Die lustigen Meister?
Text: Zsolt Horpácsy
In: Magazin, November / Dezember 2022, Oper Frankfurt, S. 6-7 [Publikumszeitschrift]
Hatte Richard Wagner Humor? Ja, bestimmt. Auf seine eigene Weise. Doch aus unterschiedlichen Gründen finden viele Verehrer und Verächter den Bayreuther Meister gar nicht lustig. In der Tat kann man sich einen witzigen Wagner nur mit Mühe vorstellen, obwohl er (angeblich) schallend lachen konnte. Der »schnupfende Gnom aus Sachsen mit Bombentalent«, wie Thomas Mann ihn beschrieb, konnte sarkastisch, selbstironisch, zynisch, schadenfroh, aber auch verspielt wie ein Kind agieren. Sein gewöhnungsbedürftiger Humor war genauso stark von krassen Gegensätzen und Widersprüchen geprägt wie seine Biografie und sein Werk.
Im ersten Prosaentwurf für Die Meistersinger von Nürnberg von 1845, aber auch 16 Jahre später, als sich Wagner zur Ausführung des Meistersinger-Projekts entschloss, bezeichnete er das geplante Werk als »komische« bzw. als »große komische Oper«. Doch in allen weiteren Stadien der Entstehung verzichtete er auf die präzise Gattungsbezeichnung. So wurden die Meistersinger bei der Uraufführung einfach als Oper angekündigt, auch wenn die Partitur nach wie vor die Freude des Komponisten über einen in seinen Augen »leichten« Stoff vermittelt. Nach vielen Göttern, Helden, Riesen und Zwergen, Verdammten und Erlösten begegnen wir hier zum ersten und einzigen Mal in Wagners Œuvre normalen Bürger*innen in Alt-Nürnberg: Meistern verschiedener Zünfte, einem Liebespaar und dem Volk auf der Straße. Sie kreisen um die beiden zentralen Figuren: um den Schuster-Poeten Hans Sachs und den Stadtschreiber Sixtus Beckmesser.
Auf Wagners Sehnsucht nach Abwechlung, nach einem Musikdrama mit heiteren Tönen, deutet eine Passage aus seinem Brief an den Verleger Franz Schott hin, dem er 1861 sein Konzept präsentierte. Er schwärmte von einem »heiteren, ja lustigen Sujet«, das zwei große Vorteile aufweise: »dass es mich selbst erheitert während der Arbeit, und dass es andererseits alle die erschwerenden Ansprüche für die Aufführung, die meinen übrigen Werken zu eigen sind, ganz und gar nicht enthält«. Natürlich verfolgte sein Brief den Zweck, ein Projekt beim Verleger schmackhaft zu machen, wenn Wagner betont: »Ich habe nun dabei eine schnelle sofortige Verbreitung für alle Theater im Auge.« Die Meistersinger als leicht aufführbares Werk? Trotz Wagners Ankündigung gehört die erst 1867 vollendete Partitur zu den komplexesten Stücken des Repertoires und stellt für alle Opernhäuser einen besonderen Kraftakt dar.
Der »leichte« Stoff
Auch wenn das Adjektiv »komisch« während der Kompositionsarbeiten abhandengekommen war, orientierte sich Wagner stark an der typischen Buffo-Tradition. Das betrifft vor allem die Personenkonstellation. Dem Junker Walther von Stoltzing erscheint die Regel des bürgerlichen Meistergesangs völlig fremd, sein Auftreten löst auf der anderen Seite bei den Meistern nur Staunen, Häme und Unverständnis aus. Zwei grundverschiedene Welten prallen hier aufeinander, ihre Gegenüberstellung dient als Quelle der Situationskomik. Auch die Darstellung des Nebenbuhlers Beckmesser entspricht auf den ersten Blick der klassischen Komödientradition. Doch der pedantisch und in seiner Liebe zu Pogners Tochter Eva blind agierende Meister nimmt trotz des Gespötts der Leute eine Sonderstellung ein, die Wagner selbst so umreißt: »Beckmesser ist kein Komiker; er ist gerade so ernst als alle übrigen Meister. Nur seine Lage und die Situationen, in welche er gerät, lassen ihn lächerlich erscheinen. Seine Ungeduld, seine Wut, seine Verzweiflung lassen ihn komisch erscheinen.« Ebenso setzen sich David und Magdalene, die Nachkommen der Buffo-Paare alter Komödientradition, durch ihr ungleiches Alter dem Spott aus genauso wie Beckmesser für seine Werbung um die viel jüngere Eva. Im Gegensatz zu Hans Sachs, der der Versuchung widerstehen kann, sich um die junge Eva zu bemühen.
Man weiß ja besser
Wagner übernimmt weitere Elemente aus dem Fundus alter Komödien: Das Belauschen von Gesprächen, Kleidertausch, Übertreibung oder Parodie. Sein Humor baut auf bekannte theatralische Mittel, die er fabelhaft durchmischt. Dazu gehören ausgeklügelte Wortwitze, Situationskomik, Spott, Schadenfreude und schallendes (Aus-)Lachen bei Beckmessers Auftritt im Wettbewerb. Spätestens an diesem Punkt fällt auf, dass Wagners Humor in den Meistersingern – wie Carl Dahlhaus es andeutet – »nicht zu trauen ist«. Die kaltblütige Bloßstellung offenbart die abgründige Tiefe einer »komischen« Situation. Man amüsiert sich auf Kosten anderer, der Humor ist bissig, leicht und diabolisch zugleich. Zu dieser denkwürdigen Mischung konzipierte Wagner fantastische Klangwelten. Es gelingt ihm, alte Vorbilder und neue kompositorische Lösungen virtuos miteinander zu verbinden. In die Form des Leitmotiv-orientierten Musikdramas integriert er traditionelle Liedformen, Choräle, Ständchen, Ensemblesätze und ein 16-stimmiges Doppelfugato, als atemberaubende kompositorische Erfindung für die Darstellung einer sinnlosen Massenprügelei. Die strengste musikalische Form vermittelt hier das totale Chaos.
Hohn und Spott
Dass die Oper, vor allem die Festwiese und die Schlussansprache Sachs’, unter den Nationalsozialisten für propagandistische Zwecke instrumentalisiert wurde, ist kein Zufall: Die chauvinistischen Züge des Textes ragen hier so stark heraus, dass sie ohne eine kritische Interpretation schwer zu ertragen wären. Ausgerechnet hier offenbart sich Wagners vermeintlicher Humor am stärksten von seiner Schattenseite: Durch die Brutalität des Spottes und Hohnes im Namen der Regel und der Tradition.
Mit einem Jubel in C-Dur endet das Fest auf der Wiese. War dieser Johannistag wirklich komisch?
- Quelle:
- Magazin
- Oper Frankfurt
- November / Dezember 2022
- S. 6-7
PDF-Download
Artikelliste dieser Ausgabe