• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 29 | Sommer 2023
  • S. 10-12

Von Salzburg in die weite Welt: nicht nur Mozart

Text: Otto Biba

In: Magazin Klassik, # 29 | Sommer 2023, Radio Klassik Stephansdom, S. 10-12 [Hörermagazin]

Salzburg hat im Laufe der Geschichte immer wieder hervorragende Musiker und Komponisten angezogen, man denke nur an Heinrich Ignaz Franz Biber, Georg Muffat oder Michael Haydn. Salzburg hat aber auch Söhne der Stadt als bedeutende Komponisten in die Welt hinausgesandt. Darauf angesprochen, denkt man vor allem an Mozart. An zwei weitere, Sigismund Neukomm und Ignaz Assmay(e)r, sei hier erinnert: Der eine ist noch viel mehr und weiter gereist als Mozart, der andere hat es tatsächlich zum Hofkapellmeister in Wien geschafft. An beide erinnern in Salzburg Gedenktafeln an ihren Geburtshäusern, aber im kollektiven musikalischen Bewusstsein der Stadt sind sie kaum präsent.

Sigismund Neukomm (1778-1858) war in seiner Heimatstadt Schüler des Domorganisten Franz Xaver Weissauer und Michael Haydns; schon in jungen Jahren war er Organist an der Universitätskirche und Korrepetitor am Theater. Neunzehnjährig zog Neukomm nach Wien, wurde dort Schüler Joseph Haydns, arrangierte für ihn Schottische Lieder mit Klaviertrio-Begleitung, die Haydn als eigene Arrangements dem britischen Verleger ablieferte und von diesem unter Haydns Namen veröffentlicht wurden, und erstellte auch die Klavierauszüge für die „Schöpfung“ und die „Jahreszeiten“. Bald unterrichtete Neukomm selbst; seine heute prominentesten Schüler in Wien waren Mozarts Söhne Franz Xaver und Carl Thomas.

1804 begann Neukomm ein künstlerisches Wanderleben: Er ging als Kapellmeister nach St. Petersburg und von dort nach vier Jahren nach Paris, als Hauspianist bei Charles-Maurice Herzog von Talleyrand-Perigord. Beim Wiener Kongreß war Talleyrand französischer Chef-Unterhändler. Als fast unschlagbarer Diplomat nahm er Neukomm nach Wien mit, um zu demonstrieren, dass Napoleon die österreichische Kaisertochter geheiratet hatte und er – lange Napoleons Außenminister – seit Jahren einen salzburgischen Musiker in seinen Diensten hat. Kriege hin, Kriege her, die Versöhnung sollte nicht so schwer sein. Neukomm stand beim Kongreß neben Beethoven im Zentrum des musikalischen Interesses. Er schrieb das Requiem für die offizielle Trauerfeier des Kongresses für Ludwig XVI., das er bei der Drucklegung aber nicht dem hingerichteten französischen König, sondern dem Andenken seiner Salzburger Lehrer Weissauer und Michael Haydn widmete. Was für ihn am wichtigsten war: Das Requiem brachte ihm von König Ludwig XVIII. den Titel eines Ritters der Ehrenlegion. Als 1816 die Verhandlungen über die Heirat der habsburgischen Erzherzogin Maria Leopoldina mit dem präsumtiven brasilianischen Kaiser Dom Pedro begannen, nahm Neukomm eine Berufung als Kapellmeister an den Kaiserhof in Rio an. Dort sorgte er für einen Aufschwung des Musiklebens, zur Freude der sehr musikalischen Maria Leopoldina bei ihrer Ankunft und bald über deren Auftrag. Nach fünf Jahren kehrte Neukomm nach Europa zurück. Seinen Freunden in Rio sagte er ein musikalisches Adieux, das der Weltmann Neukomm in Bonn veröffentlichte: Jeder sollte wissen, wo er zuletzt gewirkt hat. Er lebte nun in Frankreich, bald vorwiegend in England, kam fallweise nach Deutschland, 1842 zur Enthüllung des Mozartdenkmals nach Salzburg, wo er die musikalische Leitung der Gedenkfeiern hatte, und danach auf längere Zeit nach Wien; 1847, 1849 und 1856 war Neukomm nochmals in Salzburg und in Wien, auf den letzten beiden Reisen auch in Graz. Dass er im Winter 1834/35 sogar Nordafrika besucht und in Algier Kirchenmusik komponiert und aufgeführt hat, muss man auch noch erwähnen, wo doch der nächste namhafte europäische Komponist, der nach Algier gekommen ist, erst Camille Saint-Saëns war. Hauptsächlich war Neukomm in seinen letzten drei Lebensjahrzehnten (ohne festen Wohnsitz) in Großbritannien und in Frankreich tätig, immer auf der Suche nach Erfolg und Anerkennung, die er stets hatte, aber immer als zu wenig empfand. Geradezu tragisch ist es, wenn man in einem Brief, den Neukomm 1835 aus London nach Paris geschrieben hat, liest: „Ich habe, meines vielen Herumziehend ungeachtet, recht viel komponiert – freyl[ich] alles in engl[ischer] Sprache […] Diese meine sogenannte Anglomanie werden Sie […] gerechtfertigt finden, wenn Sie bedenken, daß ich hier […] ehrenvolle Anerkennung finde, während ich in Teutschland längst todt bin u. in Frankreich nie gelebt habe (:als Tonsetzer wohl verstanden:)“. Dieses jammervolle Selbstmitleid ist schlicht falsch oder ein Bemühen, seine fast simultanen Wirkungsstätten gegeneinander auszuspielen. Wie lebendig er in Deutschland war, zeigen seine 1837 und 1840 erfolgten Einladungen, in Mainz bei den Festen zur Enthüllung des Gutenberg-Denkmals bzw. zur Vierhundertjahrfeier der Erfindung des Buchdrucks die Musik beizusteuern und zu leiten. Es waren europaweit beachtete Festlichkeiten, weil man in dieser Erfindung Gutenbergs eine soziale Revolution gesehen hat.

1856 ist Neukomm in Paris verstorben. Stilistisch stand er zwischen den Zeiten und seines unsteten Lebens wegen auch zwischen den Regionalstilen. Dass er Mozart verehrt hat, kann man in seinem Schaffen ebenso hören, dass er in Frankreich gelebt und viele Kompositionen für England bestimmt hat. Er war aber kein Eklektiker, sondern vielgesichtig. Das von Rudolph Angermüller veröffentlichte Werkverzeichnis Neukomms zählt über 1200 Werke in allen musikalischen Gattungen. Einige von ihnen (vor allem Chor-, Kammer- und Orgelmusik) haben heute wieder zurück ins Repertoire gefunden.

Weniger aufregend verlief der Lebensweg von Ignaz Assmay(e)r (1790-1862). Nach seiner Ausbildung und ersten Anerkennungen in Salzburg (Michael Haydn soll einer seiner Lehrer gewesen sein) zog er 1815 nach Wien, wo er ergänzenden Kompositionsunterricht bei Antonio Salieri und Anton Diabelli nahm und bald zum Freundeskreis von Franz Schubert zählte; seinen Lebensunterhalt verdiente er als Musiklehrer. 1824 begann sein Aufstieg: Er übernahm als Chorregent am Wiener Schottenstift eine der attraktivsten musikalischen Positionen in Wien, so attraktiv (mit einer herrlichen Dienstwohnung), dass er sie bis an sein Lebensende behielt. Im Jahr darauf wurde Assmay(e)r zum zweiten Hoforganisten bestellt, 1838 zum zweiten Vizehofkapellmeister und 1846 zum Hofkapellmeister. Ein künstlerisches Mehr konnte man nicht erreichen.

Als Komponist war Assmay(e)r vielfach anerkannt, aber auch neidvoll beäugt. Er schrieb Oratorien, Kirchenmusik, Orchesterwerke, Kammermusik sowie Klavier und Orgelwerke. Das Verzeichnis seiner Werke von Susanne Antonicek zählt mehr als zweihundert Kompositionen. Stilistisch steht er sehr eigenständig zwischen Klassizismus und Romantik. Sein Te Deum op. 48 ist ein großartiges Werk (ein Exemplar der Partiturerstausgabe wird im Juni im Salzburger Dorotheum versteigert), seine Kammermusik steht (wie die Variationen für Klavierquintett op. 27 oder das Klaviertrio op. 41) originell zwischen Schubert und Mendelssohn, und in der Klaviermusik blickte Assmayr weit in die Zukunft, denn er war einer der ersten, die das Charakterstück gepflegt haben: Klavierstücke, die Blumen musikalisch darstellen, gab es zuvor nicht; Assmay(e)r hat sechs geschrieben. Eine bemerkenswerte Idee war es, in seinem Rondo für Violine und Klavier op. 44 die Impressionen, die er von einem Hasen hat, musikalisch auszudrücken, das Stück „Hase“ zu nennen und einen Hasen auf dem Titelblatt abzubilden. Assmay(e)r hat nur wenige Komponisten-Kollegen (und die meisten lebten später als er), die ein Klavierstück schlicht „La Pensée“ (Der Gedanke) nannten – so sein Opus 10 – und wie er in seinem „La Delicatesse“ genannten Opus 31 das Klavier in aller Kürze die Bedeutungen dieses Wortes von Zartheit über Finesse bis zu Schwierigkeit ausloten lässt, steht ohne Vergleich da.

1862 ist Assmay(e)r, der übrigens für den jungen Bruckner ein Mentor und sein Prüfer im Orgelspiel war, in Wien verstorben. Etliches aus seinem Oeuvre harrt der wohlverdienten Wiederentdeckung.

Noch ein dritter etwas jüngerer Zeitgenosse Mozarts ist als Komponist aus Salzburg in die weite Welt gezogen: Joseph Woelfl, am 24. Dezember 1773 in Salzburg geboren und 1812 in London verstorben. Da heuer im Dezember seines 250. Geburtstages zu gedenken ist, verdient er einen eigenen Artikel. Hier sei nur der Vollständigkeit halber sein Name angeführt. Neukomm und Assmayr: Keine weiteren Mozarts, aber auf ihre Art ebenfalls große Söhne Salzburgs, mit ihrem Talent musikalische Botschafter ihrer Heimat in Westeuropa, Südamerika und Nordafrika oder am Wiener Kaiserhof.


Die Geburtshäuser der beiden hier vorgestellten Komponisten in Salzburg

Sigismund Neukomm: Hagenauerplatz, Ecke Getreidegasse 10
Ignaz Assmayr: Müllner Hauptstraße 29