• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • September / Oktober 2023
  • S. 4-7

Auf los geht's los

Interview: Konrad Kuhn

In: Magazin, September / Oktober 2023, Oper Frankfurt, S. 4-7 [Publikumszeitschrift]

Im Alter von gerade mal dreißig Jahren tritt Thomas Guggeis sein Amt als Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt in der Nachfolge von Sebastian Weigle an. Im Vorfeld der ersten von ihm geleiteten Premiere und des ersten Museumskonzerts traf Dramaturg Konrad Kuhn ihn gemeinsam mit Intendant Bernd Loebe zum Gespräch. Erfahren Sie, was dem neuen GMD das Klavierspielen bedeutet und warum das, worauf er sich am meisten freut, ihm zugleich schlaflose Nächte bereitet.


Leonard Bernstein hat gesagt, Musik sei eine Sprache eigener Art, in der Dinge – vor allem Emotionen – Ausdruck finden, die man mit Worten nicht sagen kann. Können Sie sich dem anschließen?

THOMAS GUGGEIS Musik ist ein großes Geschenk. Im Musiktheater kommen natürlich mehrere Elemente zusammen. Aber auch hier gilt: Wenn die Worte versagen, kann die Musik immer noch mehr erzählen. Bei allen großen Opernkomponisten ist die Musik keine bloße Illustration des Textes; vielmehr entsteht durch sie eine eigene Ebene. Richard Strauss spricht von einem »Seelenkontrapunkt«. Auch für Richard Wagner war ganz wichtig: Die Worte kann man mit dem Verstand aufnehmen, aber die Musik geht ins Herz.

BERND LOEBE Ich habe Oper ja in einer Zeit lieben gelernt, als es noch keine Übertitel gab. Man hat sich zuvor im Opernführer informiert, ist vielleicht mehrmals in eine Aufführung gegangen. Aber die Musik hat einen meist auch ohne genaues Textverständnis spüren lassen, worum es ging. Andererseits darf man nicht vereinfachen: Musik ist nicht nur Emotion. Sie wird im Musiktheater meist sehr planvoll eingesetzt. Wenn Verdi seine letzte Oper Falstaff mit der altertümlichen Form einer Fuge beendet, was meint er damit? Zieht er ein Resümee des ganzen Abends, womöglich seines gesamten Opernschaffens? Über solche Fragen kann man lange nachdenken.

Was bedeutet für Sie das Amt des Generalmusikdirektors?

THOMAS GUGGEIS Zuallererst Chefdirigent des Orchesters zu sein; das bedeutet für mich, auf eine gemeinsame Reise zu gehen und für den jeweiligen Stil eine Sprache zu entwickeln. Als GMD trage ich zudem eine Mitverantwortung für die musikalische Qualität am Haus; das betrifft die Musiker*innen des Orchesters genauso wie die Mitglieder des Chores oder des Solistenensembles. Bernd und ich, wir tauschen uns ja jeden Tag aus, was Besetzungen und Spielpläne betrifft – aber auch über ästhetische Konzepte: Was interessiert uns? Was wollen wir erzählen? Wo stehen wir als Opernhaus? Wie können wir noch besser mit dem Publikum kommunizieren? Das ist eine spannende Aufgabe; vor allem mit einem so erfolgreichen Kreativpartner.

Auch wenn jetzt erst der Startschuss fällt: Sie beide sind schon relativ lange im Gespräch, oder?

BERND LOEBE Ich habe 2018 zufällig die Salome-Premiere an der Staatsoper in Berlin erlebt, wo Du für Christoph von Dohnányi eingesprungen bist. Daraufhin habe ich mir andere Vorstellungen angehört, denn ich wollte nach diesem sensationellen Debüt den ersten Eindruck unterfüttern. Bald danach habe ich dann Kontakt aufgenommen, und so sind wir ins Gespräch gekommen. Man muss herausfinden, ob man miteinander kann; ob man auch mal streiten kann, ohne dass dabei eine grundsätzliche Basis verlorengeht. Die war für mein Gefühl sehr schnell da, so dass sich ganz natürlich der Vorschlag ergab, Dir die Nachfolge von Sebastian Weigle anzubieten.

THOMAS GUGGEIS Es ist toll, dass wir so viel Zeit hatten, uns künstlerisch ein Bild voneinander zu machen, aber auch menschlich zueinander zu finden. Die Planungen sind ja nicht mein Kerngeschäft. Umso mehr freue ich mich, dass es jetzt losgeht; dass die Proben beginnen und wir miteinander Musik machen. Dabei setze ich darauf, eine gemeinsame Stimme zu finden. Das bedeutet, dass ich im Sinne einer Demokratisierung gerne auch rhythmische und klangliche Verantwortung abgebe an die Musiker*innen. Man muss als Dirigent natürlich eine Interpretationsrichtung vorgeben. Aber ein Orchester ist ein vielschichtiger Organismus; bei einer Opernaufführung ist es noch komplexer, da sind viele künstlerische Persönlichkeiten beteiligt. Dafür möchte ich einen Raum schaffen, mit der Idee, dass wir am Ende idealerweise in dieselbe Richtung denken. Das Ziel ist eine homogene Interpretation, in der sich jede und jeder wiederfinden kann.

Auch im Hinblick auf die Diskussionen, die im Zusammenhang mit dem Neubau der Städtischen Bühnen immer wieder über die Zukunft des Musiktheaters geführt werden: Wie sieht die Oper von morgen aus?

BERND LOEBE Die Frage des Neubaus beschäftigt uns seit 2007. Dabei geht es um große Fragen, angefangen beim Standort und der Finanzierung. Für unser Publikum, für unsere Mitarbeiter*innen und hoffentlich auch für die Stadt Frankfurt sind das wichtige Entscheidungen.

Die Debatte wird teilweise mit dem Unterton geführt: Jetzt bauen wir für viel Geld ein neues Opernhaus – wer geht in zehn, zwanzig Jahren überhaupt noch da rein?

BERND LOEBE Das halte ich für vorgeschoben. Dieses Argument habe ich schon vor dreißig Jahren gehört; genauso wie den Vorwurf, das Opernpublikum sei überaltert. Zunächst einmal: Ich habe nichts gegen ältere Menschen! Die waren auch einmal jung; vielleicht fangen die Menschen, die jetzt jung sind, dann später an, regelmäßig ins Theater und in die Oper zu gehen – abgesehen davon, dass wir viele jüngere Menschen im Publikum haben. Tatsache ist: Das Publikum ist da, die Vorstellungen sind voll. Was nicht heißt, dass wir nicht auch neue Publikumsschichten zu gewinnen versuchen. Dafür gehen wir an die Schulen, betreiben Vermittlung, Jugendarbeit, eine Vielzahl von Formaten rund herum. Oper ist keine Kunstform von gestern. Sie berührt auch heute viele Menschen zutiefst und fordert sie zugleich intellektuell heraus. Und das unabhängig davon, ob ein Werk 300 Jahre alt ist oder neu komponiert. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass es einen Nährboden für das Musiktheater gibt in dieser Stadt, und dass die Menschen auch weiterhin die Qualität anerkennen werden, die wir in den letzten zwanzig Jahren hier geboten haben.

THOMAS GUGGEIS Die Qualität muss stimmen. Wenn das Etikett, das man von außen draufklebt, nichts mit dem zu tun hat, was drinnen ist, bringt das nichts. Gerade das Interesse am Neuen, das so prägend ist für unsere Zeit, findet hier immer wieder Nahrung – sei es, was die Inszenierungen betrifft, sei es, was den Spielplan angeht. Die Neugier des Publikums, das ist geradezu ein Alleinstellungsmerkmal für Frankfurt! Und das gilt für die Entdeckung neuer Werke, die niemand kennt, wie sie hier regelmäßig möglich ist, ebenso wie für die Befragung der großen Meisterwerke, die immer wieder auf neue Weise zu uns sprechen. Ich werde natürlich auch versuchen, ein Anwalt meiner Generation zu sein, also die jüngeren Menschen anzusprechen. Ich möchte als Musiker kommunikativ sein, nach innen wie nach außen.

Obwohl Ihr Terminkalender voll ist, möchten Sie sich auch als Pianist einbringen. Woraus entspringt dieses Interesse?

THOMAS GUGGEIS Das Klavier ist mein Instrument. Ich bereite mich am Klavier vor, spiele die Partituren am Klavier durch. Dabei bekomme ich ein Gespür für die harmonischen Abläufe und für Tempoübergänge. Von daher ist das Klavier mein ständiger Begleiter. Aber es ist auch ganz wichtig für mich, nicht nur durch andere Menschen Musik zu gestalten, sondern selbst als ausübender Musiker tätig zu sein. Im kammermusikalischen Rahmen sind alle gleichberechtigt. Da kann ich die Musiker*innen des Orchesters noch mal anders kennenlernen: Was haben sie für musikalische Ideen? Gemeinsam zu musizieren ist in jedem Fall eine große Bereicherung für mich.

Gibt es etwas, worauf Sie sich in der ersten Spielzeit besonders freuen? Und etwas, was Ihnen schlaflose Nächte bereitet …?

THOMAS GUGGEIS Ich freue mich besonders auf meine Antrittspremiere! Und sie bereitet mir schlaflose Nächte … Mozarts Le nozze di Figaro ist vielleicht die beste Oper überhaupt; sie ist witzig, poetisch, menschlich, tief – der Text ist herrlich, die Konstellation der Figuren auf der Bühne, alles daran ist aufregend. Ich bin froh, dass meine erste Begegnung mit dem Orchester, dem Chor und einigen Solist*innen an der Oper Frankfurt das Mozart-Requiem war. Da hatte ich gleich ein gutes Gefühl: Wir verstehen uns! Bei Mozart muss man Farbe bekennen. Nicht, dass sofort alles klar war; es ist eher eine gemeinsame Suche, aber die Voraussetzung dafür ist Offenheit. Die Schwierigkeit besteht darin, dass bei Le nozze di Figaro jeder zu wissen glaubt, wie es geht. Also: Es ist eine Herausforderung, ein Beginn.

BERND LOEBE Ich gehe ausschließlich mit guten Gefühlen in die nächste Spielzeit: Es ist angerichtet! Neben den exponierten Neuproduktionen gibt es viel liebevolle Detailarbeit zu entdecken. Thomas wird sich schnell wie zuhause fühlen.