• Foyer5
  • Landestheater Linz
  • #28 | September / Oktober 2023
  • S. 20-21

Kneipenkultur im Querschnitt

Text: Anna Maria Jurisch

In: Foyer5, #28 | September / Oktober 2023, Landestheater Linz, S. 20-21 [Publikumszeitschrift]

Was bitte soll eine „Hamburger Bumskneipe“ sein? Und was eine Kaschemme? Kneipenkultur ähnelt sich weltweit, ist aber nicht immer ident, es lohnt sich also im Vorfeld der Premiere Zur Gold’nen Liebe, die eben in einer solchen Bumskneipe angesiedelt ist, den Blick schweifen zu lassen. Denn ganz klar: Ein Gasthaus gehört zum Leben, ein Gasthaus ist eine Art eigener Kulturtechnik, aber Gasthaus ist nicht gleich Gasthaus und dessen Bedeutung verändert sich mit der Zeit. Die klassische Kneipe im eigenen Viertel, eine Eckkneipe, wie sie beispielsweise bei Friedrich Engels beschrieben wird, gemischtes Publikum unterschiedlichsten Alters, auch unterschiedlicher sozialer Zugehörigkeiten, ist ein Phänomen der Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert. Die politische Aufladung des Wirtshauses, gerade auch in Städten, ist eng verbunden mit dem Erstarken der Arbeiterbewegung, nicht umsonst war etwa der deutsche Sozialdemokrat Friedrich Ebert vor seiner Politikkarriere auch Kneipenbesitzer in Bremen. Sein Lokal nannte sich „Zur guten Hilfe“ und war Anlaufstelle für all diejenigen,

die ihren Kummer abladen mussten, die nach Hilfe und Gemeinschaft suchten. Oder eben eine Kneipe wie bei Friedrich Engels, der die (Eck-)Kneipe als gemütlichen Gegenentwurf zur kargen Wohnung des Arbeiters portraitierte, der sich mithilfe von alkoholischen Getränken und Geselligkeit in einem Wirtshaus die Aussicht auf die harte Arbeit des nächsten Tages erträglich machte. Dabei wurde die Eckkneipe auch zum Ort politischer Entwicklung, politischen Antriebs und politischer Veränderung. Auch, aber nicht nur, für die Sozialdemokratie. Auf der Kehrseite dieser politischen Tradition stand der öffentliche Alkoholkonsum, der stets mit dem Leidensdruck der Arbeiter assoziiert wurde und als Geißel des arbeitenden Mannes galt. Hier liegt bereits das Abgründige neben dem politischen Möglichkeitsraum: Die polizeiliche Obrigkeit hatte die Arbeiterkneipen stets als Quellen gesellschaftlicher Unruhe im Blick. Die Kneipen Hamburgs wurden zeitweise von tausenden Polizeispitzeln unterlaufen, um den Gesprächen der Arbeiter zu lauschen.

Die Industrialisierung brachte die Entstehung eines urbanen Proletariats mit sich, welche für die Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts entscheidend war – auch wenn beispielsweise Otto von Bismarck sich mit dem Sozialistengesetz von 1878 klar gegen die daraus erblühende Sozialdemokratie stellte. Aber im Umkehrschluss wurde öffentlicher Raum zu einem entscheidenden Gut, das nicht beschlagnahmt, ohne Probleme verboten und auch nur bis zu einem gewissen Grad eingeschränkt werden konnte. Die Arbeiterbewegung und die Kultur der Kneipe sind untrennbar miteinander verbunden, da die Kneipe der ideale, weitestgehend schwellenlose Raum war.

Aus einer ähnlichen Tradition stammt auch das britische Pub (als Verknappung des Begriffs „Public House“), wo in Anlehnung an die Tradition der römischen Besatzer, Tavernen auf englischem Boden entstanden waren. Insbesondere durch die Ausweitung des Straßennetzes unter römischer Herrschaft, mit welcher das Reisen erleichtert wurde, waren Kultur und Lokal untrennbar miteinander verbunden. Das Pub als Ort der Einkehr ist also, anders als die Eckkneipe im Sinne der Arbeiterbewegung, nicht per se politisch aufgeladen, steht aber ein für einen tragenden Aspekt britischer Kultur: Die Zusammenkunft, gerade in ländlichen Gegenden, ohne dass an einem solchen Ort Zugangsbeschränkungen existierten. So ist das Pub gleichermaßen sozialer Kleber, als auch öffentliches Forum und in dieser Art doch wiederum verwandt mit der Arbeiterkneipe, wie Engels sie beschreibt. Gerade in der britischen Gesellschaft, gekennzeichnet durch ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein, ist das Pub, insbesondere im Viktorianischen Zeitalter, welches ebenfalls geprägt war durch die Industrialisierung und ihre Auswirkung (ein Entstehen und Erstarken einer Arbeiterklasse auch in diesen geopolitischen Kontexten), zum Ort von Gemeinschaft geworden. Auch erste Züge emanzipatorischer Bewegungen fanden, in Großbritannien wie in Mitteleuropa, ihren Ursprung in fast verschwörerischen Treffen in öffentlichen Lokalen.

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Lokale, die neben Getränken – in vielen klassischen Kneipen gab es im 19. und 20. Jahrhundert nur alkoholische Getränke – und/oder Speisen, auch Unterhaltungsprogramme anboten, häufig im Kontext wachsender Städte, die ebenfalls ein Beiwerk der Industrialisierung waren. Dabei ist ein Bumslokal, wie die titelgebende „Zur Gold’nen Liebe“ ein anrüchiges Lokal, im Fall dieser Operette angesiedelt in Hamburg, einigermaßen halbseiden, mit lautstarker Musik. Ein Tanzschuppen, aber keine Disco. Nicht, dass solche Gasthäuser keine politische Dimension hätten, sind sie doch Ausdruck einer persönlichen Freiheit im Sinne von moralischer und auch ideologischer Freizügigkeit. Diese wiederum lässt sich aus der Freiheit eines künstlerischen Ausdrucks ableiten, die gerade in kleinen Lokalen unmittelbar mit monetären Interessen verbunden waren, allerdings im Europa der Zwischenkriegsjahre, stets auch gepaart mit dem angespannten politischen Klima der Zeit. Kunst, Konsum und Politik waren nicht voneinander zu trennen, wiederum, da auch in Unterhaltungslokalen als semi-öffentlichem Raum der Sonderstatus zukam, dass neben politisierenden Gesprächen auch politisierende Kunst möglich war. Oder aber eben auch eine Form des Eskapismus, gerade infolge der zunehmend prekären Situation in den wachsenden Städten des 20. Jahrhunderts, die gezeichnet waren von außerordentlichen sozialen Diskrepanzen. Die Gleichzeitigkeit dieser Sphären zeichnet nicht nur die Lokale der Zwischenkriegsjahre aus, sondern ihre Kunst, ihre Zeitzeugnisse, ihr fragiles Balancieren. Für eine handfeste Realitätsflucht ist Musik zweifelsohne eine geeignete Untermalung, die Chansons der 1920er und 30er Jahre, die zahlreichen Kabaretts und Varietés, sind bezeichnend für ein solches Bedürfnis. Es sind gerade die drohenden Abgründe, ein potenzieller politischer Umbruch oder auch ganz persönlich die Möglichkeit eines sozialen Abstiegs, welche die Kultur des öffentlichen Lebens im frühen 20. Jahrhundert bestimmt haben. Gerade so entstand die Notwendigkeit für eine Gemeinschaft an sozial schwellenlosen, öffentlichen Orten, während die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sich tendenziell in die Privatheit des eigenen Heims zurückzuziehen scheint.

 


 

ZUR GOLD’NEN LIEBE
OPERETTE IN VIER BILDERN VON RALPH BENATZKY | TEXT VON RALPH BENATZKY, WILLI WOLFF UND MARTIN ZICKEL
In deutscher Sprache | Eine Produktion des Oberösterreichischen Opernstudios

Premiere 14. Oktober 2023
BlackBox Musiktheater

Musikalische Leitung Jinie Ka Inszenierung Gregor Horres Bühne Elisabeth Pedross Kostüme Yvonne Forster Choreografie Ilja van den Bosch Dramaturgie Anna Maria Jurisch

Mit Dominik Nekel (Emil Schramm, Kommerzienrat/Inspizient Krause), Saskia Maas (Edith, seine Tochter), Martin Enger Holm (Peter Fabricius, Komponist), Christoph Gerhardus (Hannes Birk, Librettist), Matthäus Schmidlechner (Rubin, Hausagent), Zuzana Petrasová (Mutter Mews/Frau Rembremerdinger), Sophie Bareis (Lisa), Felix Lodel (Sebastian Kiesewetter, Conférencier), Andreas Puehringer (Theaterdirektor)

Eine Band
Mitglieder der Oberösterreichischen Tanzakademie
Statisterie des Landestheaters Linz

Peter und Hannes sind verzweifelt: Sie haben eine Operette geschrieben, die Premiere steht kurz bevor, aber es fehlt noch eine waschechte Operettendiva, die für die Hauptrolle geeignet ist. Zufällig werden die beiden in einem anrüchigen Lokal auf der Hamburger Reeperbahn fündig: In der Spelunke „Zur Gold’nen Liebe“ entdecken sie Lisa, die sie kurzerhand zur falschen Operettendiva erklären. Aber auch auf dem Weg auf die Berliner Theaterbühne wird Lisa das Hamburger Nachtleben nicht los und die „Gold’ne Liebe“ scheint ihr überall hin zu folgen.

Ralph Benatzky, der viel mehr ist als Komponist von Operettenseligkeit, zeigt sich in diesem Werk von seiner frivolen, humorvollen Seite und verbindet diesen Witz mit abwechlungsreichster Unterhaltungsmusik, auch inspiriert von Jazz, Tango und Chanson.

Weitere Vorstellungen 21., 24., 28. Oktober 2023
Weitere Termine auf landestheater-linz.at

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