• Die Piraten von Penzance
  • Staatstheater Nürnberg
  • Komische Oper von Arthur Sullivan, Saison 2019/20 (Auszug)
  • S. 15-23

Gilbert & Sullivan

Text: Wiebke Hetmanek

In: Die Piraten von Penzance, Komische Oper von Arthur Sullivan, Saison 2019/20 (Auszug), Staatstheater Nürnberg, S. 15-23 [Programmheft]

Ihre Charaktere können unterschiedlicher nicht sein: Der eine pünktlich, strukturiert, zuweilen despotisch, ganz dem Theater verschrieben; der andere nachlässig, gesellig, mit einer Vorliebe für Glücksspiel und Pferderennen: William Schwenck Gilbert und Arthur Sullivan waren einander in herzlicher Abneigung verbunden, und doch schrieben sie nur gemeinsam ihre größten Erfolge. Dass sie überhaupt zusammengearbeitet haben, ist dem Geschäftssinn eines Dritten zu verdanken, ohne den es die Marke „Gilbert & Sullivan“ nicht gegeben hätte.

Eine englische Operette

Richard D’Oyly Carte war ein umtriebiger Künstleragent, Theatermanager und Geschäftsmann. 1844 geboren, wuchs D‘Oyly Carte in einer musikalischen Familie auf und studierte Violine und Flöte, bevor er sich aufs Management verlegte. Er war Agent ganz unterschiedlicher Künstler – der Sopranistin Adelina Patti, des Komponisten Charles Gounod, des Autoren Oscar Wilde – und versuchte als Theatermanager neue, publikumswirksame Angebote zu entwickeln. Das Musikleben im England des 19. Jahrhunderts war nahezu vollständig geprägt von Komponisten des Festlands. Händel, Haydn und Mendelssohn bestimmten die Programme der Konzertsäle. Auch das Musiktheater importierte, neben wenigen Ausnahmen, das internationale Opernrepertoire; denn es war, vor allem wegen eines fehlenden Copyright-Schutzes, allemal lukrativer, ein schon bewährtes Werk ins Englische zu übersetzen und in den Spielplan aufzunehmen, als das Experiment einer Uraufführung einzugehen.

Richard D’Oyly Carte begeisterte sich für die französische Opéra bouffe von Jacques Offenbach. Als Theaterleiter des Royality Theatre stellte er dem Londoner Publikum u.a. Lecocqs „Giroflé-Giroflá“ sowie einige Offenbach-Einakter vor. Mit großem Erfolg. Doch D’Oyly Carte träumte von einem englischen Gegenstück, einer humorvollen, parodistischen englischen Operette. Als er 1875 Offenbachs „La Périchole“ auf den Spielplan setzte, suchte er ein kurzes Stück, das den Abend auf die vorgeschriebene Länge bringen sollte, und so beauftragte er kurzerhand Gilbert und Sullivan mit dem Einakter „Trial by Jury“.

Sowohl Gilbert als auch Sullivan waren zu diesem Zeitpunkt keine Unbekannten im Londoner Kulturleben. Gilbert hatte sich nach einem Jurastudium und einigen freudlosen Jahren als Anwalt mit dem Schreiben von Theaterkritiken, Komödien unterschiedlichster Ausprägung und Nonsense-Lyrik einen Namen gemacht. Seine wortgewandten Spottverse und Parodien zielten auf alle Gruppen der englischen Gesellschaft – Kirche, Militär, Justiz und Kultur.

Der Komponist Arthur Sullivan hatte sich in den Kopf gesetzt, das englische Musikleben zu reformieren und zu nationalisieren. Er hatte in Leipzig Komposition studiert und dort nicht nur die zeitgenössische Musik kennengelernt, sondern auch das Musikwesen in Deutschland: Die Musikpflege, das Orchesterspiel und die musikalische Bildung des Publikums waren hier sehr viel weiter fortgeschritten als in seiner Heimat. Zurück in England setzte er sich für den Aufbau einer musikalischen Infrastruktur ein, sowohl im Laien- als auch im Profibereich. Als Komponist wollte er selbst an der Bildung eines englischen Repertoires mitwirken, machte sich einen Namen als Komponist von Oratorien und Liedern und plante eine englische Nationaloper. Dass er ausgerechnet mit musikalischen Komödien berühmt geworden ist, kränkte ihn zeitlebens und wurde ihm von vermeintlich seriösen Kreisen sehr übel genommen.

Das Savoy Theater

Der immense Erfolg von „Trial by Jury“ kam für alle Beteiligten unerwartet. Das kleine Stück parodiert scharfzüngig das englische Justizsystem, indem ein Richter paragrafentreu über ein von ihm selbst begangenes Verbrechen richtet. Sullivan steuerte seinerseits parodistische Elemente bei, indem er gnadenlos Händel‘sche Choräle und italienische Opern zitierte. Nun machte D’Oyly Carte Nägel mit Köpfen: Um die Werke des neuen Erfolgsduos exklusiv produzieren zu können, gründete er die Comedy Opera Company und baute ein eigenes Theater, das Savoy Theatre im Londoner West End. Das Theater war bei seiner Eröffnung 1881 einer der modernsten Theaterbauten weltweit. Es war das erste Gebäude, das ausschließlich mit elektrischem Licht erleuchtet wurde. D’Oyly Carte hatte verstärkt auf Sicherheit gesetzt, nur mit feuerfesten Materialien bauen lassen und genügend Fluchtwege eingeplant. Darüber hinaus führte er das Platzkartensystem ein, um das übliche abendliche Gerangel um die besten Plätze zu verhindern; jeder der 1300 Plätze bot einen uneingeschränkten Blick auf die Bühne. Das Personal wies er zu ausgesuchter Höflichkeit an und unterband – notfalls auch juristisch – jede Form von Herrenbesuchen hinter der Bühne. Erstmals waren Damen- und Herrengarderoben der Künstler räumlich getrennt. Auch diese Maßnahmen entsprangen einem geschäftlichen Kalkül des Managers: Nach wie vor galt der Besuch von Unterhaltungstheater, wie es etwa in Music Halls angeboten wurde, als anrüchig. D’Oyly Carte wollte den Ruf des Theaters verbessern und damit auch ein neues, zahlungskräftiges Publikum ansprechen. Gilbert wachte in seiner Funktion als Regisseur ebenfalls über die Moral des Hauses: Die Kostümvorschriften für das Ensemble waren streng und keinesfalls duldete er, dass die Darsteller extemporierten, um irgendwelche spontanen Witze einzubauen. Erotisch aufgeladene Stücke, wie sie Jacques Offenbach geschrieben hatte, waren für Gilbert undenkbar – er schrieb Komödien, bei denen man getrost, wie er es formulierte, seine 12-jährige Tochter mitnehmen konnte. Er war ein Autor des Viktorianischen Zeitalters.

Die Savoy-Opern

Obwohl nur acht der vierzehn gemeinsamen Werke von Gilbert und Sullivan in diesem Theater uraufgeführt wurden, werden sie heute unter dem Begriff Savoy-Operas zusammengefasst. Künstlerisch ließ D’Oyly Carte seinen Autoren jegliche Freiheiten: In der Regel kam das Sujet von Gilbert, und Sullivan vertonte den fertigen Text, wachte über die musikalische Einstudierung und dirigierte die meisten Vorstellungen. Beide kümmerten sich auch um die Besetzung, wobei sie nicht auf große Namen setzten, sondern sich peu à peu ein festes Ensemble aufbauten, das ihren musikalischen und szenischen Ansprüchen genügte – und dem sie im Gegenzug die Rollen auf den Leib schrieben. Gilbert übernahm zudem alle bühnenrelevanten Aufgaben: Ausstattung, Licht und Regie, hielt alles in einem Regiebuch fest und achtete peinlich genau darauf, dass die Qualität einer Inszenierung auch über längere Laufzeiten erhalten blieb.

Die vermeintliche Dominanz Gilberts in dem Autorenteam führte immer wieder zu Streit zwischen den beiden. Sullivan hatte das Gefühl, nur noch der Musiklieferant für Gilberts Texte zu sein. Doch tatsächlich befruchteten sich beide Künstler gegenseitig. Parodie findet sich sowohl auf textlicher als auch auf musikalischer Ebene. Bezüge zu musikalischen Stilen und Gattungen würzen Sullivans Partituren, und seine profunde musikalische Ausbildung spiegelt sich in der Qualität der Musik wider. In ihrer Ernsthaftigkeit setzt sie oft genug einen wichtigen Kontrapunkt zu Gilberts Nonsense-Versen.

Produkt-Piraterie

Das Erfolgsrezept der Marke „Gilbert & Sullivan“ fand viele Nachahmer. Mehr noch, wegen eines mangelnden Copyright-Schutzes verdienten sich skrupellose „Produkt-Piraten“ mit den Werken des Duos eine goldene Nase: Zahlreiche Aufführungen von zweifelhafter Qualität, oftmals in absurden Arrangements und mit Einlagen anderer Komponisten, verbreiteten sich nicht nur in England, sondern auch in den USA. Nachdem es ihrem großen Erfolg „H.M.S. Pinafore“ diesbezüglich besonders schlimm ergangen war, traf D’Oyly Carte Vorkehrungen, um die unkontrollierte Verbreitung der Werke fortan zu verhindern. Ihre nächste Uraufführung, „The Pirates of Penzance“, fand deswegen in England und in den USA statt: Am 30. Dezember 1879 gab es eine halbszenische Uraufführung – unweit von Penzance – in Paignton und einen Tag später die „richtige“ Premiere in New York. Gleich darauf schickten sie drei eigene Compagnien mit ihrem Stück auf Tournee. Das Piratensujet soll auch eine Anspielung auf den rechtswidrigen Umgang mit ihren Werken gewesen sein.

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