• Talestri – Königinnen der Amazonen
  • Staatstheater Nürnberg
  • Oper von Maria Antonia Walpurgis, Saison 2022/23
  • S. 23-29

Frau, Fürstin, Amazone

Text: Wiebke Hetmanek

In: Talestri – Königinnen der Amazonen, Oper von Maria Antonia Walpurgis, Saison 2022/23, Staatstheater Nürnberg, S. 23-29 [Programmheft]

Sie waren hervorragende Reiterinnen und exzellente Bogenschützinnen, aber grausam und unerbittlich; sie tranken gegorene Stutenmilch aus den Schädeln ihrer Feinde und amputierten sich eine Brust, um besser schießen zu können; ihre männlichen Nachkommen verstümmelten sie, wenn sie sie nicht gleich töteten, und im Übrigen waren sie natürlich alle lesbisch: Das Volk der Amazonen regte und regt die Phantasie der zumeist männlichen Geschichts- und Geschichtenschreiber seit der Antike an. Kaum etwas von ihren Berichten entspricht allerdings der Realität. Auch die Amazonenkönigin Thalestris gehört wohl in das Reich der Legende, und Maria Antonias Oper hat, wie so oft, mehr mit dem 18. Jahrhundert zu tun als mit dem Volk der Skythen, mit denen die Forschung heutzutage die Amazonen in Verbindung bringen.

Antike Amazonen

In antiken Erzählungen sind Amazonen zumeist nur „exotisches Beiwerk“. Homer berichtet als einer der ersten in seiner „Illias“ von einer Begegnung mit Amazonen; die neunte Aufgabe des Herkules war es, den Gürtel der Amazonenkönigin Hippolyte zu rauben; Achill verliebt sich in der Schlacht um Troja in Penthesilea, und Jason und seine Argonauten trauen sich wegen der Gerüchte um die grausamen Amazonen nicht, an der Mündung des Thermodon zu landen. Die geografische Verortung ist bei aller Fiktion ziemlich eindeutig: Die Autoren beschreiben meistens die Gebiete nordöstlich des Mittelmeers als Amazonenterrain.

Auf zahlreichen antiken Vasen, Fresken und als Statuen findet man die Amazonen wieder: Frauen zu Pferde, meist in Kampfhandlungen verwickelt, mit Pfeil und Bogen und gemusterten Hosen. Damit waren sie dem antiken Frauenideal diametral entgegengesetzt: Hosen galten als barbarisch, Frauen zu Pferde ebenfalls, und die Tatsache, dass sie „männergleich“ handelten, war verwerflich – und barg natürlich eine erotische Komponente. Davon erzählt auch die Legende von Thalestris.

Thalestris und Alexander

Die Amazonenkönigin Thalestris soll laut Diodor im Jahre 330 v. Chr. den Makedonenkönig Alexander den Großen besucht haben. Sie habe von seiner ungeheuren Tapferkeit gehört und zog ihm, da er auf einem Feldzug in der Nähe war, mit 300 ihrer Kriegerinnen entgegen. Aber nicht, um gegen ihn zu kämpfen, sondern um mit ihm ein Kind zu zeugen. Ihre Argumente sollen bestechend gewesen sein: Er sei der tapferste Heerführer unter den Männern, sie die größte Kriegerin unter den Frauen – ihr gemeinsames Kind müsste ein ganz außergewöhnlicher Mensch werden. Das überzeugte auch Alexander, 13 Tage hielt sich Thalestris, dem Bericht nach, in seinem Lager auf, dann nahmen sie Abschied und widmeten sich wieder ihren sonstigen Aufgaben. Ob es ein gemeinsames Kind gegeben hat und was aus ihm wurde, berichtet Diodor leider nicht.

Talestri und Oronte

Diese Legende wurde schon in der Antike angezweifelt, tauchte aber immer wieder in der Alexander-Literatur auf. Im Mittelalter war ein solches Zweckbündnis natürlich undenkbar, und man dichtete eine Liebesgeschichte zwischen Alexander und Thalestris hinzu. Erst Gautier de Costes de la Calprenède löste die Figur Thalestris von Alexander und begründete einen eigenen Erzählstrang, in dem er Oronte einführte. Oronte mischt sich in Frauenkleidern unter die Amazonen und hat eine Liebesbeziehung mit Thalestris. Als das Gerücht aufkommt, die Amazonenkönigin habe eine Affäre mit Alexander, verlässt er sie aus Eifersucht. Schlussendlich ist das Paar vereint, sie heiraten, und das Amazonenreich wird aufgelöst. Auf diese Episode aus dem „Cassandre“-Roman (1644-50) von La Calprenède, der sich nachgewiesenermaßen in der Bibliothek von Maria Antonia befand, stützt sich ihr Opernlibretto. Dass sich das Amazonenreich am Ende auflöst, war für sie allerdings keine Option.

Maria Antonia Walpurgis Symphorosa von Bayern

Amazonenstoffe auf der Opernbühne waren seit Mitte des 17. Jahrhunderts populär, zur Zeit von Maria Antonia hatten sie allerdings schon ihre Hochzeit überschritten. Das freie und freizügige Spiel mit den Geschlechtern und Geschlechterrollen, wie es vielen Barockstoffen immanent ist, war einer genormten und eindeutigen Geschlechterzuordnung gewichen. Nur an Höfen, an denen Frauen regierten, hielten sich die Minerven und Amazonen ein wenig länger auf der Bühne, dienten sie doch – wie die meisten Opern – in erster Linie der Huldigung der Herrschenden. So auch am Dresdener Hof, wo Maria Antonia Walpurgis für kurze Zeit die Politik mitbestimmte – und sich mit ihrer Oper selbst huldigte.

Minerva Walpurgis

Instrumentalunterricht, Gesang und auch Komposition gehörten im 18. Jahrhundert zur Grundausbildung des europäischen Adels. Auch für Maria Antonia, in deren Familie gern und viel musiziert wurde. Aber die älteste Tochter des bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht war weit mehr als eine überdurchschnittlich begabte Dilettantin: Sie war ein Profi.

1724 auf Schloss Nymphenburg geboren, erhielt sie ihre musikalische Grundausbildung bei dem Münchner Hofkomponisten Giovanni Battista Ferrandini. Später, nach ihrer Heirat mit dem sächsischen Kurprinzen Christian Friedrich und ihrer Übersiedlung an den Dresdner Hof, setzte sie ihre Ausbildung bei den Komponisten Johann Adolf Hasse und Nicola Porpora fort. Sie lernte französisch und italienisch, betätigte sich als Übersetzerin und Schriftstellerin. Ihre Bibliothek umfasste mehrere tausend Bände. Der Malerei widmete sie sich natürlich auch: Ihr Selbstporträt als Malerin gehört heute zur Sammlung der Uffizien in Florenz. Kein Wunder also, dass Bewunderer sie gern mit Minerva gleichgesetzt haben, mit der Göttin der Weisheit und der Künste.

Sächsische Kurfürstin

Maria Antonia setzte ihre Intelligenz nicht nur für die Kunst ein, sie interessierte sich auch für Politik und übernahm an der Seite ihres Mannes Verantwortung in Regierungs - geschäften: etwa als sich nach Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs ihr Schwiegervater August III., der nicht nur Sächsischer Kurfürst, sondern auch polnischer König war, nach Warschau zurückzog und das kurprinzliche Paar an seiner Statt in Dresden regierte. Aufgrund der körperlichen Einschränkung ihres Mannes – er hatte seit seiner Kindheit gelähmte Füße – fiel Maria Antonia ein großer Teil der Aufgaben zu. Das Ehepaar war sich in seinen politischen Ansichten einig, Friedrich Christian hatte sie seinem „Geheimen politischen Tagebuch“ anvertraut: ein deutlich von den Ideen der Aufklärung geprägtes Regierungsprogramm, bei dem der Fürst dem Wohl des Volkes dient und nicht umgekehrt.

Das entsprach allerdings nicht den Ideen von August III. 1763 kehrte der Kurfürst aus dem Exil zurück. Anlässlich seiner Rückkehr organisierte Maria Antonia die Aufführung ihrer neuesten Oper „Talestri“. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt – zeigt die Oper doch kaum verhüllt ihren eigenen Machtanspruch.

Talestri – Königin der Amazonen

Die Oper, zu der Maria Antonia nicht nur die Musik, sondern auch das Libretto verfasst hatte, erzählt von den Zweifeln der designierten Amazonenkönigin Talestri. Sie zögert, den Thron zu besteigen, da sie dann laut Amazonengesetz Hass auf alle Männer schwören müsste – dabei hat sie sich doch gerade in einen verliebt: in Oronte nämlich, der entgegen den Vorstellungen in ihrer Gesellschaft nicht dominant und brutal ist, sondern friedfertig und respektvoll. Nach einigen Verwirrungen gelingt es Talestri am Ende nicht nur, die Gesetze ihrer Gesellschaft zu reformieren und damit ein friedliches Zusammenleben von Männern und Frauen zu ermöglichen, sondern auch, Königin zu bleiben. Damit verlässt sie die Tradition der Amazonenopern, die üblicherweise damit enden, dass die Frauen sterben oder die Macht ganz selbstverständlich an ihren Ehemann abgeben. Das Signal, das Maria Antonia mit diesem Schluss setzte, wird vermutlich auch August III. verstanden haben, zumal Maria Antonia in der Rolle der Talestri selbst auf der Bühne stand.

Feudale Besetzung

„Talestri“ ist nach „Il triofono della fedeltá“ (1754) die zweite Oper der Komponistin. Über ihre Entstehung wissen wir lediglich, dass das Libretto bereits 1760 gedruckt wurde. Einen Nachweis über die Fertigstellung der Partitur erhalten wir nur indirekt über die Tatsache, dass Maria Antonia im April 1763 eine Partitur an Friedrich II. geschickt hatte. Die Aufführung am Dresdner Hof 1763 ist die erste, die belegt werden kann.

Neben Maria Antonia standen weitere Adlige auf der Bühne, von dem die im Libretto abgedruckte Besetzung kündet: Antiope wurde von Prinzessin Cunigunda, jüngstes Kind des polnischen Königs, übernommen, Oronte von Gräfin Mniszech, der Tochter des Premierministers Graf von Brühl, Prinzessin Elisabeth sang Tomiri und Kammerjunker von Rechenberg den Learco. Unter den Pagen, Amazonen und Skythen tummelten sich Prinzessinnen und Prinzen, Kammerherrinnen, Grafen und Majore.

Keine Chance

Wenige Monate nach der Aufführung von „Talestri“ starb Kurfürst August III., und Friedrich Christian trat seine Nachfolge an. Seiner Ehefrau Maria Antonia übertrug er die Aufsicht über Finanzen und Verwaltung sowie die Meißener Porzellanmanufaktur. Nun hätte das Paar seine Ideen umsetzen können, doch schon gut zwei Monate nach Amtsantritt starb Christian Friedrich an den Pocken. Maria Antonia übernahm kommissarisch mit ihrem Schwager die Regierungsgeschäfte für ihren noch minderjährigen Sohn, doch das ging nicht lange gut. Nach Rivalitäten und Streitereien zog sich Maria Antonia aus der Politik zurück, offiziell. Im Hintergrund zog sie noch den ein oder anderen Faden, setzte sich gegen die Teilung Polens ein, arrangierte Ehen und korrespondierte mit Friedrich dem Großen, ebenfalls ein hervorragender Musiker. Sie starb 1780 in Dresden.

Amazonen

Amazonen hat es übrigens tatsächlich gegeben, allerdings in einer wesentlich unspektakuläreren Form, als es sich die antiken Historiker gedacht haben: Bei jüngsten Ausgrabungen in der eurasischen Steppe, wo ab dem 8. Jhd. v. Chr. die Skythen lebten, wurde entdeckt, dass nicht nur Männer mit Waffen und Schilden begraben wurden, sondern auch Frauen. Auch wiesen weibliche Skelette ebenfalls Kriegsverletzungen auf. Man geht heute davon aus, dass etwa ein Drittel der skythischen Frauen „männergleich“ an den Kämpfen teilgenommen haben. Auf eine reine Frauengesellschaft gibt es dagegen keine Hinweise.