• Orpheus
  • MuP Verlag
  • 02/2018, März / April (Auszug)
  • S. 18-26

Alles unter einem Dach

Monaco: Die Fläche des monegassischen Fürstentums mag winzig sein, sein Kulturangebot ist es nicht

Text: Stephan Burianek

In: Orpheus, 02/2018, März / April (Auszug), MuP Verlag, S. 18-26 [Magazin]

Herold? Wer war Herold? Ein fürstlicher Bote kann nicht gemeint sein, denn im Salle Garnier, dem prächtigen Zuschauerraum der Opéra de Monte-Carlo, steht dieser Name prominent neben Mozart und Verdi. Sogleich hilft Wikipedia weiter: Ferdinand Hérold (1791-1833) war ein französischer Komponist und schrieb 23 Opern, man lernt nie aus. Ob er ein Naheverhältnis zu Monaco hatte, das verrät die Online-Enzyklopädie zwar nicht, aber als das Haus erbaut wurde, muss Hérold als eine besondere Größe gegolten haben. Das war 1878. Im April des besagten Jahres wurde dem Architekten Charles Garnier, der seit dem gewonnenen Wettbewerb um die Errichtung der Pariser Oper in aller Munde war, der Auftrag für einen Konzertsaal erteilt. Keine neun Monate später war der prunkvolle Bau fertig, und noch heute weisen die Monegassen stolz darauf hin, dass die Pariser für ihre Oper mehr als 14 Jahre benötigt hätten. Dieser Vergleich hinkt freilich, denn in Monaco handelt es sich lediglich um einen Zubau – den Eingang (ohne Feststiege) und das Pausenfoyer teilt sich die Oper nach wie vor mit dem Kasino. Das soll die Bedeutung des Salle Garnier nicht schmälern, denn dessen Vielzahl an allegorischen Figuren, seine ornamentale Üppigkeit und der Goldeinsatz sind kaum zu überbieten. Anstatt eines Deckengemäldes gibt es gleich vier, die dem Gesang, der Musik, dem Tanz und dem Drama gewidmet sind. Dieser Saal ist einfach herrlich!

Ironischerweise verdanken wir das Kasino und das Opernhaus einem Unglück, zumindest aus monegassischer Sicht: Fürst Honoré V. hatte trotz schlechter Ernteerträge die Steuern für die Bauern nicht reduzieren wollen, und dann dachte sein Nachfolger Florestan I. sogar noch laut über eine Steuererhöhung nach. Die widerspenstigen Städte Roquebrune und Menton nutzten im Revolutionsjahr 1848 die Gunst der Stunde und sagten sich mithilfe des Königreichs Sardinien-Piemont vom Fürstentum los (und wurden 1860 letztlich dem Königreich Frankreich einverleibt). Damals schrumpfte Monaco von 25 auf nur 1,6 Quadratkilometer – die Landwirtschaft war verloren und das Fürstentum dadurch praktisch nicht überlebensfähig. Aber die Not macht bekanntlich erfinderisch, und letztlich hatte man eine rettende Idee: Als exklusives Freizeitresort sollte Monaco dem Adel künftig das Geld abknöpfen und im Gegenzug Sport, Wellness, Spiel und Spaß unter einem Dach oder in unmittelbarer Nähe bieten.

Nach ersten, holprigen Versuchen war der richtige Mann gefunden: Francois Blanc hatte bereits in Bad Homburg ein erfolgreiches Händchen für Spielbanken bewiesen, nun durfte er seine Ideen auf einem blanken Felsenhügel mit Meerblick realisieren, der zu Ehren des mittlerweile regierenden Fürsten Charles III. in Monte-Carlo umbenannt wurde. Wer heute, ob mit dem Glück spielend oder nicht, durch die prächtigen Räume des Kasinos promeniert, der findet Blancs einstige Neuerungen teilweise immer noch präsent: Eine zweite Null auf den Roulette-Rädern soll den Spielern das Gefühl einer erhöhten Gewinnchance geben, und in den historischen Räumen hängen außerdem Uhren – auch das war damals unüblich, denn üblicherweise nutzt es den Spielbanken, wenn ihre Kunden die Zeit vergessen. Und dann sind da noch zahlreiche frivole Darstellungen des Weiblichen, die den Räumlichkeiten einen erotisierenden Touch geben. Aber nicht nur auf Männer hatte das Glücksspiel einen gewissen Reiz, Blanc öffnete das Kasino auch für die weiblichen Liebschaften der Herrschaften. Spätestens mit der Ankunft der Eisenbahn im Jahr 1868 wurden alle Erwartungen übertroffen, das Kasino musste mehrfach erweitert werden.

Diese Kunst Monacos, sich selbst immer wieder neu zu erfinden, ist im Fürstentum bis heute allgegenwärtig und aufgrund der ständigen Platznot mit einem hohen Maß an Pragmatik verbunden: Es gibt keinen Denkmalschutz, immer wieder fallen historische Bauten der Abrissbirne zum Opfer, um höheren und effizienteren Gebäuden zu weichen. Erst kürzlich musste das letzte Art déco-Gebäude des Fürstentums, das Sporting d‘Hiver am Place du Casino, einem neuen Projekt weichen, und wer auf dem Altstadtfelsen von der Aussichtsplattform neben dem Fürstenpalast auf die Hochhäuser blickt, die sich auf einem amphitheaterförmigen Berghang zum Yachthafen hin aneinander kuscheln, der ahnt vielleicht, wie viele Perlen hier bereits verloren gegangen sein müssen. Mitunter baut man alte Häuser einfach an derselben Stelle modernisiert neu auf, wie das vor mehr als zehn Jahren beim Hôtel Métropole der Fall war, oder kürzlich beim nicht weniger legendären Hôtel de Paris, dessen ikonisches Halbrund ebenfalls gänzlich neu errichtet wurde, um größere Gästezimmer zu schaffen.

Unabhängig davon ist der Stadtstaat ein kleines Paradies. Seine Fassaden sehen aus, als ob sie gestern erst fertiggestellt worden wären, außerdem ist Monaco extrem sicher. Wir haben das Experiment nicht unternommen, aber es wäre denkbar, seine Geldbörse auf der Straße liegen zu lassen und sie eine Stunde später an derselben Stelle unversehrt wiederzufinden (wenn sie nicht zur Polizei getragen wurde oder man vom Finder bereits einen Anruf erhalten hat). Natürlich gibt es noch andere Gründe dafür, dass in Monaco gerne mehr Menschen leben würden als Platz vorhanden ist: Die boomende Wirtschaft bietet ausreichend Arbeitsplätze, und außer den in Monaco ansässigen Franzosen zahlen die insgesamt 37.500 Einwohner, darunter nur 9.160 Monegassen, keine Einkommensteuer.

Was in Monaco überall auffällt, ist die entspannte Freundlichkeit. Sorgen haben andere. Monegassische Staatsbürger geben maximal 20 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus, und ist sie teurer, dann kommt der Staat für die Differenz auf. Aber auch soziale Wohngesetze benötigen Platz. Wie beispielsweise in Hongkong wird auch in Monaco dem Meer durch Aufschüttungen immer wieder mühsam Land abgerungen. Die Staatsfläche hat sich in den letzten hundert Jahren dadurch immerhin auf 2,2 Quadratkilometer vergrößert, was ungefähr der Fläche des New Yorker Central Parks entspricht, wenn man die monegassischen Landschrägen einrechnet.

Das öffentliche Angebot auf dieser winzigen Fläche ist ziemlich unglaublich: Es gibt einen Zoo, einen botanischen Garten mit einer Tropfsteinhöhle, ein Fußballstadion, mehrere Theater und zahlreiche Museen, darunter zwei Kunstgalerien. Ach ja, und einen Zirkus für das bedeutendste Zirkusfestival der Welt, weil Prinzessin Stéphanie eine Freundin der Manege ist. Und vor allem: Man leistet sich ein hervorragendes Orchester, das neben eigenen Konzerten im Auditorium Rainier III. oder im Grimaldi Forum auch der Oper und der nicht minder erstklassigen Ballettkompanie zur Verfügung steht.

Womit wir wieder beim Salle Garnier wären. Mit anderen historischen Bauten mag man schändlich umgegangen sein, dieser wurde indes quasi zum Heiligtum erklärt, als der Fürst vor mehr als zehn Jahren dessen originalgetreue Renovierung anordnete. Oder zumindest die fast originalgetreue, denn der ursprüngliche Saal wurde, sehr zum Missfallen des betagten Architekten, 17 Jahre nach seiner Fertigstellung von einem Konzertsaal in ein Opernhaus mit einer dementsprechenden Bühne umgebaut, wodurch die schmucke Konzertbühne verloren ging. Eine Besonderheit des Zuschauersaals wurde bei der Renovierung aber wieder hergestellt: Erstens hat er Fenster, zweitens mit Meerblick und drittens befinden sich auf der ihnen gegenüberliegenden Seite riesige Spiegel, die das Licht reflektieren. Seinerzeit wurden die Kasinogäste nämlich zweimal pro Tag – einmal tagsüber, einmal abends – mit kostenlosen Orchesterkonzerten verwöhnt, und da war natürliches Licht willkommen. Vor den Vorstellungen werden heute sowohl die Fenster als auch die Spiegel automatisch mit riesigen Vorhängen verschlossen – ein Unikum!

Für ein Opernhaus ungewöhnlich ist auch die Garnier’sche Fassade, dabei deuten die beiden stolz über dem Meer thronenden Türme im Stil lateinamerikanischer Barockkirchen durchaus auf einen Musentempel hin. Bunte Mosaiken mit antiken Maskenmotiven aus dem Pariser Studio von Giandomenico Facchina werten die Front zusätzlich auf, die früher außerdem mit zwei geflügelten Statuen geschmückt war. Eine davon symbolisiert den Gesang – sie steht nun versteckt über dem Bühneneingang und geht auf einen Entwurf von Sarah Bernhardt zurück. Die andere stellt den Tanz dar und ist prominent neben der Tür zur Fürstenstiege zu sehen. Wie bei monarchischen Theaterbauten üblich, steht dem Fürsten ein eigener Eingang zur Verfügung. Dafür gibt es aber einen ungewöhnlichen offiziellen Grund: Der Fürst darf nämlich nicht spielen, ebenso wenig wie alle anderen monegassische Staatsbürger. So will es das Gesetz. Wenn er eine Spielhalle betritt, müssen sämtliche Spiele unterbrochen werden. Da hilft ihm auch ein Herold nicht.

 

PDF-Download

Artikelliste dieser Ausgabe