl in die Theobaldgasse, galt es doch, für die Nachwelt seine musikalischen Schätze als Druckwerke zu sichern. Sein Freund Tauber war nach langen Aufenthalten im Ausland ab Dezember 1937 wieder in Wien und bis zum 7. März 1938 in vielen Opernproduktionen Stargast der Wiener Staatsoper. Der 7. März war ein denkwürdiger: Tauber sang den scheiternden Octavio in GIUDITTA, nicht wissend, dass es ein bitteres Abschiedsgeschenk an die Wiener war! Lehár dirigierte schon seit längerem seine Operetten nur mehr gelegentlich, Carl Alwin stand am Pult. Berichten zufolge musste er nach der Vorstellung durch die Hintertür der Staatsoper flüchten, der Nazi-Mob randalierte vor dem ehrwürdigen Haus. Tauber verließ Wien am 8. März; in Mailand waren Tauber-Auftritte geplant, die aber wegen Taubers Depression angesichts des „Anschlusses“ entfielen. Ab 1939 lebte Tauber in England mit Diana, die er im Juni 1936 in London geheiratet hatte. Seinen Freund Lehár traf er noch einmal, nein, nicht im Schlössl, auch nicht in Wien oder Ischl, sondern in Zürich, im Mai 1946. Und am 5. Juni fand ein (später so genanntes) „Farewell Konzert“ statt, das die beiden Freunde musikalisch gemeinsam für Radio Beromünster bestritten.


Ausklang

Franz Lehár starb im Herbst 1948. Als ihm sein Bruder Anton im Herbst 1962 in den Tod nachfolgte, wurden Hermine und Erich Kreuzer zum Notar gerufen …

Für 10 Uhr war die Testamentseröffnung festgelegt. Der Erich schaut auf die Uhr und sagt: „Fünf Minuten vor 10! Unverschämt, diese Erben, die kommen zu spät zur Testamentseröffnung!“ Und derweil kommt der Notar herein mit seiner Sekretärin und liest vor: „Die Hälfte bekommt der Erich, die Hälfte ich.“ Ich hab gesagt: „Nein, um Gottes willen, der Besitz kostet so viel Geld, wie sollen wir alles erhalten.“ Und der Erich hat gesagt: „Wir bleiben in der ganz kleinen Wohnung, wir versuchen, für die anderen Wohnungen gute Mieter zu finden, um mit der Miete die Abgaben und Steuern zu bezahlen. Und die Arbeit, da machen wir alles selber.“ Und so haben wir begonnen.

Hermine Kreuzer

Als, wie im dritten Zwischenspiel beschrieben, Richard Tauber mit Diana Napier im Schlössl war, besuchten wohl die beiden, und auch die amerikanischen Diplomaten, bevor sie durch die Pforte in die Hackhofergasse hinaustraten, die Schlössl-Kapelle. Die Kapelle, mit Oratorium, gehört zum ältesten Baubestand des Schlössl-Anwesens. Heute noch ist in älteren Stadtführern und Nachschlagewerken zu lesen, dass Richard und Diana hier geheiratet hätten. Aber Carlotta Vanconti-Tauber, Richard Taubers erste Ehefrau, hatte die Scheidung mit Drohungen und Erpressungsversuchen immer wieder hinausgezögert, so dass wohl für die Heiratswilligen der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen war …

Die Decke der Kapelle ist mit einem Fresko dekoriert, die Heilige Dreifaltigkeit darstellend, mit einem großen, über der Balustrade schwebenden Engel. Der Altar ist ein marmorisierter Wandaufbau, rechts und links mit überlebensgroßen Statuen des hl. Josef und des hl. Anton von Padua. Das Altarbild, ein österreichisches Werk aus der Zeit um 1750, im mit Cherubsköpfen verzierten Rahmen, ist eine Darstellung der Unbefleckten Empfängnis Mariä und zeigt die Himmelskönigin als Besiegerin des Drachen – so oder so ähnlich erklärt Hermine Kreuzer bei Führungen den kleinen Innenraum der Kapelle. Auch sie, als „Abschiedszuckerl“ am Ende der Schlössl-Begehung, erzählt, dass Richard Tauber hier Diana zur Frau genommen habe. Von Anton Freiherr von Lehár dürfte die leider nicht wahre Geschichte stammen. Ungleich viele „wahrere“ Geschichten hat Hermine Kreuzer auch von dem Baron erfahren, die sie bei ihren Führungen durchs Haus (nach Anmeldung!) in unvergleichlich sachbezogen-empathischer Weise zum Besten gibt.

Wir haben nach dem Tod vom Baron keine Ahnung gehabt! Wir wussten, er hat keine Erben. Die Schwester von den Brüdern Lehár ist leer ausgegangen, das wollte der Baron so. Die Schwester hat nach dem Tod von Franz Lehár eh alles bekommen! Sie hat ja das ganze Haus ausgeräumt! Und das Inventar verkauft. Die Schwester hat sich auf zwei im Testament fehlende Wörter gestützt, auf „samt Inventar“. Sie hat das ausgenützt, hat alles ins Dorotheum gebracht und sonst wohin. Nach dem Tod von der Schwester Emmy hat ihr Sohn, der Neffe, wohnhaft in Amerika, die Tantiemen bekommen und hat 70 Jahre lang seine 17 Kinder davon ernährt. Erst jetzt, 70 Jahre nach Franz Lehárs Tod, bekommen sie kein Geld mehr … Der Bruder Anton hat einige Sachen zurückgekauft. Auch die Sänfte vom Schikaneder, damit sich ein Stück von Schikaneder im Haus befindet, und die beiden Stühle, die oben stehen. Er hat aber die Mittel nicht gehabt, um alles zurückzukaufen.

Hermine Kreuzer

„Potpourri“ ist bekanntlich eine musikalische Genre-Bezeichnung. „Potpourri“ – auch der Aufsatz DAS WIENER LEHÁR-SCHLÖSSL verdient durch die Aneinanderreihung divergenter Text-Teile diese Bezeichnung. Der in die Historie zurückgehenden vertikalen Erfassung des Schlössls steht die horizontale gegenüber, das ist der Ist-Zustand des Gebäudes. Die große Anzahl an Räumen des Schlössls, die verschiedentlich genutzt wurden und auch heute noch verschiedene Funktionen haben, und auch der „Garten“, der mit seinen mehr als 2.000 Quadratmetern doch ein kleiner Schlosspark ist, waren und sind mit Leben erfüllt.

Nach der Testamentseröffnung ist der Stadtrat X [der Name ist Hermine Kreuzer erinnerlich] gekommen, ins Haus, und hat sich umgeschaut, auch oben, wo die Sänfte vom Schikaneder steht. Vorn in der Ecke ist er gestanden und hat gesagt: „Was wollen Sie? Ein Museum? Wir haben so viele, alles weggeben, eine Büste muss her“, war seine Antwort. Wir haben gekämpft drum, dass alles erhalten bleibt, so, wie es der Bruder gemacht hat. Den Saal hat ja der Bruder schon eingerichtet zur Erinnerung an Franz Lehár: der Erich hat mitgeholfen, die Bilder aufgenagelt …

Hermine Kreuzer

Was heute im Museum an zeitgenössischen Fotos, Bildern und schriftlichen Originaldokumenten zu sehen und einzusehen ist, war vor Kriegsende versteckt worden. Hermine Kreuzer erzählt, dass es „Einheimische“ waren, die in den Wirren des Kriegsendes das aus dem Schlössl gestohlen haben, was ihnen wertvoll beziehungsweise brauchbar erschien. An Personal zurückgeblieben waren nur die Köchin und die „Beschließerin“, die den Plünderungen hilflos gegenübergestanden seien. Es waren kurz die Russen im Haus; ob sie was angerichtet haben, ist nicht dokumentiert. Nach den Russen waren die Amerikaner im Schlössl, die mit Erstaunen die Verbindung zwischen der in den USA sehr populären MERRY WIDOW und diesem Schlössl-Besitzer namens Franz Lehár erkannten. Ähnliche Wiedererkennungseffekte ergaben sich auch, als die Amerikaner in Bad Ischl einmarschierten; Lehár, der sein durch Plünderungen unbewohnbar gewordenes Schlössl nach 1944 nicht mehr besucht hatte, habe die Amerikaner 1945 in seiner Ischler Villa „freundlich begrüßt“, berichten die Biografen.

Wir haben restauriert und renoviert. Die Fassaden im Hof haben wir herrichten lassen, da haben wir damals einen Teil der Kosten vom Bund, dem Denkmalamt bekommen. Im Jahr 1972 haben wir die Gartenfassade restaurieren lassen. Man hat festgestellt, dass die vierte Schicht unter dem Putz die Farben „rosa“ und „gelb“ gehabt hat. So wie es heute wieder ist! Lange Zeit war die Fassade nur „gelb“. Gelb und rosa, ich bin’s nun so gewohnt, ich will’s gar nicht anders haben! Für die Restaurierung haben wir vom Bund, Denkmalamt, auch einen Zuschuss bekommen. Auch die Stadt Wien hat dazu bezahlt. Aber sonst kriegen wir nix von der Stadt Wien, müssen alles selbst erhalten.

Hermine Kreuzer

Mit Führungen durchs Schlössl hat Hermine Kreuzer sofort begonnen, als Anton Freiherr von Lehár gestorben war. Sie hat, wie sie sagt, die Führungen ausgeweitet. Sie wusste ja schon gut vom Baron Bescheid über Leben und Wirken des Komponisten Franz Lehár. Der Baron hatte allerdings pro Jahr nur zweimal Besucher durchs Schlössl geführt, zu Lehárs Todestag und an seinem Geburtstag. Hermine Kreuzers Führungen sind kostenlos. Sie nimmt nur Spenden an, damit sie keine Einnahmen zu versteuern hat. Alles sauber machen für die Führungen – auch das haben ihr Mann und sie immer alleine gemacht. „Den Garten haben wir naturbelassen [der Garten macht aber einen durchaus gepflegten Eindruck]. Früher hat Erich gemäht, heute ginge das natürlich nicht mehr“, sagt Hermine Kreuzer lachend. Sie sei, hat sie einmal im Gespräch verraten, von ihrem Mann Sonnenscheinchen genannt worden. Liebesbrieferl ans Sonnenscheinchen fand sie unterm Kopfpolster vor …

Wir haben auch eine Quelle im Garten. Die eigene Quelle hat im alten Brunnen den Springbrunnen betrieben. Wenn man 50 Meter vorgeht, am Weg, da hat die Gemeinde Wien den Bach ausgemauert und die Rohre rausgerissen. Seither ist eine Pumpe für den Springbrunnen in Betrieb. Früher ist im Winter auch der Springbrunnen gegangen. Da hat sich ein Eisberg gebildet. Der Erich ist mit der Leiter auf den Eisberg gekraxelt, bis ganz oben zur Spitze, wo noch Wasser aus dem Springbrunnen gekommen ist. Es gibt Fotos davon. Es ist auch im Winter in den Zeitungen gestanden: Im Garten des Lehár-Schlössls geht der Springbrunnen noch!

Hermine Kreuzer

Der Baumbestand des „kleinen Schlossparks“ hat sich wohl während der Zeitläufte geändert. Der riesige Ginkgobaum, der den Garten heute beherrscht, ist angeblich schon hundert Jahre alt. Älter ist der steinerne Adler auf einem höher gelegenen Mauervorsprung, der mit ausgebreiteten Flügeln über das Schlössl-Anwesen wacht. Alt ist auch das kleine Steinrelief mit Schikaneders Antlitz in der Mauer unterhalb der Adler-Skulptur. Auf der Wiese tollt dieser Tage der Golden Retriever eines Mieters herum; zu Lehárs Zeiten war es ein Seidenpinscher, angefaucht von einer Angorakatze. Aus den geöffneten Fenstern drang der Gesang von Kanarienvögeln ins Freie, wenn nicht gerade Lehár am Klavier saß und komponierte. Schön muss es sein, Konzerten mit Operettengesang der Lehár-Gesellschaft im Schlosspark lauschend, die repräsentative dreigeschossige Schlössl-Vorderseite im Auge zu haben. Die fünfachsige Fassade mit Pilastergliederung wird von floral geschmückten Simsen durchquert. Eine perfekte barocke Inszenierung der „Tempel“-Front des Schlössls, wobei auch die vom Garten zugängliche Grotte des Schlössl-Gebäudes Erwähnung finden muss.

Meister Lehár wohnte würdig. Geradezu kultische Verehrung wurde ihm zum 60. Geburtstag im Jahr 1930 zuteil, zwei Jahre vor dem Kauf des Schlössls. Er hatte sich mit Frau Sophie im Hotel Stephanie in Baden Baden „verkrochen“, wo er natürlich aufgespürt worden war. In der Schreibtischlade des Museums, die Erinnerungsschätze beherbergt, liegt ein dickes Mäppchen mit Glückwunschtelegrammen. Die Absender derselben haben klingende Namen; in ungeordneter Reihung werden sie aufgezählt: Max Taussig / Emmerich Kálmán und Ehefrau / Hubert Marischka / Friedl Tauber-Müller / Personal des Karczag-Verlags / ungarische, französische, italienische, niederländische und viele englische und amerikanische Absender / Schauspielhaus Dresden / Deutscher Bühnenverein / Hermann Dostal / Radio Wien / Staatsoper München / Fritzi Massary / Max Pallenberg / Hans-Heinz Bollmann / Hella Kürty / Karl Farkas / Anna Lydia und Béla Jenbach an Frau Sophie / Generalintendant Richard Anton Tauber und Frau / Erich Kleiber und Frau / Julia und Willy Ginzkey / Bruno Walter / Leo und Klara Beer / Otto Hasé-Tauber / Fam. Bittner / die Librettisten Viktor Léon und Paul Knepler / Frau Präsident Regina Schlesinger, „Prinzessin Luisenheim“.

Glückwunschdokumente zu Lehárs 70. Geburtstag befinden sich nicht in der besagten Schreibtischlade. Zu Lehárs 150. Geburtstag ist das Buch, das Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, in der Hand haben, „Ein Franz-Lehár-Lesebuch“ erschienen …

Das muss ich noch erzählen! Im Jahr ’14, 2014, ist ein Packerl gekommen, genau an die Adresse Hackhofergasse 18, 1190 Wien. Aber der Absender hat gefehlt. Mein Mieter Thomas hat gesagt: „Mach es auf!“ Kommt ein Bild heraus, der Franz Lehár, und ein Brief. Die Dame schreibt: „Ich bin 95 Jahre alt. Ich habe das Bild so behütet und ich möchte nicht, dass es in schlechte Hände kommt.“ Übers Konsulat hat sie erfahren, dass es in Wien ein Lehár-Haus gibt. Deswegen hat sie das Bild hierher geschickt, weil, wie sie 20 Jahre alt war, hat sie beim Schulabschluss in der Schweiz den „Gold und Silber“-Walzer getanzt und hat erfahren, dass Franz Lehár schwer krank im Krankenhaus liegt [in der Schweiz]. Da hat sie sich gedacht, sie schreibt ihm das, vielleicht hat er eine Freude. Das war auch so, als Antwort auf den Brief hat er das Bild geschickt und darunter Noten vom „Gold und Silber“-Walzer [komponiert 1902 für eine Faschingsredoute in Wien]. Ich bin noch in Kontakt mit ihr. Wir schreiben uns. Sie ist jetzt 100 Jahre alt und sitzt im Lehnstuhl und freut sich über Briefe von mir und schreibt auch zurück.

Hermine Kreuzer

Ausbegleitung

Im Laufe der Jahrzehnte besuchten Gäste aus nah und fern das Lehár-Schlössl. Die Gästebücher geben darüber Auskunft. Franz Lehár kehrte schwerkrank im Juli 1948 (ohne Sophie, die 1947 in Zürich gestorben war) nach Bad Ischl zurück, um hier sein Leben zu beenden. Dasjenige Gästebuch mit den letzten Schlössl-Eintragungen von nationalsozialistischen Verehrern enthält auch auf einem Blatt vom 3. August 1948 eine dicht mit Namen gefüllte Liste von ihn willkommen heißenden Ischler Bürgern: „Zur Begrüßung Meister Lehárs nach seiner Rückkehr in sein Heim in Bad Ischl.“ – Nur ein berührendes Beispiel aus einem der neueren Gästebücher von einer für Lehár nicht unwichtigen Sängerinnenpersönlichkeit vom Juli 1960: „Lust. Witwe II hat II Finale / Verlieb Dich oft / verlob Dich selten / heirat nie! / Ich hab es umgekehrt gemacht / und war sehr glücklich! Mitzi [sic!] Günther / (erste lust. Witwe) / heute alte Dame von 81 Jahren.“ – Die Gästebuchseite, die Mizzi Günther mit ihrem Eintrag eröffnet, ist bis zum unteren Rand dicht angefüllt mit den Namen von Besuchern aus den USA, vorwiegend aus California, aber auch aus Ohio, Tennessee, Ottawa und Maryland.

Die Konzerttätigkeit im Lehár-Schlössl ist wohl im Sinne des verstorbenen Musikschöpfers, dessen musikalische Hinterlassenschaft auch von sogenannten E-Musikern heute noch als herausragend eingestuft wird. Dass das Schlössl „tönt“, ist wiederum ein Verdienst der opern- und operettenkundigen Hermine Kreuzer, die seit Jahrzehnten als treue Abonnentin die Volksoper besucht.

Alles mit dem eigenen Geld finanziert, durch die Einkünfte aus Mieten. Bei den Veranstaltungen nehmen wir keine Eintrittsgelder. Freiwillige Spenden! Bei Eintrittsgeldern müssten wir ja Steuern bezahlen! – Vierzig Personen haben im Museum, das auch als Konzertsaal dient, Platz. – Vor den Konzerten räume ich die Vitrinen weg [die Vitrinen laufen auf Rollen, montiert von Ehemann Erich], verrücke das Klavier [auch Klavierbeine „rollen“] und stelle die Sessel auf. Fünf bis sechs Konzerte sind es im Jahr. Ich mache alles selber, das Wegräumen, Aufstellen der Sessel und nachher wieder Herräumen der Vitrinen. Viele Konzerte gab es bisher von der Franz Lehár-Gesellschaft! Wann die Lehár-Gesellschaft „eingestiegen“ ist? Wann ist das gewesen? Ich glaube, schon in den 70ern … Zur kalten Jahreszeit haben wir keine Konzerte. Man kann das Museum schon beheizen, mit Holz. Warum wir dann im Winter keine Konzerte machen? Weil die Gehsteige mit Split bestreut sind; im Profil der Sohlen der Schuhe bleibt der Split und macht Löcher in den Sternparkett des Museums.

Hermine Kreuzer

Im Jahr 2019 begann die Konzertsaison mit einem Konzert der Wiener Volksopernfreunde am 2. Juni. „Frühlingszauber bei Franz Lehár“ stellte sich ein durch musikalische Perlen aus Operette und Chanson. Besonders schätzt Hermine Kreuzer die jährlich wiederkehrenden Gäste aus Malibu in Kalifornien. Unter dem Titel „Wir feiern“ wurde am 3. Juni Opern- und Kammermusik präsentiert, durch Prof. Dr. Henry Price, Operntenor und Schikaneder-Forscher, und seine jungen Musiker der Pepperdine University. Veranstalter war die Johann-Strauss-Gesellschaft Wien. Am 23. Mai trat Prof. Wolfgang Dosch von der MUK Wien und Leiter der Wiener Lehár-Gesellschaft mit seinen Schülern des Faches „Operette“ im Lehár-Schlössl auf. Am 31.  August war die Johann-Strauss-Gesellschaft Wien mit „Wiener Jubiläen“ zu Gast im Schlössl. Die Penzinger Konzertschrammeln spielten auf, begleitet von Gesang und Moderation durch Peter Widholz.

Hermine Kreuzer besitzt eine dicke Mappe mit Dankesschreiben an sie, die sie selten aus einer versteckten Lade hervorholt. Stolz ist sie darauf, dass der Präsident des Obersten Gerichtshofes von 2003 bis 2006 Dr. Johann Rzeszut, Jurist und Autor, zu ihren Bewunderern zählt und sie immer wieder besuchen kommt. Sie korrespondiert auch mit Nachfahren von Schikaneder in England und den USA, die mit ihr in regem Kontakt sind. Und in einer Gästebucheintragung vom 27. Mai verleihen zwei Personen, die nicht vorrangig des Meisters Lehár wegen gekommen sind, ihrer Bewunderung für Frau Kreuzer Ausdruck. Just an diesem 27. Mai ist auch die Verfasserin des Aufsatzes Das Wiener Lehár-Schlössl rechts der Pforte des Schlössls aus dem kleinen Nebengebäude, in dem Hermine Kreuzer immer noch wohnt, hinaus auf den kleinen Schlosshof getreten. Eine Schwalbe sauste über ihren Kopf hinweg zu einem Wirtschaftsraum links der Pforte. Da haben die Schwalben, die gerade erst zurückgekommen sind vom südlichen Winterquartier, schon eifrig Nester gebaut, das sagt Kreuzer, als sie nachgekommen ist. Sie verweist auf den Gästebucheintrag und schickt die Verfasserin zurück ins Museum. Da liest sie: „Liebe Frau Kreuzer! / Unsere gemeinsame Liebe zu den Schwalben hat / uns hierher gebracht und uns nun diese wunderbaren / historischen Einblicke gebracht, vielen Dank! / Wir freuen uns auf den nächsten Besuch, hoffentlich / schon mit Schwalbennachwuchs [Zeichnung von zwei fliegenden Schwalben] Yoko Krenn / & Nachwuchs Leano (15 Wochen) / & Alfred Stranzl.“

Der Schwalbennachwuchs hat sich eingestellt. Die umsichtige Schlossherrin Hermine Kreuzer fixiert die halb offen stehende Tür zum Wirtschaftsraum. Sie schiebt einen Holzkeil unter die Tür. Konzertbesucher könnten ja versuchen, die Tür zu schließen. Aber oben im Eck zwischen Türstock und vorspringender Mauer hat ja die Schwalbenmutter ihre Jungen im Nest hocken …
 

Anmerkung: Das Gespräch mit Hermine Kreuzer führte Dr. Michael Lakner. Mit Frau Hermine Kreuzers Einverständnis konnte ein Audio-Mitschnitt des Gesprächs in den Aufsatz aufgenommen werden. Die Verfasserin des Aufsatzes sowie Mitherausgeber Kai-Uwe Garrels bedanken sich dafür bei Hermine Kreuzer, der Hüterin und Bewahrerin des Schlössls, sehr herzlich!

PDF-Download

Artikelliste dieser Ausgabe