• Foyer5
  • Landestheater Linz
  • # 25 | November / Dezember 2022
  • S. 18-19

Das Opernstudio als Werkstatt des Kunstwerks der Zukunft

Text: Hermann Schneider

In: Foyer5, # 25 | November / Dezember 2022, Landestheater Linz, S. 18-19 [Publikumszeitschrift]

Die Oper hat in den zurückliegenden Jahrzehnten einen tiefgreifenden Wandel erlebt, der sich am anschaulichsten am Begriff „Musiktheater“ ablesen lässt. Damit ist – noch unter Rekurs auf Wagner und Nietzsche – nicht nur die „Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“ gemeint, indem die musikalische Struktur Ursache für theatrales Geschehen und Inszenierung wurde, sondern vor allem, dass die Darstellungskunst auf der Opernbühne vielfach neue Erfordernisse über die durch den Vorgang des Singens hinausgehenden darstellerischen Vorgänge hat.

Es gab das Bonmot, der Schauspieler gehe zur Bühne, um Theater zu spielen, während der Opernsänger dorthin gehe, um seine Stimme zu verkaufen. Diese Berufsauffassung ist durch den Paradigmenwechsel von der Oper zum Musiktheater lange überholt; Lehrpläne und Prüfungsordnungen der Hochschulen, Universitäten und Konservatorien dokumentieren dies eindrücklich.

Entsprechend der sich ändernden Lehrpläne werden seit Jahren die Fächer Darstellung und Szene unterrichtet, ebenso verfügen viele Institute über kleine Theaterspielstätten und entsprechende Infrastruktur, was vor einer Generation noch nicht selbstverständlich war und den Wandel in der Aufführungspraxis der Oper ebenso eindrucksvoll belegt wie vorantreibt: Jährlich verlassen hochqualifizierte und entsprechend ambitionierte Musiktheaterdarsteller:innen die Hochschulen, um in den Beruf zu gehen.

Was also ist Sinn und Zweck eines Opernstudios, wenn eine derartige Ausbildung bereits Standard ist an den Universitäten?

Auch die Opernstudios haben den bereits beschriebenen Wandlungsprozess durchlaufen; denn es gab bereits vor Jahrzehnten – wenn bei weitem nicht so zahlreich – dergleichen Einrichtungen an einigen größeren Opernhäusern. Diese waren jedoch seinerzeit ein Pool junger Anfänger:innen vergleichbar den seinerzeitigen Elevinnen und Eleven im Ballett; der Sinn des Engagements bestand darin, erste Bühnenpraxis und Theatererfahrung durch Übernahme kleiner Rollen in Repertoirevorstellungen zu sammeln. Das war weniger ein pädagogisches Programm oder ein dramaturgisches Konzept, sondern schlicht eine Besetzungsoption der Betriebsbüros großer Häuser, die ein Repertoire von fünfzig und mehr Produktionen zu verwalten und aus Ensembles mit ebensoviel Mitgliedern zu besetzen hatten.

Und so hat sich Eines sicher nicht geändert: Die Opernstudiomitglieder lernen und arbeiten eben unter „live“-Bedingungen mit Profis im Theateralltag. Dieser Erfahrungsschatz ist nach wie vor eminent, und den kann keine Ausbildung an einer Hochschule leisten oder ersetzen.

Grundsätzlich verstehen wir insbesondere in Linz das Opernstudio nicht als Besetzungspool für unser normales Repertoire. Sondern es hat mehrere Funktionen:

- Zuallererst gibt es die Anbindung des Studios an die Anton Bruckner Privatuniversität auch aus Gründen der Supervision und (gesangs-) pädagogischen Begleitung.

- Ferner ist unser Opernstudio eine Kammeroper, die dieses eigene Sub-Genre im Musiktheater pflegt, was uns in Linz dank des Neubaus mit der Spielstätte der BlackBox idealerweise möglich ist; das haben in dieser Form nur eine Handvoll Opernhäuser, insofern leiten wir daraus auch eine Verpflichtung ab.

- Die Eigenproduktionen wiederum erlauben den Studiomitgliedern, ganze Rollen und Partien zu erarbeiten und darzustellen und nicht auf kleine Auftritte in Nebenrollen beschränkt zu bleiben. Nur so kann man die künstlerische gesangs- und darstellungstechnische wie physische und psychische Kondition erwerben, die ein:e Protagonist:in braucht.

- Und die Oper war und ist immer auch eine sehr internationale Angelegenheit: Dem trägt das Linzer Opernstudio durch seine neue Kooperation mit dem Opernstudio in Florenz Rechnung, und davon mögen im gegenseitigen Austausch in Produktionen und Lehrangeboten die Mitglieder beider Institutionen, die turnusmäßig alle zwei Spielzeiten wechseln, künftig profitieren.

- Aber das Opernstudio ist immer auch ein Musiktheaterlabor (man denke an unsere zahlreichen Ur- und Erstaufführungen in der BlackBox): das bedeutet, dass nicht nur die Studiomitglieder im Opernstudio den Beruf Musiktheaterdarsteller:in erfahren und erlernen, sondern die Gattung selbst kann sich ausprobieren an den Rändern des eigenen Repertoires; das gilt für die vorklassische bis frühbarocke Literatur ebenso wie für die unmittelbare Gegenwart. Neue Ästhetik, neue Aufführungspraxis und Dramaturgie kann hier erforscht und am „lebenden Objekt“ probiert und erfahren werden.

Und wie erfolgreich unser Opernstudio arbeitet, kann man nicht zuletzt an den Engagements (ehemaliger) Mitglieder an Theater wie die Volksoper Wien, die Staatstheater Nürnberg, Am Gärtnerplatz München oder die Oper Leipzig und andere ersehen.

Summa summarum ist das Opernstudio also nicht nur eine Ausbildungsstätte eines hochqualifizierten Sänger:innennachwuchses für die Ensembles der Zukunft, sondern gleichzeitig auch ein Brutkasten für die Oper, das Musiktheater der Zukunft – spannend, erfahrungsreich und allemal lohnend für die Mitglieder, die Macher:innen und vor allem sein Publikum.

PDF-Download

Artikelliste dieser Ausgabe