Die wunderbare Welt der Phantasie
Violinistin, Pianistin, Komponistin
Text: Stephan Burianek
In: Orpheus, Sep/Okt 2017 (Auszug), MuP Verlag, S. 12-16 [Magazin]
Alma Deutschers neues Werk erklingt erstmals im Keller des Wiener Konzerthauses. In einem kleinen Probesaal sitzt die junge Komponistin in einem sommerlichen Blümchenkleid vor einem Klavier und lauscht während der ersten Minuten vor ihrem Einsatz mit zunehmender Zufriedenheit dem Wiener Kammerorchester. Eben hat die erste Probe für ihr Klavierkonzert begonnen, mit dem zwei Tage später der Carinthische Sommer in Villach eröffnet werden wird. Meisterhaft, breit orchestriert und im Kopfsatz zuweilen bombastisch entfaltet es ein romantisches Klangideal, das in den Ohren von Modernisten aus der Zeit gefallen klingen muss. Letzteres ist der Komponistin egal – in einer Videobotschaft anlässlich einer Kärntner Pressekonferenz hatte sie wissen lassen, keine »hässliche« Musik, wie sie ihrer Meinung nach im zeitgenössischen Musikschaffen vorherrsche, schreiben zu wollen. Wie auch immer man dazu stehen mag: Mit ihren Kompositionen trifft sie den Geschmack eines breiten Publikums, das das neue, kurzweilige Opus zwei Tage später in Villach frenetisch feiern wird. Tatsächlich sind Alma Deutschers Werke von einer hohen tonsetzerischen Qualität. Viel spricht dafür, dass ihre Werke später auch dann ein zahlendes Publikum erreichen werden, wenn das Wunderkind nicht mehr höchstpersönlich als Solistin in Erscheinung treten sollte.
In der Probe sitzt auch Alma Deutschers Familie: Mutter Janie Steen hört mit geschlossenen Augen zu, Vater Guy Deutscher verfolgt die Probe nicht minder konzentriert mit der Partitur auf seinem Schoß und einem rotfarbigen Stift in der Hand, mit dem er kleine, vom Orchester vorgeschlagene und von Alma autorisierte Verbesserungen niederschreibt. Und dann sitzt da auch noch Helen, Alma Deutschers kleine Schwester, mit einem Tablet in der Hand. Womöglich liest sie darauf die Noten mit, immerhin ist der jüngste Spross der Familie ebenso musikbegeistert wie Alma.
»Nicht schlecht für das erste Mal, oder?«, fragt Joji Hattori, der ständige Gastdirigent des Orchesters, nach dem pompösen Finale des ersten Satzes. »Nein, das war wunderbar!«, kontert Deutscher mit einer Begeisterung, die dem Orchester ein kollektives Schmunzeln entlockt.
In der kurzen Proben-Mittagspause macht sich die Familie auf Nahrungssuche. Es muss schnell gehen, und die Mädels wollen Pommes. Was für ein Glück, dass sich eine McDonalds-Filiale ums Eck des Konzerthauses befindet, das muss auch Papa Guy einsehen. Alma nimmt den ORPHEUS-Autor, der die Familie begleiten darf, zunächst kaum wahr. Wie es Kinder eben tun, hüpft sie stattdessen über den Gehsteig und ist, ganz Wunderkind, in sich und ihrer Musik versunken, wovon Lippenbewegungen und manch gehauchte Melodie ein eindeutiges Zeugnis ablegen. Sie hätte jetzt vermutlich gerne ihre magische Springschnur bei sich, mit der ihr, wie sie in mehreren Interviews erzählt hat, besonders viele Melodien einfallen. Im Fastfood-Restaurant ist sie dann hellwach. Konzentriert und wohlerzogen-höflich folgt sie den Fragen des Journalisten. Trotzdem scheinen seine gelegentlichen Gedankenpausen eine unmittelbare Unruhe bei der Komponistin auszulösen. Unumwunden gibt sie zu, dass sie zwar grundsätzlich kein Problem mit Presseterminen hat, ihre Zeit aber doch lieber ihrem künstlerischen Schaffensdrang widmet. Als wolle sie die vermeintlich verlorene Zeit wiedergewinnen, antwortet sie in hoher Geschwindigkeit, es sprudelt nur so aus ihr heraus. Für die Wiener Staatsoper arbeitet Deutscher gerade an einer einstündigen Kinderversion ihrer »Cinderella«- Oper, die zunächst in einer Kammerfassung in Israel und vor einem halben Jahr breit orchestriert und abendfüllend in Wien uraufgeführt wurde (ORPHEUS 2/2017).
Geht ihr diese Arbeit leicht von der Hand oder fällt es ihr schwer, die eigene Musik zu beschneiden? – »Das war zunächst wirklich ein Problem für mich, und ich dachte schon, ich muss die Aufgabe wieder zurücklegen. Dann aber kamen die Dramaturgen der Staatsoper mit einer Idee, wie man die Handlung eindampfen und umstellen könnte, ohne dass dadurch Wichtiges verloren geht. Das hat sehr geholfen.« Ob sie beim Komponieren mit einer Software arbeitet, die ihr die Noten vorspielen, so wie das viele andere Tonsetzer machen? - »Nein, das brauche ich nicht, das höre ich alles in meinem Kopf.«
Die frappante Reife in Alma Deutschers Antworten lässt keinen Zweifel daran, dass die Zwölfjährige das künstlerische Zepter fest in der Hand hält. Sie weiß, was sie will, und sie hat das Glück, dass ihr Wille von den Eltern gefördert wird. Nicht forciert, wohlgemerkt, sondern einfach gefördert. Guy Deutscher, der besonnene, freundliche und beileibe nicht mediengeile Vater, ist ein anerkannter Linguist und Almas nicht minder sympathische Mutter unterrichtete früher Englische Literatur. Beide haben ihre erfolgreiche Karriere auf Eis gelegt, das war ab einem gewissen Zeitpunkt unumgänglich. Daheim in England soll sich Alma bereits im Alter von zwei Jahren das Klavierspielen selbst beigebracht und zunächst bekannte Kindermelodien, dann eigene Melodien geklimpert haben. Mit drei griff sie zur Violine, dann wurden führende Künstler auf das Wunderkind aufmerksam. Sir Simon Rattle zählt heute ebenso zu ihren Förderern wie Zubin Mehta und die einstigen Wunderkinder Daniel Barenboim und Anne-Sophie Mutter. Stephen Fry war der Erste, der Alma einen Mozart unserer heutigen Zeit nannte. Da zählte sie gerade einmal sieben Lenze. Den Vergleich mit ihrem Lieblingskomponisten scheut Deutscher freilich bis heute, und schon gar nicht möchte sie als »kleines Fräulein Mozart« bezeichnet werden, wie das manche Pressevertreter schon getan haben. Erstens sei sie nicht klein, kontert sie, außerdem heiße sie Alma.
In die Schule geht Alma Deutscher nicht, sie wird zuhause unterrichtet. Laut ihren Eltern war dies keine ideologische Entscheidung, sondern sie hatte schlichtweg mit der Tatsache zu tun, dass Alma von ihrem Schulorientierungstag, auf den sie sich schon lange gefreut hatte, frustriert heimgekommen war. Es ging ihr dort alles zu langsam, ihr war langweilig. »Dort lerne ich nichts«, soll sie gesagt haben.
Man kann sich gut vorstellen, dass ein derart talentiertes Kind selbst bedachtsame und hochgebildete Eltern gelegentlich überfordert. Ob die Eltern manchmal auf die Bremse steigen müssen, wollen wir von Guy Deutscher wissen, der während unseres Gesprächs mit Alma bislang wortlos neben seiner Tochter gesessen ist und eher angewidert auf die vor ihm liegenden McNuggets geblickt hat. »Ja, schon, wobei wir auch in dieser Sache stets dazulernen. Im Nachhinein betrachtet hätten wir vielleicht auch bei dem Kärntner Auftragswerk die Luft rausnehmen sollen. Das Festival hatte uns angeboten, auf das Klavierkonzert zu verzichten und nur Almas Violinkonzert zu spielen, sollte ihr das alles zu viel werden. Aber das wollte Alma nicht.« Alma nickt. Es sei letztlich wirklich sehr stressig gewesen, zumal sie nach der Komposition ihre Werke auf der Geige und dem Klavier noch hatte einstudieren müssen und ihre Finger während des Kompositionsprozesses »eingerostet« waren. Auf den nach der Uraufführung geplanten Familienurlaub in Salzburg freue sie sich daher schon ganz besonders.
Immer wieder gibt es in Deutschers Kompositionen Passagen, die man bereits zu kennen glaubt. In »Cinderella« vermeinte der ORPHEUS-Kritiker beispielsweise ein Motiv aus Mozarts »Kleiner Nachtmusik« herauszuhören. Alma, die im Zuge der Komposition ihrer deutschsprachigen Oper Deutsch gelernt hatte, überraschte das zu lesen. Es sei überdies nicht ganz richtig, stellte ihr Vater später in einer E-Mail und beigefügtem Partiturauszug klar, wenngleich eine Ähnlichkeit zugegebenermaßen nicht von der Hand zu weisen sei. Auch Joji Hattori, der Dirigent des Wiener Kammerorchesters, erkennt in Alma Deutschers neuem, romantisch geprägten Klavierkonzert eine Parallele, in diesem Fall zur Filmmusik von »Vom Winde verweht«, die Alma Deutscher beim Komponieren aber gar nicht kannte.
»Ich musste schon mehrmals eine von mir komponierte Melodie verwerfen, weil sich herausstellte, dass wieder irgendein langweiliger aber superbekannter Komponist sie mir schon vor vielen Jahren gestohlen hat.« Beim Wort »langweilig« rollt sie ironisch die Augen, bei »superbekannt« deutet sie mit ihren Fingern Anführungsstriche an, und bei »gestohlen« grinst sie. Die Dame hat Humor. Manchmal aber übernimmt sie ganz bewusst ein bereits existierendes Motiv, etwa in ihrem Violinkonzert, in dem sie eine Hommage an Tschaikowski eingebaut hat. Das Violinkonzert schrieb sie mit neun Jahren. Heute klingt es ein wenig anders. »Mir haben manche Stellen nicht mehr gefallen, also habe ich sie umgeschrieben.«
In der McDonalds-Filiale drängt die Zeit, bald geht die Probe weiter. Plant sie schon die nächste Oper? »Ich arbeite gerade an einem Roman«, überrascht Alma, »über eine Figur namens Malvina. Mein Wunsch ist, dass er dann verfilmt wird und ich die Filmmusik dazu komponieren kann.« Aber dafür ist es jetzt noch zu früh. »Außerdem möchte ich als nächstes ein Musical schreiben. Ich habe so viele Melodien im Kopf, die sich dafür eignen würden.« Die Welt wird von Alma Deutscher noch einiges zu hören bekommen, so viel scheint sicher.