• Salzburger Nachrichten
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  • 31. August 2019 (Auszug)
  • S. 17

Katalanische Klangwelten

Barcelona. Skulpturale Architektur, Sonne, feine Küche – die klassische Musik gilt hier jedoch noch als Geheimtipp

Text: Stephan Burianek

In: Salzburger Nachrichten, 31. August 2019 (Auszug), Salzburger Nachrichten, S. 17 [Tageszeitung]

Wie aus der Zeit gefallen wirken die vier Terrakotta-Köpfe auf der Fassade des Teatro Principal. Teilnahmslos beobachten sie die vorbeiziehende Touristenkolonne auf der Rambla in Barcelonas Innenstadt. Bereits zu Zeiten jener Persönlichkeiten, die sie darstellen, muss der Rummel auf dem berühmten Boulevard beachtlich gewesen sein. Heute haben spärliche Bekleidung und überteuerte Touristenfallen die eleganten Roben und die noblen Restaurants ersetzt. Das Teatro Principal ist nach Jahren als Nachtclub derzeit geschlossen, zeugt aber dennoch von der Stellung, die jene Musik, die wir heute als „klassisch“ bezeichnen, in der katalanischen Hauptstadt einst gehabt hat. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass María Malibran, die erste Operndiva der Musikgeschichte und einer der besagten Terrakotta-Köpfe, nie in Barcelona gesungen hat. Man könnte mit dieser Geschichte freilich auch zweihundert Meter weiter im Gran Teatre del Liceu beginnen, jenem prächtigen Opernhaus, das dem Teatro Principal bald nach seiner Eröffnung im Jahr 1849 seinen Rang ablief. Mit 2300 Sitzplätzen gilt sein Zuschauerraum nach dem der Pariser Opéra Bastille als der zweitgrößte in Europa. Zwei Mal brannte er ab, zuletzt im Winter 1994, zwei Mal wurden die fünf Zuschauerränge wieder aufgebaut. Das hübsche Spiegelfoyer blieb zum Glück von den Flammen ebenso verschont wie die mit viel Patina behafteten Räumlichkeiten des Círculo del Liceo. Bis zum Brand gehörte diesem ältesten Privatclub Spaniens das gesamte Opernhaus, doch dann musste der Staat die Restaurierung finanzieren, seither gehen Club und Opernhaus getrennte Wege. Trotzdem ist der Círculo del Liceo, der sogar über ein eigenes Restaurant verfügt, nach wie vor der exklusivste Ort der Stadt – wer in der katalanischen Hauptstadt etwas zu sagen hat, der ist dort Mitglied. An Vormittagen erhaschen Touristen bei den regulären Führungen durch das Opernhaus einen Einblick in die Clubräume, mit ihrer gewichtigen Möblierung wie ein klassisch-britischer Gentlemen’s Club.

Freilich lohnt nicht nur das Haus selbst, sondern auch die Qualität der Kunst, die dort geboten wird, den Besuch. Mehr denn je: Nach Jahren notgedrungenen Sparens unter der Leitung von Christina Scheppelmann hat ihr Nachfolger Víctor García de Gomar rechtzeitig zum 20-Jahr-Jubiläum der Wiedereröffnung des Hauses am 7. Oktober nun wieder die finanziellen Mittel für Paukenschläge. Die Saison wird mit einer neuen „Turandot“-Inszenierung von Josep Pons aus dem Künstlerkollektiv Fura dels Baus begonnen, mit der in Barcelona stets gefeierten Iréne Theorin in der Titelpartie.

Und dennoch, das musikalische Herz der katalanischen Hauptstadt schlägt in Wirklichkeit ganz woanders, nämlich nahe der Sagrada Família. Im Gegensatz zu dem bestürmten Gaudí-Langzeitprojekt, das man in der Regel nur nach einer rechtzeitigen Kartenreservierung von innen zu sehen bekommt, verirren sich nur wenige Touristen in das L’Auditori. Dabei beherbergt der funktionale Sichtbeton-Komplex, in dem sich auch die Musikhochschule befindet, ein vielfältiges und hochwertiges Musikprogramm. Im größten der dortigen Konzertsäle ist das katalanische Nationalorchester zu Hause, das Orquestra Simfònica de Barcelona i Nacional de Catalunya, wie es mit vollem Namen heißt. Seine CD-Produktionen beleuchten eindrucksvoll das reiche katalanische Œuvre, von Pau Casals, Enrique Granados, Eduard Toldrà oder Joan Manén. Neben der Musikakademie ist im L’Auditori zudem die beeindruckende Musikinstrumente-Sammlung des Musikmuseums Museu de la Música untergebracht.

Und dann ist da freilich noch der Palau de la Música. Allein im Rahmen von Führungen besucht angeblich jedes Jahr eine halbe Million Menschen diesen Musiktempel, der für seinen üppigen Jugendstil, in Katalonien „Modernisme“ genannt, berühmt ist – weit mehr, als den Konzerten beiwohnen. Dabei kann sich das Musikprogramm durchaus hören lassen. Aufgrund der im Zuschauersaal hauptsächlich eingesetzten Materialien Glas, Stein und Keramik eignet sich die beinahe kirchenähnliche Akustik des Saals vor allem für Chor- und Orgelwerke. Man sollte daher vor allem dann hingehen, wenn einer der lokalen Chöre singt – immerhin ist der Palau de la Música eigens für den Volkschor Orfeó Català gebaut worden. Seit wenigen Jahren ist außerdem die außerordentlich warm klingende Orgel wieder funktionstüchtig.

Trotz der ausländischen Besucher im Liceu und im Palau de la Música reisen nur wenige wegen der klassischen Musik nach Barcelona. Eine Kooperation von Liceu, L’Auditori und Palau de la Música namens Barcelona Obertura möchte künftig vermehrt auf die Musikstadt Barcelona aufmerksam machen. Im kommenden März wird zum mittlerweile zweiten Mal das Obertura-Frühlingsfestival stattfinden. Dann werden im Liceu Stars wie Günther Groissböck und Klaus Florian Vogt in einer Neuinszenierung von Richard Wagners „Lohengrin“ durch dessen Urenkelin Katharina Wagner zu erleben sein. Und vermutlich würde auch die Malibran heutzutage in Barcelona singen.