• Blütenzeit. Blossom Time
  • Erzgebirgische Theater und Orchester
  • Saison 2017/18
  • S. 10-11

Vom Wiener Singspiel zur Amerikanischen Operette

Text: Annelen Hasselwander

In: Blütenzeit. Blossom Time, Saison 2017/18, Erzgebirgische Theater und Orchester, S. 10-11 [Programmheft]

Am 15. Januar 1916, mitten im 1. Weltkrieg, kam am Wiener Raimundtheater „Das Dreimäderlhaus“ zur Uraufführung, ein Singspiel in drei Akten von Alfred Maria Willner und Heinz Reichert, mit Musik nach Franz Schubert, für die Bühne bearbeitet von Heinrich Berté; es sollte nach der „Fledermaus“ die erfolgreichste Operette aller Zeiten werden. Das Dreimäderlhaus gibt es tatsächlich; es wurde 1803 auf der Mölker Bastei erbaut, dort, wo einst die Stadtmauer verlief, gleich gegenüber des Universitäts-Hauptgebäudes. Franz Schubert soll eine Zeit lang in der Nachbarschaft gewohnt haben und die drei Töchter des dort lebenden Glasermeisters Tschöll sehr nett gefunden haben. Aus dieser – nicht belegten – Geschichte machte Rudolf Hans Bartsch 1912 den Schubert-Roman „Schwammerl“, der von der unglückliche Liebe des armen und schüchternen Komponisten zu Hannerl Tschöll, der Jüngsten aus dem Dreimädelhaus, erzählt. Auf der Grundlage dieses Romans entstand im Auftrag von Wilhelm Karczag, der in der Silbernen Operetten-Ära alle drei wichtigen Wiener Operettenhäuser besaß, das Libretto von Willner und Reichert. Der Auftrag für die Musik ging an Heinrich Berté, der seit Jahren erfolglos versuchte, sich als Operettenkomponist durchzusetzen; seit 1891 hatte er neun Operetten geschrieben, von denen keine ein Publikumserfolg wurde. Seine Musik zur „Schwammerl“-Operette wurde von Karczag abgelehnt, woraufhin er in einem zweiten Anlauf ausschließlich Schubert-Kompositionen für das bestellte Singspiel verwendete – und damit den einzigen großen Erfolg seines Lebens hatte.

Nach der Uraufführung im Januar wurde schon im April 1916 die 100. Vorstellung gegeben; im Dezember 1917 folgte die 600., jetzt mit fünf parallel spielenden Schubert-Darstellern. 1927 zählte man die 1.100. Vorstellung in Wien. Das Stück wurde, in 22 Sprachen übersetzt und in mehr als 60 Ländern gespielt, ein Welterfolg. In London kam es 1922 in einer ersten englischsprachigen Bearbeitung durch den australischen Komponisten George Howard Clutsam unter dem Titel „Lilac Time“ auf die Bühne des Lyric Theatres. Drei Verfilmungen, eine Stummfilmversion aus dem Jahr 1917 von Richard Oswald, 1936 ein erster Tonfilm mit Paul Hörbiger als Franz Schubert, und ein Film aus 1958 in der Regie von Ernst Marischka mit Karlheinz Böhm als Schubert, Rudolf Schock als Schober, Johanna Matz als Hannerl und Gustav Knuth und Magda Schneider als Tschöll-Eltern, machten „Das Dreimäderlhaus“ noch populärer.

In Amerika gab die Produktionsgesellschaft „Shubert Brothers“, deren Erfolgsgeheimnis ein sicheres Gespür für erfolgreiche Stoffe war, den Auftrag für eine amerikanische Broadway-Adaption des „Dreimäderlhaus“ an Dorothy Donnelly und Sigmund Romberg. Das Ergebnis, „Blossom Time“, in dem das Hauptmotiv aus Schuberts 8., Unvollendeter Symphonie zur Melodie des Hauptschlagers „Song of Love“ geworden ist, schrieb die Erfolgsgeschichte weiter: Nach 592 Vorstellungen in Folge am „Ambassador Theater“ begann eine lange Serie von Tourneen und Aufführungen in ganz Nord-Amerika, bevor das Stück 1924 zum Broadway zurückkehrte und dort bis 1943 immer wieder erfolgreich auf den Spielplänen erschien. In der Verfilmung von „Blossom Time“ aus dem Jahr 1934 spielte Richard Tauber den Franz Schubert.

Die Idee, die Liebesdramen von Komponisten auf die Theaterbühne zu bringen, war 1916 nicht mehr neu; so hatte es schon 1864 eine Schubert-Operette von Franz von Suppé gegeben. Dem Triumph des „Dreimäderlhaus“ folgte eine Welle von Stücken, die die Lieben von Offenbach, Chopin, Mendelssohn, Grieg, Tschaikowski oder Schumann zum Thema hatten. Aber keines davon war auch nur annähernd so erfolgreich wie „Das Dreimäderlhaus“ und „Blossom Time“.