Zwei Diven, die aufeinander losgelassen werden
Interview: Arne Beeker
In: Foyer5, #30 | Jänner-März 2024, Landestheater Linz, S. 22-25 [Publikumszeitschrift]
Lieber Henry, du kommst zu unserem Interview direkt vom Yoga und bist noch ein bisschen verschwitzt. Machst du Yoga, um deine Gedanken auf deine Arbeit zu fokussieren oder um Abstand zu gewinnen vom dauernden Grübeln über die nächsten Zeilen?
(lacht) Beides komischerweise. Einerseits bekommt man den Kopf frei, andererseits fallen mir gerade dann, wenn ich etwas anderes mache, Lösungen für Struktur- und Plotprobleme ein, die mich womöglich lange beschäftigt haben.
Bei deiner letzten Linzer Musical-Uraufführung Der Hase mit den Bernsteinaugen hast du mit Edmund de Waals Vorlage gearbeitet, dich dann allerdings in einer bemerkenswerten künstlerischen Auseinandersetzung doch ziemlich weit davon entfernt. Wie war es nun bei deinem Musicalthriller über Maria Stuart und Elisabeth I.? Hast du z. B. Schiller adaptiert, oder bist du ganz deinen eigenen Weg gegangen?
Ich liebe den Schiller sehr, habe ihn aber tatsächlich nicht mehr gelesen. Wir wussten von Anfang an, dass wir etwas anderes vorhatten, weil Schillers Ansatz, alles, was zu Marias Enthauptung geführt hat, in Dialogen kurz vor ihrem Tod abzuhandeln, im Musical nicht geht – die bloße Erzählung reicht nicht. Bei Hase war es einfacher; die Struktur der Geschichte war mehr oder minder vorgegeben. Unser Kniff damals war, den recherchierenden Autor als Erzählerfigur und als Bindeglied für die unterschiedlichen Geschichten einzuführen. Bei Königinnen war es schwieriger, weil man sich diese unglaubliche Masse an historischen Begebenheiten erst einmal erarbeiten muss.
Die Vorgänge sind umstritten, z. B.: War Maria Stuart Mitwisserin oder gar Mittäterin beim Mord an ihrem zweiten Mann Darnley? Hatte sie bereits vor dem Mord eine Affäre mit ihrem späteren dritten Ehemann Bothwell? Wir lassen das im Musical bewusst offen. Elisabeths Berater Cecil sagt im Stück: „Es geht nicht um die Wahrheit, nur um die Wahrnehmung.“ Wie heute waren auch damals nicht die Fakten entscheidend, sondern das „Branding“.
Das Thema für ein neues Musical wählt man ja sicher mit viel Bedacht, weil man eine sehr lange Zeit damit beschäftigt sein wird. Wie lief die Themenwahl bei Die Königinnen?
Ich hatte die Idee dazu schon vor 15 Jahren. Damals wollte ich fürs Jugendtheater ein Schauspiel über Maria und Elisabeth schreiben. Damals trieb mich religiöser Terrorismus um, ein Phänomen, das damals heiß diskutiert wurde. Letztlich waren die jesuitischen „Terroristen“, die im Namen Maria Stuarts versucht haben, Elisabeth zu ermorden, ja auch religiöse Fundamentalisten. Als wir dann nach einer Musicalidee gesucht haben, hat mich [Komponist] Thomas Zaufke an diesen Gedanken erinnert. Und: Zwei große Diven, die aufeinander losgelassen werden, das ist natürlich großartiges Musicalmaterial. Wir mussten nur einen Weg finden, eine Geschichte über zwei Frauen zu erzählen, die sich im realen Leben nie getroffen haben.
Da habt ihr einen schönen Kunstgriff gefunden, indem ihr die beiden meist retrospektiv oder über Briefe miteinander diskutieren lasst.
Die eine Königin ist bei der jeweils anderen ständig im Kopf präsent, und das funktioniert als theatralische Behauptung wunderbar. Auch bei Hase haben wir Figuren miteinander sprechen lassen, die einander nie begegnet sind, ja, die zeitlich teilweise Generationen voneinander entfernt waren. Bei Königinnen erschaffen wir einen gemeinsamen „Erinnerungsraum“, in dem wir zu Gast sind, und haben dadurch die Möglichkeit, die beiden Frauen kommentieren zu lassen, was ihnen selbst oder der jeweils anderen passiert ist.
Zur Recherche: Du hast mehrere Regalmeter Sekundärliteratur zu Maria Stuart und Elisabeth I. angehäuft. Es ist sicher nicht immer einfach, das ausufernde Wissen zu einem knapp dreistündigen Musical zu verdichten.
In diesem Fall war das wirklich nicht einfach. Direkt vor der Pause kommt der Mord an Marias zweitem Ehemann. Der erste Akt erklärt im Wesentlichen, wie es dazu kam, und im zweiten Akt werden die Folgen des Mordes dargestellt. Alles hängt mit allem zusammen. Geopolitisch befinden wir uns in einem Spannungsfeld zwischen England, Schottland und Frankreich, dazu kommen die religiösen Kontroversen zwischen Katholiken und Protestanten und die persönlichen Differenzen der zentralen Figuren – und all das ist nicht immer logisch miteinander verbunden. Ich musste ständig entscheiden: Was ist wichtig? Was kann man weglassen? Was kann man der Dramaturgie zuliebe anpassen, ohne der Wahrheit Unrecht zu tun? Sehr hilfreich war, dass Thomas immer gefragt hat, brauchen wir das wirklich, dass du, Matthias [Davids] und Simon immer gefragt haben, ob wir dies oder das wirklich brauchen; dass der Stückentwicklungsworkshop uns offenbart hat, hier und da ist die Erzählweise zu detailliert. Also: Kill your darlings! Es ist ein bisschen wie bei der Bildhauerei: Am Anfang hat man einen großen Marmorblock, von dem muss man nur die richtige Menge weghauen – nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel.
Du hast schon des Öfteren mit Thomas Zaufke zusammengearbeitet. Die alte Frage: Zuerst die Worte, oder zuerst die Musik?
Bei mir und Thomas sind es meistens zuerst die Worte. Wir arbeiten allerdings bei der Konzeption von Musiknummern sehr eng zusammen. Wir klären gemeinsam vorher, welche Funktion eine Nummer im Stück und für die Figuren hat, ob es sich eher um eine Uptempo- oder lyrische Nummer handelt, dass sich die „Temperaturen“ der Nummern erkennbar unterscheiden usw. Wir haben uns z. B. darauf geeinigt, für das „Babington-Komplott“ einen Fünfvierteltakt zu verwenden, das ist eckig, das ist spannend – das weiß ich dann schon beim Texten, ehe Thomas die Melodie erfindet. Inzwischen kennen wir uns so gut, dass wir auch nicht mehr gar zu höflich miteinander zu sein brauchen.
Du bist ein Tausendsassa. Auf deiner Homepage bezeichnest du dich als „Autor und Regisseur“, was nur teilweise stimmt, denn du bist auch Übersetzer, Schauspieler, Sänger, Germanist, Festivalgründer, du warst Künstlerischer Leiter des u\hof:s und Oberspielleiter am Theater der Jugend Wien ... Eine freche Frage: Was versuchst du mit so viel Arbeit zu vergessen?
(lacht) Den Tod wahrscheinlich. Den Zustand des Planeten oder der Demokratie? Meine eigenen Unzulänglichkeiten? Da gibt’s eine lange Liste. Die richtige Balance zwischen der Arbeit und anderen Dingen zu finden, das ist tatsächlich nicht einfach.
Gibt es einen beruflichen Traum, den du dir noch erfüllen möchtest?
(nach längerem Nachdenken) Ich habe es meist so genommen, wie es kam. Was mir aber wirklich wahnsinnig viel Spaß macht, ist die Arbeit mit Thomas. Uns fällt eigentlich immer etwas Neues ein. Und vielleicht: Mein erster Roman ist fast fertig und liegt gerade in der Schublade.
Also war die Liste doch noch nicht komplett: Romanautor bist du auch!
Unveröffentlichter Romanautor ... und wer ist das nicht? (lacht) Mein Fokus liegt jedenfalls auf dem Schreiben. Mit dem Inszenieren verdiene ich meine Brötchen, aber das Schreiben ist Leidenschaft und Herausforderung.
Das weiße Blatt – macht es dir Angst?
Nein, eigentlich nicht. Man muss sich einfach hinsetzen und etwas hinschreiben. Wenn man damit herumspielt, entwickelt sich schon etwas Brauchbares. Obwohl ich sonst oft unsicher bin, beim Schreiben bewege ich mich irgendwie ... traumwandlerisch. Ich mache mich auf, dann kommen die Ideen und wollen von mir realisiert werden.
Maria Stuart und Elisabeth I. sind starke, schillernde Frauen, macht- und statusbewusst, aber oft vom Schicksal getrieben. Welche Aspekte lassen sich der Geschichte in einem Musical noch hinzufügen, die nicht schon von anderen Menschen behandelt worden sind?
Was beim Musical schön ist: Die Erzählweise ist dynamischer als in anderen Genres. Im Musical ist man relativ wendig, man kann schnell, plastisch und spannend eine Idee von den unglaublichen Biografien dieser beiden Frauen vermitteln, ohne akademisch zu werden.
Als Regisseur arbeitest du sowohl im Musical als auch in der Oper. Wie ist dein Verhältnis zu den beiden Genres? Siehst du eine scharfe Grenze, oder ist beides für dich schlicht Musiktheater?
Na ja, Oper und Musical sind schon sehr unterschiedlich. Mein Verhältnis zur Oper ist gespalten. Ich bin Sohn zweier Opernsänger:innen, mein Bruder ist Opernsänger, und ich bin quasi das schwarze Schaf. Mich persönlich interessiert das heute noch aufgeführte Opernrepertoire des 19. Jahrhunderts nicht so sehr – man muss es ständig neu interpretieren, damit es spannend bleibt. Ich meine auch, Theater muss unterhaltend und verständlich und darf trotzdem anspruchsvoll sein. Die Trennung von E und U im deutschsprachigen Raum – alles in mir rebelliert gegen diese künstliche Unterscheidung.
Zum Schluss: Wie leer fühlt man sich, wenn man die Arbeit an einem Mammutprojekt wie Die Königinnen abgeschlossen hat?
Ich war nach der Abgabe tatsächlich ein bisschen traurig, vor allem aber wegen der erfüllenden Zusammenarbeit mit Thomas. Andererseits war ich sehr glücklich, dass ich nicht selbst inszeniere, sondern Simon, und ich freue mich wahnsinnig darauf zu erleben, was er und sein Team aus dem Stück machen werden.
- Quelle:
- Foyer5
- Landestheater Linz
- #30 | Jänner-März 2024
- S. 22-25
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