- Magazin Klassik
- Radio Klassik Stephansdom
- # 31 | Winter 2023
- S. 8-10
„Der Liszt von Klagenfurt“
Eduard Hanslick als Beamter, Pianist und Komponist in Klagenfurt
Text: Otto Biba
In: Magazin Klassik, # 31 | Winter 2023, Radio Klassik Stephansdom, S. 8-10 [Hörermagazin]
Niemand ahnte noch, dass er einmal als überregional beachteter Musikkritiker den Stab über Komponisten wie Interpreten brechen und der erste Ordinarius für Musikwissenschaft an der Wiener Universität sein würde: Eduard Hanslick war Jurist im Staatsdienst und als solcher im Februar 1850 von Wien nach Klagenfurt versetzt worden. Immerhin in die Hauptstadt eines Kronlandes, aber die Anreise war gar nicht so, wie man sich die Verbindung von der K.K. Haupt- und Residenzstadt Wien dorthin vorstellen würde: Mit der Eisenbahn ging es in das damals steirische Marburg (heute das slowenische Maribor) und von dort mit der Postkutsche nach Klagenfurt, wohin es noch keine Zugsverbindung gab. Dort meldete sich Hanslick als neuer „Aushülfsreferent“ beim Vorstand des Fiskalamtes, also einer Behörde, die bei Abgabenstreitigkeiten aktiv zu werden hatte.
Klagenfurt besaß damals alle noch biedermeierlichen Charakteristika einer Kleinstadt: Hanslick fand hier Handelsleute, Handwerker, Beamte, ein von Ärzten, Apothekern, Lehrern bestimmtes Bildungsbürgertum sowie niederen Adel lokaler Prägung und aus all diesen stammend eine soziale Unterschiede nivellierende Bevölkerungsschicht aktiver Kulturinteressenten. In deren Kreise wurde er aufgenommen. Mit dem K.K. Statthalter, Baron Johann Schloißnigg, spielte er vierhändig Klavier. Baron Edmund Herbert, einen Fabrikanten, begeisterte er für das vierhändige Klavierspiel, weshalb sich dieser „nach meiner Angabe“, so Hanslick, „eine schwere Menge vierhändiger Musik aus Wien kommen“ ließ. In den Familien von Moro und von Rainer wurde „lebhaft musiziert. Die jungen Herren dieser beiden, unter den Patriziern von Klagenfurt obenan stehenden Familien sangen im Quartett sehr hübsch kärntnerische Volkslieder“, die es Hanslick angetan haben. Gemeinsam mit Baron Herbert publizierte er solche, ja, er komponierte sogar eine „Fantasie über kärntnerische Volkslieder“ für Klavier, die von ihm in einem der seltenen öffentlichen Konzerte in Klagenfurt gespielt wurde. Das Beamtendasein konnte nicht Hanslicks Lebensinhalt sein, noch dazu wurde es ihm von seinem Vorgesetzten verleidet, dem alle kulturellen oder gar musikalischen Interessen fern waren. Das Musizieren in privaten Kreisen und wenige öffentliche Auftritte machten Hanslick jedoch in Klagenfurt viel Freude. „Aber nicht bloß im Hause des Statthalters, sondern in der gesamten guten Gesellschaft von Klagenfurt verhalf mir die Musik bald zu einer angenehmen, bevorzugten Stellung. Ich war der Liszt von Klagenfurt“, erinnerte sich Hanslick. Als dieser spielte er Klavier solo und vierhändig und er musizierte mit dem Landgerichtsadjunkt Franz Ruckgaber, laut Hanslick als Geiger „ohne jeden Rivalen“ in Klagenfurt, aus dessen „technisch ungepflegtem Spiel […] eine eminent musikalische Natur“ sprach: „Wir beide wurden bei den musikalischen Familien und bald auch einander unentbehrlich.“ Es gab aber nicht nur keinen zweiten vergleichbaren Geiger, sondern auch keine anderen vergleichbaren Streicher, weshalb das Streichquartettspiel nicht gepflegt werden konnte, das doch sonst, so Hanslick, „der musikalische Stamm mittlerer Städte“ sei.
In der musikliebenden Klagenfurter Gesellschaft wurden natürlich nicht nur Kärntnerlieder gesungen, sondern auch Lieder und Arien. Auch dafür ein Beispiel aus Hanslicks Memoiren: „Eine der interessantesten musikalischen Persönlichkeiten war Graf Ferdinand Egger, […[, ein alter Herr mit weißen Haaren, stets sehr elegant gekleidet und von den feinsten aristokratischen Manieren des ancien régime. Mit seiner stark verwitterten Baritonstimme, welche durch ihre meisterhafte Schulung noch immer Freude machte, wusste er Loewesche Balladen geistvoll und wirksam zu interpretieren. Ebenso anziehend war sein Vortrag italienischer Buffoarien und französischer Romanzen.“ Er „nahm nicht den mindesten Anstand, in den Konzerten, die man zeitweilig zu wohlthätigen Zwecken in Klagenfurt zu stande brachte, öffentlich aufzutreten.“
Ein öffentliches Konzertleben ging Hanslick in Klagenfurt ab, insbesondere Symphonien und Ouvertüren, Oratorien und Kantaten vermisste er. Gab es ein öffentliches Konzert, so wurde es aus wohltätigen und nicht primär künstlerischen Zwecken veranstaltet und von Liebhabern ausgeführt, die jenes Repertoire darboten, was sie auch daheim pflegten. Die Zahl der Berufsmusiker konnte man an zwei Händen abzählen: Da gab es einen einzigen professionellen Musiklehrer sowie wenige Stadtmusiker für städtische, adelige wie bürgerliche Repräsentationszwecke und Tanzveranstaltungen, ein sehr kleines Theaterorchester, das die Bezeichnung Orchester gar nicht verdiente, sowie ein paar Kirchen- und Militärmusiker, die alle weitgehend an ihre Aufgaben gebunden waren, sich nicht zu einem Orchester vereinen ließen und dafür auch zu wenig gewesen wären. „In einer Stadt, die kein Orchester, keine Virtuosen, keine Sänger von Fach besitzt“, also keine Berufssänger und keine Berufsmusiker mit einer Solistenkarriere, „darf sich niemand ausschließen, alles muß mitthun und thut gern mit.“ Ohne die Dilettanten, also ausgebildeten Musiker, aber nicht Berufsmusiker, „gäbe es“ so Hanslick, „gar keine Musik, wollten nicht die Liebhaber, ihre Scheu überwindend, damit hervortreten.“ Nur so konnte der Musiklehrer – nach seinem Selbstverständnis Musikschulinhaber Caspar Harm für die erwähnten Wohltätigkeitskonzerte gegebenenfalls einen Chor sowie ein Orchester genanntes begleitendes Instrumentalensemble zusammenstellen, und Graf Egger sogar zweimal eine Opernproduktion zustande bringen. Aber für ein von Liebhabern getragenes und vielleicht von den wenigen Berufsmusikern unterstütztes Symphonie-Konzert gab es zu wenig Musizierende. Man lernte symphonische Werke in vierhändigen Klavierauszügen kennen.
Wie damals allüberall gab es auch in Klagenfurt einen „Liedertafel“ genannten Männerchor, dessen öffentliche Konzerte für Hanslick zwar „genußreiche Abende“ waren, aber „in der starken Tendenz jeder Liedertafel zu geselligen Zwecken“ nur „eine geringe künstlerische Bildungskraft“ hatten. Dennoch: Einmal hat Hanslick in Vertretung des erkrankten Chorleiters ein Konzert der Liedertafel geleitet.
Bevor Hanslick nach Klagenfurt kam, hat er schon in Wien ein bisschen Musikpublizistik betrieben, noch weit entfernt von seiner späteren Rezensententätigkeit. Auch in Klagenfurt hat er zur Feder gegriffen, natürlich nicht als Konzertberichterstatter, sondern am 23. November 1850 in der Zeitschrift „Carinthia“ als Referent über den status quo der Musik in Klagenfurt, freilich auch als Mahner und Anreger für das, was anzustreben wäre, wie eine breite niveauvolle musikalische Ausbildung, die Etablierung eines Orchesters, die Einrichtung von Abonnementkonzerten und das Publikum musikalisch bildende Konzertprogramme. Das war viel und wurde 1874 mit der Wiederbegründung des bis heute bestehenden „Musikvereins für Kärnten“ ermöglicht, der schon 1828 nach dem Vorbild der Wiener „Gesellschaft der Musikfreunde“ entstanden war, aber seine Tätigkeiten in der Folge des Revolutionsjahres 1848 wieder einstellte. Interessant also, dass es das, was Hanslick empfahl, zumindest in Ansätzen schon einmal gegeben hat, und er in Klagenfurt den Rückfall in eine geradezu noch vorbiedermeierliche Musikkultur erleben und mittragen konnte, wie es sie nirgendwo mehr gab. Das war für ihn ein prägendes Erlebnis; mit seiner Rückkehr nach Wien bald nach Ostern 1852 fand es ein Ende. Aber es begleitete ihn nicht zuletzt mit der Kontaktpflege zu seinen Klagenfurter Musizierpartnern und tritt uns in seinen Erinnerungen geradezu verklärt entgegen.
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