• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Januar / Februar 2024
  • S. 6-7

Gauner allerorten

Text: Konrad Kuhn

In: Magazin, Januar / Februar 2024, Oper Frankfurt, S. 6-7 [Publikumszeitschrift]

Jakob, Sohn des Kantors Isaac Juda Eberst aus Köln-Deutz, der sich nach seiner früheren Heimatstadt Offenbach nannte, kam schon im Alter von 14 Jahren nach Paris. Nachdem er ein Kompositionsstudium u.a. bei Jacques Halévy absolviert und sich als Cello-Virtuose durch die Pariser Salons sowie diverse Tanz- und Theaterorchester gespielt hatte, gelang ihm an dem von ihm selbst eröffneten Théâtre des Bouffes-Parisiens 1855 mit Einaktern wie Die beiden Blinden oder Ba-ta-clan die Erschaffung eines neuen musikalischen Genres: der Operette (wörtlich: »Öperchen«). Dabei hatte er eigentlich der Opéra-comique von einst als dem »einfachen und wahren Genre« zu einer Wiedergeburt verhelfen wollen. Dazu lobte er sogar einen Kompositionswettbewerb aus. Als drei Jahre später das starre kaiserliche Privileg fiel, das die Theaterlandschaft in Paris bis dahin, nach Genres getrennt, geregelt hatte, durfte Jacques Offenbach, wie er sich seit seiner Ankunft in Paris nannte, eine abendfüllende, zweiaktige Opéra-bouffe (so die am häufigsten von ihm selbst gewählte Gattungsbezeichnung) aufführen: Orpheus in der Unterwelt.

Was sich hier als Weiterentwicklung der Opéra-comique aus Elementen der Opernparodie, der Farce, des Vaudeville, der Persiflage, der Gesellschaftssatire und der Feier eines rauschhaften Festes mit Tanzeinlagen zu einem schlüssigen, neuen Ganzen fügte, begründete endgültig den Erfolg Offenbachs, der wegen der Lage seines Theaters an der Pariser Prachtstraße der »Mozart der Champs-Élysées« genannt wurde. Offenbach war ein polyglotter Mensch. Zwischen Köln, Paris und dem Kurort Bad Ems an der Lahn, dem Tummelplatz der internationalen Haute volée, ist er dabei als Jude, trotzdem er sich hat taufen lassen, immer der Fremde geblieben – auch wenn Kaiser Napoleon III. ihm 1861 das französische Bürgerrecht verlieh. Spätestens 1870, nach der Schlacht von Sedan, war er für die Deutschen ein französischer Vaterlandsverräter und für die Franzosen ein deutscher Spion Bismarcks. Er musste sich und seine Familie aufgrund der aktuellen Ereignisse vorübergehend nach Spanien in Sicherheit bringen. Was ihn nicht daran hinderte, in Wien und New York weiterhin glänzende Erfolge zu feiern. Später kehrte er auch auf die Pariser Bühnen zurück und residierte wieder in seiner »Villa Orphée«, die er sich in der Normandie hatte bauen lassen.


An der Grenze zwischen Italien und Spanien

Offenbach, der immer viel auf Reisen war, kannte sich in der Geografie gut aus, besser aber noch in der Politik. Seine Schilderung eines (fiktiven) deutschen Kleinstaats war so überzeugend, dass die Sängerin Hortense Schneider, als sie im Kostüm einer Herzogin von Gerolstein mit ihrer Kutsche bei der Pariser Weltausstellung vorfuhr, zuvorkommender behandelt wurde als der versammelte Hochadel Europas. Und die adeligen Herrschaften stürmten sein Theater. À propos Geografie: Der zweite Akt in Offenbachs Operette Die Banditen ist in einem Wirtshaus »an der Grenze zwischen Italien und Spanien« angesiedelt. Hier soll die Delegation aus Mantua die Spanier in Empfang nehmen. Frankreich ist offenbar von der Landkarte verschwunden! Und im angrenzenden Niemandsland hausen die Räuber. Den von ihnen bewohnten Wald muss man sich ganz romantisch vorstellen: »Eine wilde, abgelegene Felsenschlucht à la Salvator Rosa«, lautet eine Regieanweisung, die auf den italienischen Landschaftsmaler aus dem 17. Jahrhundert anspielt.

Hatte Offenbach mit Orpheus in der Unterwelt und Die schöne Helena die Begeisterung des Bildungsbürgertums für die griechische Antike aufgespießt, so greift er in Die Banditen zusammen mit seinen beiden Textdichtern Henri Meilhac und Ludovic Halévy die Tradition der Räuberballaden und -opern auf. Nicht erst seit Schiller, dessen Räuber als I masnadieri in Verdis Version auch die Opernbühne bevölkerten, sorgte das Sujet beim bürgerlichen Publikum für wohlige Schauer. Christian August Vulpius schuf mit seinem Romanhelden Rinaldo Rinaldini den Prototyp des galanten Briganten, der den Damen mit seinem unwiderstehlichen Charme den Schlaf raubt. Und Daniel-François-Esprit Auber adaptierte diesen Figurentypus mit seiner Oper Fra Diavolo für Frankreich. Offenbach und seine bewährten Librettisten zeigen ihre Banditen allerdings als geradezu anständige Leute, die auf ihre Berufsehre halten. So wird der in Fiorella verliebte Fragoletto, der seine kümmerliche Existenz als Jungbauer nach dem Überfall von Falsacappas Räubern nur allzu gern an den Nagel hängt, nach bestandener Talentprobe mit einem feierlichen Ritual in lateinischer Sprache in die Bande aufgenommen, bevor man zur feuchtfröhlichen Feier schreitet. Und den Bestechungsversuch des Schatzmeisters am Hof von Mantua, der Falsacappa mit ein paar Scheinen davon abhalten will, seine betrügerischen Taten öffentlich zu machen, lehnt der Räuberhauptmann empört ab. Man ist ja nicht korrupt!


Haltet den Dieb!

Korrupt, lächerlich, dekadent oder einfach nur dämlich sind alle anderen im Stück: Die Hofschranzen aus Granada, deren geziertes Getue auf Kaiserin Eugénie, die spanische Gattin Napoleons III., anspielt, ebenso wie der Herzog von Mantua, der ein Weiberheld ist, der großsprecherische Baron von Campotasso und die trotteligen Carabinieri mit ihrem Kapitän Bramarbasso, die man stets am Stiefeltritt erkennt. Sie singen über sich selbst: »Doch wie es in der Welt so geht, / wird wirklich mal ein Ding gedreht, / kommt’s Militär / zu spät daher.«

Wo verläuft nun diese ominöse Grenze zwischen Italien und Spanien? Mit dem EU-Gegner Matteo Salvini, derzeit stellvertretender Ministerpräsident Italiens sowie Minister für nachhaltige Infrastuktur und Mobilität, könnte man polemisch sagen: Auf der Achse Berlin-Brüssel, wo immer wieder heftig über »Euro-Bonds« oder ähnliche Geldspritzen diskutiert wird. Damit sind wir mitten im Kern von Offenbachs Satire: Es geht um Staatsschulden. Wobei sich in diesem Fall herausstellt, dass Antonio, der Schatzmeister des Herzogs von Mantua, die Staatsfinanzen ungeachtet der Millionen-Schuldverschreibung an die Spanier für seine ganz persönlichen, amourösen Schwächen geplündert hat. Da konnte er beim Pariser Publikum von 1869 wahrscheinlich auf Nachsicht rechnen.

Den Räubern, die es ursprünglich unter Aufbietung hoher Verkleidungskünste – der »falsche Umhang« steckt schon im Namen ihres Anführers Falsacappa – darauf abgesehen hatten, den Spaniern die Rückzahlung des Millionen-Kredits abzugaunern, bleibt nur eines übrig: Sich als ehrliche Leute in die bürgerliche Gesellschaft einzugliedern; ihre kriminelle Energie kann mit den bei Hofe üblichen Gepflogenheiten nicht mithalten.
 



DIE BANDITEN
Jacques Offenbach 1819–1880

Opéra-bouffe in drei Akten / Text von Henri Meilhac und Ludovic Halévy / Uraufführung am 10. Dezember 1869, Théâtre des Variétés, Paris / In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

FRANKFURTER ERSTAUFFÜHRUNG 28. Januar
VORSTELLUNGEN 1., 10., 16., 18., 22. Februar / 1., 10., 15. März

MUSIKALISCHE LEITUNG Karsten Januschke INSZENIERUNG Katharina Thoma BÜHNENBILD Etienne Pluss KOSTÜME Irina Bartels CHOREOGRAFIE Katharina Wiedenhofer LICHT Olaf Winter CHOR Tilman Michael DRAMATURGIE Konrad Kuhn

FALSACAPPA Gerard Schneider PIETRO Yves Saelens CARMAGNOLA Jonathan Abernethy DOMINO Michael McCown BARBAVANO Jarrett Porter° FIORELLA Elizabeth Reiter FRAGOLETTO Kelsey Lauritano DER HERZOG VON MANTUA Peter Marsh BARON VON CAMPOTASSO Theo Lebow KAPITÄN DER CARABINIERI Magnús Baldvinsson PIPO Kudaibergen Abildin PIPA / DIE MARQUISE Cláudia Ribas° PIPETTA / DIE HERZOGIN Ekin Su Paker GRAF VON GLORIA-CASSIS Abraham Bretón° DIE PRINZESSIN VON GRANADA Juanita Lascarro ADOLPHO VON VALLADOLID Tianji Lin

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