• Märchen im Grand-Hotel
  • Staatstheater Nürnberg
  • Operette von Paul Abraham, Saison 2020/21 (Auszug)
  • S. 15-21

Wollen Sie ins Kino gehen?

Text: Wiebke Hetmanek

In: Märchen im Grand-Hotel, Operette von Paul Abraham, Saison 2020/21 (Auszug), Staatstheater Nürnberg, S. 15-21 [Programmheft]

Noch bevor Paul Abraham mit einer seiner Operetten berühmt wurde, war er es schon durch seinen Tonfilmschlager für den Film „Melodie des Herzens“ geworden. Das neue Medium Film war in seinen Anfängen der Operette eng verbunden, und Paul Abraham fühlte sich in beiden Genres zuhause.

Operettenfilm und Filmoperette

Operetten wurden schon zu Beginn der Stummfilmzeit bevorzugt verfilmt, was zunächst rein pragmatische Gründe hatte: Die Geschichten konnten als bekannt vorausgesetzt werden, so dass es den Produzenten möglich war, die Handlungen in großen – materialsparenden – Schritten zu erzählen. Hinzu kam, dass viele Stars der Operettenbühne – etwa Mizzi Günther, Fritzi Massary oder Alexander Girardi – ihre Paraderollen auch in den Stummfilmen übernahmen, womit von vornherein ein großes Fan-Publikum garantiert war.

Der Umgang mit den Operetten im Film war vielfältig. Sie reichte vom Operettenfilm, der nicht viel mehr als das Abfilmen einer Bühnenversion sein konnte, bis zur Filmoperette, bei der man sich zwar der Dramaturgie und der Welt der Operette bediente, aber dafür ein völlig neues Drehbuch und neue Musik schrieb. Dazwischen war alles erlaubt: Um dem neuen Genre gerecht zu werden – oder der Rechtefrage aus dem Weg zu gehen – wurden die Werke hemmungslos bearbeitet: Die „Dollarprinzessin“ wurde zur „Austernprinzessin“, „Die Fledermaus“ zu „Das fidele Gefängnis“ (Regie beide: Ernst Lubitsch), und in Stroheims Verfilmung der „Lustigen Witwe“ erkennt man lediglich das Grundmuster der Lehár’schen Handlung.

Abrahams Debütfilm „Die Melodie des Herzen“ war ursprünglich als Stummfilm geplant, als Filmkomponist war Werner Richard Heymann (u.a. „Die drei von der Tankstelle“) verpflichtet worden. Während der Dreharbeiten nahm die Tonfilmtechnik aber eine so rasante Entwicklung, dass sich der Produzent Erich Pommer kurzerhand entschloss, neben der Stummfilmversion auch Tonfilmvarianten in deutscher, englischer, französischer und ungarischer Sprache zu produzieren. (Synchronisation war noch nicht möglich, was die internationale Verbreitung der Tonfilme anfangs immens erschwerte.) Die Außenaufnahmen waren in Budapest gedreht worden und man beauftragte Paul Abraham mit einem zusätzlichen Song. Paul Abraham war damals Kapellmeister am Budapester Operettentheater und man hoffte, von ihm etwas ungarisches Kolorit zu bekommen. Man bekam den Erfolgsschlager des Films „Bin kein Hauptmann, bin kein großes Tier“, der in der Interpretation von Willy Fritsch europaweit berühmt wurde.

Filmkomponist Abraham

Mit der Durchsetzung des Tonfilms auch in Deutschland wurde der Musikfilm ein beliebtes Genre: „Die drei von der Tankstelle“, „Zwei Herzen im ¾-Takt“ oder „Der Kongress tanzt“ kamen Anfang der 30er Jahre auf die Leinwand und etablierten das überaus erfolgreiche Genre der Tonfilmoperette. Die Berliner Ufa – Universum Film AG – erlebte ihre Blütezeit und war nach Hollywood das zweitgrößte Filmimperium weltweit. Chef war Erich Pommer, der Abraham nach dem Erfolg von „Melodie des Herzens“ gleich ein weiteres Angebot unterbreitete. Doch Abraham schlug es aus, er musste sich um die Uraufführung seiner nächsten Operette kümmern: „Viktoria und ihr Husar“ wurde sein Durchbruch als Operettenkomponist. Er siedelte nach Berlin über, dem Zentrum des Unterhaltungstheaters.

Neben seinen Bühnenerfolgen blieb Abraham aber auch dem Filmgenre treu. Er steuerte die Musik zu zahllosen Tonfilmen bei, u.a. „Die singende Stadt“ mit Jan Kiepura und Brigitte Helm oder „Ein bisschen Liebe für dich“ mit Magda Schneider. Renate Müller wurde mit Abrahams Song „Ich bin ja heut so glücklich“ aus dem Film „Die Privatsekretärin“ bekannt. Der Film wurde binnen kurzem auch in Frankreich, Italien und England produziert. Für „Das Blaue vom Himmel“ schrieb Billy Wilder – damals noch Samuel Wilder – das Drehbuch, und Abraham lieferte die Hits für Martha Eggert und Hermann Thimig etc.pp.

Zu seinen zahlreichen Engagements als Filmmusikkomponist kamen auch die Verfilmungen seiner eigenen Operetten, die er sorgfältig beaufsichtigte und in denen er zuweilen – wie in „Victoria und ihr Husar“ – selbst als Dirigent zu sehen war. Die Filmmusik war für Abraham nicht nur eine zusätzliche Verdienstmöglichkeit, sondern er nahm sie auch als künstlerische Herausforderung an: „Nackt, völlig nackt stellt sich die Musik im Film da“, lässt er in einem Interview der „Lichtbild-Bühne“ (1931) verlauten. „Hier gilt es zu zeigen, was man wirklich kann. Viel macht dabei die Erfahrung. Kleine und doch so wichtige Regeln: bei Tobis klingt die Violin-Mittellage besonders gut, bei Western die hohe Lage. Und vieles andere mehr. Das muss beachtet werden.“ Denn die einzelnen Filmgesellschaften experimentierten mit unterschiedlichen Aufnahmeverfahren.

Hollywood auf der Operettenbühne

Paul Abraham kannte sich also gut mit dem Milieu aus, als er sich an die Vertonung der Lustspieloperette „Märchen im Grand-Hotel“ machte. Die beiden Librettisten Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda hatten das Theaterstück von Alfred Savoir, in dem die Liebe einer Großfürstin zu einem Schweizer Präsidentensohn im Mittelpunkt steht, um die Rahmenhandlung in Hollywood ergänzt. Sie waren nicht die ersten, die den Film in die Operette einbrachten: In Kálmáns „Herzogin von Chicago“ wird das Happy-End ebenfalls von einem Vertreter eines amerikanischen Filmkonzerns eingefordert: „Ganz Hollywood, ganz Amerika wartet darauf!“ Die neuesten Attraktionen dieses fiktiven Fox-Film-Konzerns sind im Übrigen „Filme nach dem Leben“ – Alfred Grünwald war auch hier der Librettist. In der Operette „Clivia“ von Nico Dostal dient ein Filmteam samt Filmstar Clivia als Tarnung für obskure Geschäfte in Südamerika. Zwei Jahre nach „Märchen im Grand-Hotel“ stellte Ralph Benatzky den Filmstar Gloria Mills in den Mittelpunkt seiner Operette „Axel an der Himmelstür“. Gespielt wurde die Diva bei der Uraufführung von Zarah Leander, die damit ihren Durchbruch feierte.

Es kommt nicht von ungefähr, dass die Operetten-Filmproduzenten nicht aus Berlin, sondern aus Hollywood stammen. Zwar war die Ufa äußerst erfolgreich, aber dem finanziellen Potential der kalifornischen Filmstudios hatten die Deutschen kaum etwas entgegenzusetzen. Die Amerikaner hatten das Medium Film von vornherein als einen Industriezweig aufgebaut, bei dem man mit Hilfe einer professionellen Marketingmaschinerie richtig Geld verdienen konnte. Vergebens versuchten die Europäer, mit Einfuhrbeschränkungen der Übermacht aus Hollywood Herr zu werden. Nachdem die Konkurrenten aus Übersee auch noch bei der Entwicklung des Tonfilms die Nase vorn hatten, war der Wettbewerb gelaufen. „Tarzan“ (1932), „Menschen im Hotel“ (1932) oder „King Kong“ (1933), Charlie Chaplin und Walt Disney – die Blockbuster aus Hollywood liefen auch in Deutschland mit großem Erfolg. Viele europäische Filmschaffende waren sowieso schon längst den Angeboten der Hollywood-Studios gefolgt und waren ausgewandert wie Ernst Lubitsch, Fritz Murnau oder Marlene Dietrich. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 tat ein Übriges, die deutsche Filmelite aus Europa zu vertreiben. Rund 2000 Filmschaffende mussten Deutschland verlassen, viele blieben zunächst in Europa, bis sie auch von dort fliehen mussten. Etwa 800 von ihnen landeten in Hollywood, wo allerdings nur die wenigsten ihre Karriere fortsetzen konnten.

Operette im Exil

Der deutschen Operettenbranche erging es bekanntlich nicht anders. Einen Monat nach der erfolgreichen Uraufführung von Abrahams „Ball im Savoy“ führte die Machtergreifung der Nationalsozialisten dazu, dass der Jude Paul Abraham sowie zahlreiche Künstlerinnen und Künstler, die die deutsche Operettenlandschaft geprägt hatten, fliehen mussten. Abraham ging zunächst nach Österreich, seine internationalen Verpflichtungen sowohl im Film- als auch im Operettengeschäft hielten ihn zunächst über Wasser. „Nach meiner Rückkehr aus Paris, wo ich die Synchronisierung meines Films ‚Die Privatsekretärin heiratet‘ leite“, ließ er die Leser des „Neuen Wiener Journals“ im Vorfeld der Uraufführung wissen, „werde ich sofort an den Proben zu ‚Märchen’ teilnehmen und dann die Musik für einen Film ‚Ungarische Hochzeit‘ fertigstellen.“

„Musikalischer Lustspielgroßfilm“ (Der Wiener Tag)

Die Uraufführung seiner neuen Operette „Märchen im Grand-Hotel“ fand am 28. März 1934 am traditionsreichen Theater an der Wien statt. Regie führte Otto Preminger, der später in den USA eine Karriere als Regisseur und Produzent machen sollte (u.a. mit „Carmen Jones“). Die Generalprobe wurde aus marketingtechnischen Gründen zur Benefiz-Veranstaltung erklärt, die Erlöse kamen der Mütterhilfe zugute. Zur Premiere kam die Hautevolee aus Politik und Gesellschaft. „Wollen Sie ins Kino gehen“, fragte „Der Wiener Tag“ nach der Uraufführung, „dann gehen Sie ins Theater an der Wien“. Der beständige Einsatz der Drehbühne ermöglichte einen geradezu filmischen Ablauf der Szenen, die quasi nahtlos aneinandergereiht wurden: „Ein Spiel in vielen, vielen Auf- und Abblendungen.“

Abrahams neueste Operette war ein großer Erfolg, zwei Monate blieb sie auf dem Wiener Spielplan und wurde in den nächsten Jahren mehrfach an anderen Theatern neuinszeniert. Doch dadurch, dass ihr Deutschland als Aufführungsort verwehrt geblieben ist, wurde diese Operette nicht mehr so bekannt wie ihre Vorgänger. Ihre Deutsche Erstaufführung erlebte sie erst 2018 in Mainz.

Die Zukunft lag in Hollywood

Das Leben in Luxushotels war Paul Abraham wohl bekannt. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere logierte er regelmäßig in Grand-Hotels, schließlich boten sie nicht nur eine gehobene Übernachtungsmöglichkeit. Sie waren auch der Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens einer Stadt, wo sich zwischen „Grillroom und Teesalon“ so mancher Roman entspinnt. Im Exil konnte sich Abraham das Leben auf großem Fuß allerdings nicht mehr leisten.

Die Anspielung auf das Exil war bei aller Märchenhaftigkeit der Handlung aus dem Leben gegriffen, einer der vielen Verweise auf die Uraufführungszeit. Und die Dominanz des Kinos, die den Operetten zukünftig ernsthaft Konkurrenz machen sollten, sorgt für die überraschende Wendung am Schluss: Nicht die adlige Operettendiva, die zum Filmstar mutiert, macht sich lächerlich, sondern der Großbürgersohn, der sich – wie es das Libretto vorgibt – zum Operettenprinzen ausstaffieren lässt. Die Zukunft lag in Hollywood.

Ein Märchen bleibt allerdings die Annahme, dass die Frauen dort bald das Sagen haben könnten. Das zeichnete sich auch in den 30er Jahren nicht ab. In „Märchen im Grand-Hotel“ sind es Marylou und Isabella, die den Ton angeben. Die eine, qua Geburt ans Befehlen gewöhnt, emanzipiert sich von antiquierten Erwartungen an ihre Person und lässt sich auf das Abenteuer Film ein. Die andere sagt einer Männer-Domäne den Kampf an und überzeugt durch Qualität. Die Herren dagegen scheinen den Schuss noch nicht gehört zu haben: Prinz Andreas Stephan hechelt jedem Rock hinterher und verliert dabei den Anschluss an die neue Zeit; Albert, der Zimmerkellner – nun, er ist eben hoffnungslos verliebt, und da begeht man manche Torheit, um das Happy End zu erreichen.

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