Eine Perle unter Erbsen
Text: Martin Schönbauer
In: Foyer5, #30 | Jänner-März 2024, Landestheater Linz, S. 18-19 [Publikumszeitschrift]
Es bedarf schon einer gehörigen Portion absurder Kreativität, um auf die Idee zu kommen die adelige Herkunft einer Prinzessin mithilfe einer Erbse zu überprüfen. Wenn man dann noch bedenkt, dass es darum geht, dem Thronfolger eine geeignete Frau zu finden, dann fragt man sich schon, ob der Hofstaat dieses unbenannten Königreiches in Hans Christian Andersens Märchen Die Prinzessin auf der Erbse noch alle Tassen im Schrank hat. Wahrscheinlich würden sie in ihrem Wahn, die „perfekte“ Erbse für ihren Test finden zu wollen, glatt eine zufällig unter Erbsen befindliche wirkliche perfekte Perle wegwerfen.
Eine Perle ist jedenfalls jenes Musikmärchen, welches als Kinderoper für diese Spielzeit ausgewählt wurde. Und das liegt nicht nur an dem Werk selbst, welches die Absurdität dieser Schwiegertochtersuche so treffend überzeichnet und mit geistreicher Musik unterlegt. Es liegt auch an den beiden Urhebern, die wahrscheinlich nur jenen Menschen bekannt sind, die über ein spezielles Wissen aus Kunst-, Musik-, Film- und Fußballgeschichte verfügen.
Der Librettist Benno Elkan war nämlich kein Schriftsteller, sondern Bildhauer. Der am 2. Dezember 1877 in Dortmund geborene Sohn eines jüdischen Schneidermeisters verfolgte schon sehr früh eine Karriere als bildender Künstler. Der vielseitig interessierte Elkan hatte auch eine besondere Leidenschaft für Fußball. So kam es auch, dass er im Jahr 1900 – als er an der Münchner Kunstakademie studierte – ein Gründungsmitglied des FC Bayern München wurde. Nach mehrjährigen Studienaufenthalten in Paris und Rom ging er nach Frankfurt. Bis zu diesem Zeitpunkt war er als Gestalter eindrücklicher Grab-Skulpturen in Erscheinung getreten, doch sein Betätigungsfeld sollte sich durch namhafte und große Auftraggeber für Denkmäler, Medaillen und Büsten (unter anderen von Arturo Toscanini und Karl Valentin) erweitern.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde Elkan mit einem Berufsverbot belegt, seine Werke abmontiert oder zerstört. Er ging 1934 nach London ins Exil, wo er bis an sein Lebensende im Jahre 1960 bleiben sollte. Elkans internationalem Ruf war es zu verdanken, dass seine Karriere keinen großen Schaden nahm und er weiterhin mit lukrativen Aufträgen bedacht wurde: So bestellte der Verein Arsenal London 1949 bei ihm eine Figur (Fighting Cockerel genannt), die an Tottenham Hotspur überreicht wurde, weil Arsenal während des Krieges deren Trainingsgelände nutzen durfte. Als sein wichtigstes Werk kann die im selben Jahr in Auftrag gegebene, knapp 5 Meter hohe und 4 Meter breite Knesset-Menora angesehen werden, die gegenüber des israelischen Parlaments errichtet wurde.
Wie es zur Zusammenarbeit zwischen Benno Elkan und Ernst Toch kam, ist bisher nicht bekannt. Interessanterweise trat Elkan vor und nach der Prinzessin auf der Erbse nie wieder als Librettist in Erscheinung. Das von ihm kreierte Libretto ist jedoch eine wahre Perle. Voller Ironie überzeichnet es die Charaktere eines Königshofs, mit verqueren Vorstellungen von Stand, Familie und Heiratspolitik.
In Toch fand Elkan genau den richtigen Partner für seinen Text. Er war in der Lage, mit seiner Musik die Intention des Librettos perfekt umzusetzen. Der am 7. Dezember 1887 in Wien geborene Sohn eines jüdischen Lederhändlers hätte eigentlich Kaufmann werden sollen. Doch es kam ganz anders, da seine musikalische Ader nicht zu bändigen war. Mit 16 Jahren wurde er in die Harmonieklasse des berühmten Robert Fuchs aufgenommen. Tochs sechstes Streichquartett sollte sein Durchbruch werden – mit 18 Jahren. Nachdem ihm der „Mozart-Preis“ der Stadt Frankfurt zugesprochen wurde, wechselte er ans dortige Konservatorium. Danach begann er an der Musikhochschule Mannheim zu lehren.
Toch wurde nach dem Ersten Weltkrieg regelmäßig zu den Donaueschinger Musiktagen eingeladen. Und im Rahmen jener Musiktage wurde am 17. Juli 1927 auch Die Prinzessin auf der Erbse mit großem Erfolg uraufgeführt. 1933 sah Toch sich gezwungen, vor den Nationalsozialisten ins Exil zu gehen. Er wanderte in die USA aus, wo er sich mit Lehraufträgen an der damaligen University of Exile in New York und gelegentlichen Kompositionen von Filmmusik über Wasser halten konnte. Erst ein Umzug nach Kalifornien ermöglichte ihm ein gesichertes Einkommen als Filmkomponist, wenngleich er als Künstler mit dieser Entscheidung nur bedingt leben konnte. Dennoch wurde seine Filmmusik drei Mal für den Oscar nominiert. Er erlangte auch eine Anstellung als Professor an der University of Southern California und lehrte in den Fächern Philosophie und Musik.
Von der Filmmusik wandte er sich nach einigen Jahren ab, um sich ganz seinen eigenen künstlerischen Bedürfnissen widmen zu können. Doch an seine früheren Erfolge konnte er weder in den USA noch in Europa anknüpfen. Selbst ein 1956 gewonnener Pulitzer Preis für seine 3. Sinfonie brachte nicht den erhofften neuerlichen Durchbruch. Eingedenk dessen, dass Toch kaum mehr im Repertoire zu finden ist – abgesehen von seiner Fuge aus der Geographie – beinhaltet sein Ausspruch „ich bin der meistvergessenste Komponist des 20. Jahrhunderts“ eine bittere Wahrheit. Es ist also höchste Zeit, diese Musikperle wieder aufzuführen.
DIE PRINZESSIN AUF DER ERBSE
MUSIKMÄRCHEN IN EINEM AKT VON ERNST TOCH
Text von Benno Elkan nach dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen
In deutscher Sprache
Eine Produktion des Oberösterreichischen Opernstudios
Premiere 2. Februar 2024
BlackBox Musiktheater
Musikalische Leitung Ingmar Beck Inszenierung Martin Philipp Bühne und Kostüme Mariangela Mazzeo Dramaturgie Martin Schönbauer
Mit Felix Lodel (König), Saskia Maas (Königin), Alexandre Bianque* (Prinz), Christoph Gerhardus (Kanzler), Martin Enger Holm (Minister), Zuzana Petrasová (Amme), Sophie Bareis (Prinzessin)
* Gast der Anton Bruckner Privatuniversität
Bruckner Orchester Linz
Der Königshof ist in heller Aufregung: Keine Braut ist dem Sohn des Königs gut genug. Da erscheint auf einmal eine junge Prinzessin, in die sich der Prinz sofort verliebt. Allerdings sind sich Königin, Amme, Minister und Kanzler nicht sicher, ob diese hergelaufene Prinzessin wirklich eine Adelige ist. Man kommt überein, sie auf die Probe zu stellen. Nur wie? Da hat die Amme die zündende Idee: Eine rohe Erbse soll helfen, die Wahrheit über das Mädchen herauszukitzeln. Aber kann eine winzige Erbse wirklich die Antwort auf solch eine wichtige und große Frage geben?
Weitere Vorstellungen 4., 7., 8., 10., 11., 12., 13., 14. Februar 2024
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- Quelle:
- Foyer5
- Landestheater Linz
- #30 | Jänner-März 2024
- S. 18-19
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