• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Januar / Februar 2023
  • S. 20-21

Verliebt, verheiratet, verraten

Text: Mareike Wink

In: Magazin, Januar / Februar 2023, Oper Frankfurt, S. 20-21 [Publikumszeitschrift]

Im »zweiten Kreis der Hölle« findet Dante Alighieri seine Zeitgenossin Francesca da Rimini in inniger Umarmung mit ihrem Geliebten Paolo. So schildert es der italienische Dichterfürst in seiner Göttlichen Komödie.

Die Adlige aus Ravenna, eine geborene da Polenta, sollte aus politischen Gründen mit Giovanni (Gianciotto) Malatesta, dem Sohn des Herrschers über Rimini, verheiratet werden. Weil Gianciotto »missgebildeter Gestalt« war, schickte man dessen Bruder Paolo – genannt »il bello« – als zukünftigen Ehemann zur Brautwerbung nach Ravenna. Francesca entdeckte den Betrug erst nach ihrer Hochzeit. Ihr rechtmäßiger Ehemann ertappte sie schließlich in flagranti mit seinem Bruder und bestrafte die Liebenden mit dem Tod.

Wie viel von diesem biografischen Bild, das sich hauptsächlich aus Giovanni Boccaccios Kommentar zu Dantes Göttlicher Komödie ergibt, Historie und wie viel Legende ist, lässt sich heute nicht mehr mit Gewissheit sagen. Die Beweislage für die Existenz der historischen Person Francesca da Rimini ist überaus dürftig: Nur in einem einzigen Dokument, dem 1311 verfassten Testament ihres Schwiegervaters, wird sie erwähnt – mit ihrem Taufnamen, der Nennung ihrer Mitgift und ihrer Tochter Concordia. Hätte Dante Francesca nicht in seiner Göttlichen Komödie verewigt, wüssten wir heute vermutlich nicht einmal, dass es sie gegeben hat – wenn es sie gegeben hat.

Dichterfürst (wieder)entdeckt

Und dabei war Dante selbst für ein paar Jahrhunderte von der kulturellen Bildfläche verschwunden. Den Höhepunkt seiner Missachtung erfuhr er im 17. Jahrhundert. Der Philosoph Giambattista Vico war es, der den florentinischen Poeten wiederentdeckte und ihn als »Homer des Mittelalters« zu rehabilitieren begann, bis mit der Romantik eine regelrechte Dante-Renaissance einsetzte. Dramatische Stoffe, Konflikte zwischen Realität und Ideal, Heldengeschichten – das war es, was die Künstler ansprach. So nimmt es nicht Wunder, dass sich die Bearbeitungen von Motiven Homers, Dantes und Shakespeares in sämtlichen Kunstgattungen zunehmend häuften; darunter auch die tragische Liebesgeschichte der Francesca da Rimini.

Zu den namhaften Opernkomponist*innen, die sich mit ihr auseinandersetzten, zählen neben Saverio Mercadante (1831): Ambroise Thomas (1882), Sergei W. Rachmaninow (1906), Riccardo Zandonai (1914) und Lucia Ronchetti (Inferno, Uraufführung 2021 an der Oper Frankfurt). Aufmerksam geworden war die Musiktheaterwelt durch das ursprünglich für Giacomo Meyerbeer verfasste Libretto Felice Romanis, welches bis 1857 mindestens zwölfmal vertont wurde – auch von Saverio Mercadante. Romani übergeht in seinem Textbuch die Vorgeschichte des Heiratsbetrugs und fokussiert sich in der zweiaktigen Handlung auf Rimini als Spielort.

Uraufführung nach 185 Jahren

Mercadantes musikalische Lesart des Stoffes erlebte ein ganz ähnliches Schicksal wie der Francesca-»Schöpfer« Dante: Fast zwei Jahrhunderte lang war es still um sie. 185 Jahre mussten vergehen, bis das Werk das Licht der Opernwelt erblickte. Diverse Sängerrivalitäten und andere unglückliche Umstände hatten erst in Madrid, wo Mercadante phasenweise tätig war und wo seine Oper entstand, sowie etwas später an der Mailänder Scala eine Uraufführung zu Lebzeiten des Komponisten verhindert. Erst 2016 kam Francesca da Rimini beim Festival della Valle d’Itria im apulischen Martina Franca zur Uraufführung.

Wie seine 58 Opern hat Mercadante selbst mit dem Vergessenwerden zu kämpfen. Und das, obwohl der Komponist ab den späten 1830er Jahren mit seinem »canto drammatico«, welcher die Gesangsvirtuosität in einen dramatischen Gesamtbogen einfügt, eine Reform der italienischen Oper nach Rossini angestoßen hatte.

Seine Francesca da Rimini lässt sich zwischen der italienischen Belcanto-Oper à la Rossini, Donizetti oder Bellini und dem Melodramma Verdis einordnen. In der fantasievoll und opulent instrumentierten, überaus leidenschaftlichen Partitur fokussiert Mercadante die drei Hauptfiguren Francesca, Paolo (eine Hosenrolle) und Lanciotto deutlich und verbindet das Duett als essenzielles Gestaltungsmerkmal mit regelmäßigen Rahmungen durch einen Chor. Anspruchsvoll sind die Arien, die sowohl Verdis »tinta« vorausahnen lassen als auch an Bellinis gerühmte »melodie lunghe lunghe lunghe« erinnern, dramatisch und emotional ist der Höhepunkt des Werkes: die gemeinsame Lektüre von Francesca und Paolo, die sie alle Zwänge und Gebote vergessen lässt.

Es wird Zeit, die Oper mit dieser Produktion nach ihrer Premiere bei den Tiroler Festspielen in Erl auch in Frankfurt dem Inferno des Vergessens zu entreißen und sich auf die Spur einer sagenumwobenen Frauenfigur zu begeben.
 



FRANCESCA DA RIMINI
Saverio Mercadante (1795–1870)

Dramma per musica in zwei Akten / Text von Felice Romani / Uraufführung 2016, Palazzo Ducale, Martina Franca / In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG Sonntag, 26. Februar
VORSTELLUNGEN 5., 11., 15., 18., 25. März / 2., 8. April

MUSIKALISCHE LEITUNG Ramón Tebar INSZENIERUNG Hans Walter Richter BÜHNENBILD Johannes Leiacker KOSTÜME Raphaela Rose LICHT Jan Hartmann CHOR Tilman Michael DRAMATURGIE Mareike Wink

FRANCESCA Jessica Pratt / Anna Nekhames (2., 8. Apr) PAOLO Kelsey Lauritano LANCIOTTO Theo Lebow GUIDO Erik van Heyningen ISAURA Karolina Bengtsson° GUELFO Brian Michael Moore
 



[Inhaltsangabe, S. 19]

Um das dynastische Bündnis zwischen den Herrscherfamilien von Rimini und Ravenna zu besiegeln, waren Francesca da Polenta und Lanciotto Malatesta verheiratet worden. Doch Francesca hegt Gefühle für den Bruder ihres Mannes, Paolo, der diese auch erwidert.

Lanciotto kehrt als Sieger aus dem gerade beendeten Krieg zurück. Er spürt, dass Francesca unglücklich ist, und wird misstrauisch. Als sich Francesca und Paolo, der ebenfalls nach Rimini zurückgekehrt ist, über der Lektüre der Legende von Lancelot und Guinevere näherkommen, werden sie von Lanciotto entdeckt. Er schwört, den Treuebruch zu rächen.

Lanciotto setzt Francesca und Paolo fest und will sie mit dem Tod durch eine Waffe oder durch Gift bestrafen, was Francescas Vater Guido gerade noch verhindern kann.

Daraufhin zieht sich Francesca in ein Kloster zurück. Für ein letztes Lebewohl trifft sie sich heimlich mit Paolo: Er versucht, sie davon zu überzeugen, mit ihm zu gehen. Andernfalls will er sich das Leben nehmen. Wieder entdeckt Lanciotto die beiden und richtet seine Waffe gegen Paolo. Jetzt realisiert sich, was Lanciotto in seiner Wut so erbarmungslos verfolgt hatte ... Guido findet nur noch die leblosen Körper von Francesca und Paolo vor.