• Don Giovanni
  • Staatstheater Nürnberg
  • Oper von Wolfgang Amadeus Mozart, Saison 2023/24
  • S. 13-15

Ein Liebesbrief an Don Giovanni

Text: Vera Nemirova

In: Don Giovanni, Oper von Wolfgang Amadeus Mozart, Saison 2023/24, Staatstheater Nürnberg, S. 13-15 [Programmheft]

Warte… Lauf nicht gleich weg. Bleib auf ein Wort. Giovanni… bitte… ich bin’s. Deine geheime Freundin. Du kennst mich nicht. Oder vielleicht doch? Gestern dachte ich schon, Du würdest jetzt für immer bleiben. Aber nein. Kaum habe ich mich an den Duft Deines Körpers gewöhnt, kaum habe ich das verborgene Muttermal entdeckt, kaum den Klang Deiner Stimme unter Tausenden erkannt, da warst Du wieder entschwunden. Du bist ein Tier. So ungemein stolz, grausam und scheu. Unsere Begegnung hat in mir einen Abgrund aufgerissen, zu den verborgensten Träumen und Ängsten, denen ich nun ganz ohne Scheu begegnen kann. Du hast die Grenzen zwischen mir und den Anderen aufgelöst, denn ich selbst bin jetzt eine Andere. Ich erlebe alles intensiver: ob es die Schönheit der Nacht ist, sternenklar, das tosende Meer, das mich trägt, das endlose Blau. Reife Früchte platzen auf, der Wein strömt, ein Füllhorn an verschwenderischem Genuss... Ja. Du liebst es, lange zu frühstücken. Keine Seltenheit, dass das Hotelpersonal schon besorgt nach uns gefragt hat, wenn wir ganze 72 Stunden das Zimmer nicht mehr verlassen haben.

Lass mich Dir erzählen, was aus unseren Freunden geworden ist, nachdem Du gegangen bist.

Giovanni. Du Scheusal. Von den 1003 Eroberungen in Spanien war Elvira nicht die leichteste Beute. Sie hat Dich verfolgt – besessen von der obsessiven Sucht nach Dir. Wir töten, was wir lieben, heißt es in einem alten Lied. Sie hat bis zum bitteren Ende um Dich gekämpft. Doch auch sie hat Dich ausgeliefert. Das Kloster wird ihr auch keine Zuflucht sein. Denn man kann vor seinen Erinnerungen nicht flüchten.

Von Anna und Ottavio hörte ich, dass sie sich getrennt haben. In der Nacht, als Du in Annas Zimmer eingedrungen bist und ihr Vater zu Tode gekommen ist, da haben sich ihre Zweifel, ob Ottavio der richtige Partner für sie ist, endgültig verhärtet. Ottavios unglückliche Versuche, Anna auf der Trauerfeier ihres Vaters einen Heiratsantrag zu machen und einen Rachefeldzug gegen Dich, Giovanni, zu schüren, haben ihr zu erkennen gegeben, dass er sie nur benutzen will, um Karriere zu machen und den Platz des Vaters bei ihr und in der Gesellschaft einzunehmen. „Ich bin Dir nun Vater und Gatte zugleich!“

Arme Anna, was für eine starke Frau. Sie wird es schon schaffen, alleine. Und „vielleicht wird ihr der Himmel eines Tages verzeihen…“, dass sie sich in der Nacht mit Dir zur Sklavin ihrer Lust gemacht hat. Dass sie damit ihren Vater in den Tod gestoßen hat. Und Ottavio in die Einsamkeit.

Ach, ja, und Zerlina ist Mutter geworden! Sie haben mit Masetto die Hochzeit nachgeholt… das Kind braucht doch einen Vater. Masetto hat sich im Griff. Seine unvermittelten Aggressionen, die körperliche und psychische Gewalt, die sich letztlich gegen ihn selbst richtete, als er seine Freundin beschimpfte und schlug, haben sich gelegt. Er trägt den Jungen gern auf den Schultern, der Dir so ungemein ähnlich sieht, und es macht ihm nichts aus. Der kleine Giovanni ist ein Kind der Liebe.

Zerlina hat aus der Begegnung mit Dir erfahren, wie sie ihren Masetto lehren kann, sie als Frau wahrzunehmen. Sie hat ihn buchstäblich um den Finger gewickelt. Sie alle haben Dich gebraucht, um etwas über sich selbst und das Verhältnis zu ihren Liebsten zu lernen. Du, Giovanni, bist die treibende Kraft für alles Verborgene. Für die Lust und den Schmerz. Für den Genuss und den Tod.

Zu ihm bist Du gegangen. Du hast ihn nicht gescheut. Wie Mozart, dein Schöpfer, seinem Vater über den Tod schrieb: „… so habe ich mich seit ein Paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht allein nichts schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel beruhigendes und tröstendes“. Du bist darauf eingegangen. Ohne Unterschrift. Nur mit einem ehrlichen Handschlag. Der Tod war dein einziger Freund, der Dir, gefallenem Engel, die Hand gereicht hat.

„Nein“ war dein letztes Wort, Unbeugsamer, als man von Dir verlangte, Dich zu ändern. Leb wohl, geliebter Giovanni. Auch ich werde Dich nie vergessen.

Deine geheime Freundin

PS: Gestern habe ich Leporello gesehen! Er sitzt immer noch in der Osteria, betrinkt sich mit teurem Rotwein und sucht einen neuen Arbeitgeber. Es wird sicher nicht einfach für ihn, einen zu finden.

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