• Hopfen und Malz
  • Erzgebirgische Theater und Orchester
  • Unterhaltung. Uraufführung, Saison 2022/23
  • S. 9-12

Hopfen & Malz – Gedanken

Text: Daniel Behle

In: Hopfen und Malz, Unterhaltung. Uraufführung, Saison 2022/23, Erzgebirgische Theater und Orchester, S. 9-12 [Programmheft]

Bier. Mein Vater trank gerne Bier. Vielleicht manchmal auch zu viel. Aber er war immer lustig. Seine Kollegen aus dem NDR-Sinfonieorchester, jetzt Elbphilharmonie-Orchester, waren oft zum Schweinsbraten essen und Bier trinken bei uns zu Hause. Der Solotrompeter Willi Staller. Ganz Bayrisch. Ich würde mich persönlich nicht als Bierkenner bezeichnen, als Kind sowieso nicht und jetzt, naja, aber als die Idee aufkam mein erstes Bühnenwerk zu konzipieren und zu entwerfen, war ich neben der Idee, es müsse auf jeden Fall eine Operette sein, ziemlich schnell beim Gerstensaft und den lokalen Eigenarten seines Genusses. Der Norddeutsche still und „Plopp“ und der Bayer eher „z’ammen“ und mit Gesang.

2019 entwarfen meine Frau und ich die grobe Geschichte in einer Ferienwohnung in Florida – in der Nähe von Disneyland. Ohne Bier. Aber die Konzipierung und der schiere Umfang eines abendfüllenden Werkes mit Solisten, Chor und Orchester schüchterten doch sehr ein und so kam uns die Idee, dass ich mich mit einem Profi auf diesem Gebiet zusammenschließen sollte.

Alain Claude Sulzer und ich kannten uns schon länger. Wir haben uns durch den Schweizer Pianisten Oliver Schnyder kennengelernt, mit dem ich bereits viele Projekte als Tenor und Komponist bzw. Arrangeur realisieren konnte: Die „WinterreiseN“, das „Hamburg Album“ und auch „Die schönsten Weihnachtslieder“. Ich war froh, dass Alain prinzipiell Lust zu diesem Projekt hatte, auch wenn er einschränkte, doch eher im ernsten literarischen Umfeld erfahren zu sein. Das störte mich aber nicht, denn ich hatte jemanden, den ich ungehemmt zuquatschen konnte, an dem ich Ideen abschleifen durfte.

Die Arbeit begann und, wie zu erwarten, ging es langsam voran. Ich war als Sänger viel unterwegs und es blieb kaum Ruhe mir etwas auszudenken. In Bayreuth 2019 saß ich abends nach den Proben im Festspielhaus auf dem Pferdehof, meiner Unterkunft und summte, markierte mit der Stimme die ersten Teile für „Hopfen und Malz“, die ich tagsüber, während den Probenpausen im Studienzimmer am Klavier erdachte und abends in mein Notensatzprogramm hämmerte. Als Meistersinger David rumzuhüpfen, den Tannhäuser Walther zu schmettern und abends zu komponieren, erwies sich aber als körperlich zu anstrengend, so dass ich drei Wochen wegen stimmlicher Überlastung schweigend verbringen musste und gerade noch rechtzeitig zur Premiere „Tannhäuser“ am grünen Hügel wieder einigermaßen fit wurde.

Im März 2020 kam dann der Corona-Lockdown. Alain saß im Elsass fest und ich zuhause in Basel. In der vielen freien Zeit entstand schnell der Wunsch, die geschenkte Zeit kreativ zu nutzen. Sänger:innen waren nicht mehr gefragt. Soweit ich es schaffte, klingelte der Wecker also täglich um 4:45 Uhr, so dass um 5:00 Uhr am Schreibtisch mit der Arbeit begonnen werden konnte.

Viele Videotelefonate mit Alain, der inzwischen auch Blut geleckt hatte, ließen die Geschichte entstehen. Seine Ideen inspirierten meine Ideen. Er levelte meinen Hang zum Kalauer und fütterte alles mit der Prämisse, die Personen lebendig zu halten und allem eine ernste Aussage zu geben. Unser Wunsch alles umsonst haben zu müssen? Ich zahle für Brot, aber nicht für Musik? Ernste Themen? Die Freikugel in Webers Oper „Freischütz“, das Freibier aus einem Voodoofass? Geister sind immer gut! Qualität muss einen Preis haben. Das Maß, die Maß?! Mama Cervisia! Und so weiter.

Sämtliche musikalischen Skizzen, die ich zum Glück schon hatte, denn morgens um fünf hat man auch nicht immer Ideen, konnte ich konkretisieren, ausformulieren und in einen Kontext setzen. Lustige Gesangstexte verschleiern ernste Themen. Knabenwahl! Wenn viele Ideen im Kopf nach außen drängen, besteht die Gefahr, dass alles über den Abend musikalisch unzusammenhängend erscheint. Ein alter Trick der Romantiker war zu versuchen, den Situationen, Gefühlen und Personen bestimmte Motive zu geben.

Ich bin jetzt ein großer Richard Strauss Liebhaber. Ich denke, das hört man gerade bei „Hopfen und Malz“. Richard Strauss litt böse gesagt unter einer Art „Instrumentations-ADHS“. Das ist kein offizieller Terminus. Passt aber ganz gut. Da ist wirklich jeder Takt, jede Zählzeit höchst kunstvoll instrumentiert. Unterschiedlichst bunt klingend, selbst beim unwichtigsten Rezitativ und unhörbarsten Grummeln in den Bässen. Alles läuft dabei wie an einer Perlenkette in einem oft aberwitzigen Tempo ab, dass man dem Ganzen beim ersten Hören oft nur mit offenem Mund folgen kann. Diesen kunstvollen Schalk zu benutzen, zu bändigen, die Farbigkeit zu erhalten und gleichwohl nicht gar zu epigonal im tonalen Kontext zu klingen. Dieses Ziel habe ich verfolgt. Modulationen und Übergänge langweilen. Lass ich sie halt weg! Gedankensprünge und verschiedene harmonische Zentren direkt aneinander setzen – ohne Vorwarnung. 2022 sind wir in der Wahrnehmung Schnelligkeit gewohnt, mehr als vor 100 Jahren auf jeden Fall. Den Quartsextakkord – den Strauss für den emotional stärksten Akkord hielt, benutzen. Kein Musical! Also Jazzharmonik möglichst vermeiden. Wenn Swing, dann eher bei Benatzky nachschauen. Vieles leistet die sinfonische Besetzung ohne elektrische Verstärkung, um den Karren in die angedachte Richtung zu lenken. Denn: Operette muss klingen wie Operette. Das muss die Tonsprache leisten, sonst ist meiner Meinung nach das Thema verfehlt. Es braucht den sinfonischen Rhythmus. Es braucht gute Melodien, die im Ohr bleiben. Es ist in erster Linie Unterhaltungsmusik. Aber sie kann noch mehr als das. Finde ich. Sie darf berühren, sie darf ernst sein, sie darf wahrhaftig sein. Sänger singen und sprechen und spielen. Sehr anspruchsvoll. Eine völlig zu Unrecht gescholtene Gattung.

Meine abschließende Einsicht nach der Coronakrise: Am Ende ist es eh nur dann sinnvoll zu komponieren, wenn man es selber hören möchte. Also habe ich mich hier zum ersten Mal von allen Zwängen meines Studiums modern zu klingen, frei gemacht. Der eigene Geschmack entscheidet. Und außerdem: Ich bin Tenor.

An dieser Stelle möchte ich meiner Frau danken, die mir zwar eh generell den Rücken freihält, aber gerade speziell in dieser psychisch belastenden Zeit mein wichtigster Anker war.

Mit Alexander Krampe hatte ich einen weiteren Freund, der mir helfen konnte. Als begnadeter Bearbeiter und Arrangeur – unter anderem auch großer Opernliteratur für namenhafte Häuser europaweit – ist er berufsbedingt ein Meister in der Bedienung der Notationssoftware „Finale“. Er gab mir Hilfe und Unterstützung von Beginn an. Ohne seine Hilfe hätte ich die Erstellung des Materials niemals geschafft.

Nachdem Ende 2021 die letzte Note entschieden war, erstellte ich eine Musikdatei, in der ich die gesamte Oper mit allen Rollen eingesungen und gesprochen hatte. So konnte ich nebenbei entscheiden, ob die Abläufe stimmten oder die Handlung irgendwo staute. Diese Datei wurde elektronisch verschickt und Feedback eingearbeitet.

So verbesserte ich immer kleinteiliger die Partitur, bis Alexander Krampe irgendwann zu mir sagte: „Du musst jetzt mal den Deckel draufmachen!“. In einem Copyshop in München entstand 2022 die erste gedruckte Partitur und der Umfang des Unterfangens wurde mir, als dickes Buch in den Händen, deutlich. Ich trank ein Bier.

Bei einem Galakonzert für das „Hamburger Abendblatt“ in der Hamburger Elbphilharmonie lernte ich Jens Georg Bachmann, den GMD von AnnabergBuchholz kennen, der den Abend musikalisch leitete. Ihm erzählte ich von „Hopfen und Malz“ und er trug die Idee an Moritz Gogg heran. Danke Moritz, danke Jens für euer Vertrauen!


Ich widme diese Operette meinem Vater Franz, der 1996 leider viel zu früh 
verstarb.

Prost Papa!