• Der Liebestrank
  • Staatstheater Nürnberg
  • Oper von Gaetano Donizetti, Saison 2021/22 (Auszug)
  • S. 23-27

Ein genialer Lückenbüßer

Text: Wiebke Hetmanek

In: Der Liebestrank, Oper von Gaetano Donizetti, Saison 2021/22 (Auszug), Staatstheater Nürnberg, S. 23-27 [Programmheft]

Gaetano Donizetti gilt mit Vincenzo Bellini als wichtigster Vertreter der romantischen Oper in Italien, Bindeglied zwischen den Schnurren eines Gioacchino Rossini und den musikdramatischen Werken Giuseppe Verdis. Dabei sind es weniger die Einzelwerke, die ihn in eine solche Schlüsselposition rücken, als vielmehr die Gesamtheit seines Schaffens. Gaetano Donizetti hat im Laufe seines gut zwanzigjährigen Berufslebens etwa 70 Opern geschrieben. Wenige davon werden heute noch gespielt, nur eine Handvoll hat Eingang ins ständige Opernrepertoire gefunden. Sie sind die Spitze eines grundsoliden, handwerklich fundierten und den Zeitgeschmack sowie den lokalen Gegebenheiten angepassten Œuvres, das Donizetti nicht nur als schier unerschöpflichen Quell von melodiösen Einfällen ausweist, sondern auch als pragmatischen Theatermusiker.

Eilauftrag aus Mailand

Nur in dem Wissen, dass er sich auf all diese Fähigkeiten verlassen konnte, wird Donizetti den Eilauftrag von Alessandro Lanari für eine neue Oper angenommen haben. Dem Impresario des Mailänder Teatro della Canobbiana war kurzfristig ein Stück ausgefallen, und er benötigte schnellstmöglich einen Lückenbüßer: Von einer Entstehungszeit zwischen zwei und vier Wochen ist in Bezug auf den „Liebestrank“ die Rede, das ist, selbst wenn man die damaligen Produktionsbedingungen in der Oper berücksichtigt, rasant.

Glücklicherweise stand ihm mit Felice Romani einer der versiertesten Librettisten zur Seite. Für Donizettis dringlichen Auftrag griff Romani auf ein schon bestehendes Libretto von Eugène Scribe zurück, welches knapp ein Jahr zuvor mit der Musik von Daniel-François-Esprit Auber in Paris uraufgeführt worden war. Das Urheberrecht war in der Theaterwelt zu dieser Zeit noch kein Thema, im Übrigen hatte Scribe seinerseits auf ein italienisches Stück, „Il Filtro“ von Silvio Malaparte, zurückgegriffen, das 1830 von Stendhal ins Französische übersetzt und in der „Revue de Paris“ abgedruckt worden war.

Der Liebestrank

„Le Philtre“ heißt auch die Oper von Auber, der Titel verweist in der französischen Vorlage also ebenfalls auf das entscheidende Requisit der Handlung, den Liebestrank, genauer: den Liebestrank von Tristan und Isolde, von dem gleich zu Beginn der Oper berichtet wird. Schon lange bevor Richard Wagner mit seinem Musikdrama „Tristan und Isolde“ die bekannteste Vertonung des Stoffes auf die Bühne gebracht hatte, war die Geschichte in ganz Europa äußerst populär. Ihren Ursprung hat sie in dem vermutlich in altfranzösisch verfassten „Ur-Tristan“, der in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden ist. Hier sind die wesentlichen Elemente der Geschichte bereits vorhanden: Die schicksalhafte Liebe, die Tristan seine Vasallentreue und Isolde ihre Ehe vergessen lässt, sowie der magische Trank, der beider Vergehen gleichzeitig entschuldigt. Zahlreiche Versionen des Stoffes wurden seitdem geschrieben. Im Zeitalter der Romantik, in dem die Idee der absoluten, unbedingten Liebe gefeiert wurde, erlebte der Stoff eine regelrechte Renaissance, die 1865 in Wagners Musikdrama ihren Höhepunkt fand.

Doch davon wusste Eugène Scribe noch nichts. Allerdings konnte er wegen der Popularität des Stoffes die Geschichte als bekannt voraussetzen. So wird den Zeitgenossen aufgefallen sein, dass sein Text eine interessante Variante für die Wirkung des Trankes bereithält: ein Elixier, das nicht – wie ursprünglich – bei demjenigen, der es trinkt, die Liebe für einen anderen erweckt, sondern ihn selbst so liebenswert macht, dass das Objekt seiner Begierde ihm nicht mehr widerstehen kann.

„Mut, marschieren Sie los!“

Etwa zehn Monate nach der Uraufführung von „Le Philtre“ ließ Donizetti Felice Romani zu sich rufen: „Ich habe mich verpflichtet, einen Text in vierzehn Tagen zu komponieren“, soll er ihm gesagt haben „Ich gebe Ihnen eine Woche, ihn für mich vorzubereiten.“ Einer anderen Quelle zufolge soll er fortgefahren sein: „Es ist ein gutes Vorzeichen, mein Freund, dass wir eine deutsche Primadonna, einen stotternden Tenor, einen Buffo mit Ziegenstimme und einen französischen Bass, der nichts taugt, haben – wir müssen sie trotzdem respektieren. Lieber Romani, Mut, marschieren Sie los!“

In der Kürze der Zeit blieb Felice Romani gar nichts anderes übrig, als auf ein bestehendes Libretto zurückzugreifen. Er hat etwa 90 Prozent des französischen Textbuches lediglich ins Italienische übersetzt: Der Aufbau der Akte, die einzelnen Szenen und Situationen stimmen nahezu überein, nur die Figur der Gianetta hat er erheblich reduziert. Seinen Sprachwitz setzte Romani schon bei der Namensfindung der Hauptpersonen ein: Nemorino ist etwa mit „der kleine Niemand“ zu übersetzen, der Name Adina leitet sich vom italienischen „adorare“ = „anbeten“ ab, Dulcamara ist ein Oxymoron aus dolce (süß) und amaro (bitter), während Belcore lediglich die italienische Fassung des „Jolicœur“ von Scribe ist.

Komische Oper mit romantischem Kern

Die restlichen zehn Prozent Eigenanteil nutzten Romani und Donizetti, um den Schwerpunkt der Handlung unmerklich zu verschieben und den Focus weg von der Typenkomödie hin auf das Liebespaar zu richten. Nicht nur, dass Romani die Figur des Nemorino „entgagt“, auf Drängen von Donizetti hat er ihm auch eine zusätzliche Arie im 2. Akt geschrieben, die ihn von der Festlegung auf den lächerlichen Bauerntölpel befreit und ihn zum empfindsam Liebenden macht: „Una furtiva lagrima“ wurde die populärste Nummer der Oper, eine der bekanntesten Arien Donizettis überhaupt.

Nemorinos Liebe zu Adina ist das treibende Moment der Handlung, Adinas Entwicklung von der Unnahbaren zur unverfälscht Liebenden bringt die entscheidende Wende. Die Liebes- und Leidensgeschichte des Paares ist der romantische Kern der Oper, der frei von Ironie und Parodie gehalten wird. Daneben und im verstärkenden Kontrast dazu stehen die beiden komischen Figuren, die dem Arsenal der Commedia dell’arte entsprungen sind: der großsprecherische Sergeant Belcore und der Scharlatan Dulcamara. Beide werden schematisch charakterisiert und stehen für die Komik der Oper ein – auch musikalisch. Das Nebeneinander von Buffa und Seria, von komischen und gefühlvollen Szenen macht den Charme des „Liebestranks“ aus und sorgt für eine immense Vielfalt auch in der Komposition, die dem Libretto folgend permanent ihren Tonfall wechselt. Kraft seiner Musik vermag Donizetti den permanenten Wechsel der Atmosphäre zu einem homogenen Ganzen zusammenzufassen. „Der Liebestrank“ wurde termingerecht fertig und am 12. Mai 1832 in Mailand uraufgeführt. Die Premiere war einer der größten Erfolge Donizettis, seine Oper wurde in Mailand über 30 Mal en suite gespielt und verbreitete sich schnell in ganz Italien, Europa und darüber hinaus.

Nürnberger Fassung

Für die Nürnberger Fassung des „L’elisir d‘amore“ hat Regisseurin Ilaria Lanzino einige Eingriffe in die Partitur vorgenommen, die v.a. die Reihenfolge der musikalischen Nummern im ersten Akt betreffen. Anfangs wird die klassische Geschichte des „Liebestranks“ im Schnelldurchlauf bis zur Hochzeit – Finale II – von Adina und Nemorino erzählt. Durch das Auftauchen von Dulcamara 2.0 wird diese jedoch jäh unterbrochen. In seiner Auftrittsarie verkauft der neue Dulcamara einen modernen Liebestrank – und die Geschichte beginnt abermals.

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