Verschlüsselte Sehnsüchte
Text: Konrad Kuhn
In: Magazin, März / April 2024, Oper Frankfurt, S. 6-7 [Publikumszeitschrift]
Schon Mitte der 1920er Jahre trug sich der spanische Dichter Federico García Lorca mit der Idee zu einem Kammerspiel, inspiriert von dem grotesken Drama Le cocu magnifique (Der gewaltige Hahnrei) des belgischen Dichters Fernand Crommelynck. Darin entwickelt die Hauptfigur Bruno so große Ängste davor, von seiner Frau betrogen zu werden, dass er sie schließlich dazu drängt, genau das zu tun, damit er endlich Gewissheit hat – und zwar mit allen Männern im Dorf. Berühmt geworden war das Stück durch die Inszenierung von Wsewolod Meyerhold 1922 in Moskau, der damit auf einer konstruktivistischen Bühne seine später als »Biomechanik« bekannt gewordene Technik eines körperbetonten Theaters erprobte. Lorcas ursprünglich für die Aufführung durch die Theatertruppe El Caracol (»Die Schnecke«) vorgesehener Text wurde jedoch 1929 als »unmoralisch« von der spanischen Zensur verboten. Alle gedruckten Exemplare wurden vernichtet. Der Dichter aus Granada rekonstruierte das Werk auf einer Reise in die USA aus dem Gedächtnis. In dieser Fassung wurde Amor de Don Perlimplín con Belisa en su jardín 1933 am Teatro español in Madrid uraufgeführt.
Lorca nennt sein Kammerspiel »Aleluya erótica«. Diese Bezeichnung geht auf die Tradition der katholischen Kirche zurück, Heiligenbildchen mit einem Zweizeiler zu verbinden, der mit einem »Halleluja« endet. Der Ausdruck hat sich im Spanischen auch für profane Darstellungen eingebürgert, die man im Deutschen als »Bilderbogen« bezeichnen kann. Ausgangspunkt für seinen »erotischen Bilderbogen« war für den Dichter die von Crommelynck abgeleitete grotesk-komische Setzung. Lorcas Beschäftigung mit dem Marionettentheater und dem Grand Guignol flossen ein. Im Verlauf der Arbeit an seinem Drama kamen surreale Elemente hinzu. So imaginiert der Text als Bühnenbild u.a. »grüne Wände, auf die schwarze Stühle und Möbel gemalt sind« oder, für das Esszimmer, »wunderbar schiefe Perspektiven«. An anderer Stelle ziehen »Schwärme von Papiervögeln« vorbei. Lorca war mit zwei der wichtigsten Exponenten des Surrealismus in Spanien befreundet: Luis Buñuel und Salvador Dalí; diese beiden schufen 1929 den experimentellen Film Un chien andalou.
Von der Komödie zum Seelendrama
Je weiter das Stück fortschreitet, desto mehr wandelt sich der komödienhafte Ton in ein poetisches Seelendrama. Es geht um die Sehnsüchte und Ängste der beiden Hauptfiguren Don Perlimplín und Belisa. Da der eingefleischte Junggeselle den erotischen Begierden seiner jungen Braut offenbar nicht gerecht werden kann, erfindet der inzwischen von Liebe zu ihr erfüllte Don einen Liebhaber, der immer gerade um die Ecke verschwindet, wenn Belisa ihn unter ihrem Balkon entdeckt. Der Ehemann spielt ihr die Briefe des vermeintlichen Galans zu und schürt damit ihre Liebe zu dem Unbekannten. Das Ende ist tragisch: Don Perlimplín gibt vor, Belisa beim Rendezvous mit ihrem Geliebten im Garten zu überraschen, um sich dann selbst als der imaginäre Jüngling mit der roten Capa zu erkennen zu geben – nachdem er sich den Dolch des scheinbar gehörnten Ehemanns in die eigene Brust gestoßen hat. Hat er damit etwa die Liebe Belisas errungen und nimmt sie mit ins Grab?
Auf einer weiteren theatralischen Ebene begegnen uns zwei Koboldchen, die wie in Brechts Epischem Theater das Publikum direkt ansprechen und das Geschehen in der Hochzeitsnacht hinter einem Tuch verbergen. Dazu geben sie zu bedenken: »Der Mensch, der alles offen sieht, sich um Entdecken nicht bemüht.« Für die Regisseurin Dorothea Kirschbaum ist dies ein entscheidender Satz: »Damit stellen die beiden Kobolde dem Publikum (und der Regie) eine Aufgabe. Wir sind aufgefordert, uns anzustrengen, mitzudenken, zu entdecken, was an verborgenen Wünschen, verschlüsselten Sehnsüchten, geheimen Gedanken versteckt ist, und dabei nicht immer den konventionellen, ›üblichen‹ Wegen zu folgen. Das bezieht sich nicht allein auf das Bühnengeschehen, es schwingen auch Erfahrungen aus der persönlichen Lebenswelt sowohl des Autors Federico García Lorca als auch Wolfgang Fortners mit, der das Drama 30 Jahre nach seiner Entstehung wortwörtlich vertont hat.«
Der 1907 geborene Wolfgang Fortner war ebenso wie der neun Jahre ältere Lorca homosexuell. Zu Beginn seiner Laufbahn sah sich der Komponist Vorwürfen von Seiten der Nazis ausgesetzt, die ihn als »Kulturbolschewisten« beschimpften. Nach 1933 passte er sich der herrschenden Ideologie an, trat in die NSDAP ein und bekleidete öffentliche Ämter. Vielleicht auch, um sich von seiner Vergangenheit als Mitläufer des Regimes zu befreien, knüpfte er nach 1945 an die während des »Dritten Reichs« in Deutschland verbotene Moderne an und wandte sich der Zwölftonmusik zu. 1946 gehörte er zu dem Kreis, der die Kranichsteiner (später Darmstädter) Ferienkurse ins Leben rief. Zudem leitete er die Konzertreihe Musica viva in München. 1954 wurde er zum Professor für Komposition berufen, zunächst in Detmold, ab 1957 dann an der Musikhochschule in Freiburg im Breisgau. Als Lehrer war er sehr einflussreich; zu seinen Schülern zählen u.a. Hans Werner Henze, Wolfgang Rihm, Hans Zender und Bernd Alois Zimmermann.
Duftige Klangfarben
1957 hatte Fortner Lorcas Drama Bluthochzeit vertont – über zwei Jahrzehnte, nachdem der berühmte Dichter von den spanischen Faschisten ermordet worden war. Für die Schwetzinger Festspiele griff er vier Jahre später Don Perlimplín auf; seine Vertonung kam dort 1962 unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch in einer Inszenierung von Oscar Fritz Schuh zur Uraufführung. Schon Lorca hatte für sein Sprechdrama Musik vorgesehen – neben den ausdrücklich als Lied ausgewiesenen Passagen stellte er sich ein Klavier sowie Gitarrenmusik und Flöten vor. Für die Gartenszene bei Mondschein ist in der Regieanweisung von einer »Serenade« die Rede. Bei der Uraufführung des Theaterstücks wurden Scarlatti-Sonaten auf dem Cembalo gespielt. Fortners Partitur verarbeitet diese Vorgaben des Textdichters. Auf bzw. hinter der Bühne kommen ein Cembalo und eine Flöte zum Einsatz. Im Orchester gibt es neben Streichern und Bläsern eine Gitarre sowie Celesta, Vibraphon, Xylophon, Harfe und Schlagwerk, das u.a. mit Bongos und Kastagnetten aufwartet. So wird der Höreindruck weniger von der zwölftönigen Konstruktion bestimmt als von den duftigen Klangfarben, die ein aus dem Off singender Chor ergänzt. Das Werk ist in letzter Zeit äußerst selten zur Aufführung gelangt. Gelegenheit, eine Kammeroper von ganz eigenem Reiz kennenzulernen!
IN SEINEM GARTEN LIEBT DON PERLIMPLÍN BELISA
Wolfgang Fortner 1907–1987
Vier Bilder eines erotischen Bilderbogens in der Art eines Kammerspiels / Text von Federico García Lorca / Uraufführung 1962, Schlosstheater Schwetzingen / In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
FRANKFURTER SZENISCHE ERSTAUFFÜHRUNG 22. März, Bockenheimer Depot
VORSTELLUNGEN 24., 27., 30. März / 2., 4., 7. April
MUSIKALISCHE LEITUNG Takeshi Moriuchi INSZENIERUNG Dorothea Kirschbaum BÜHNENBILD Christoph Fischer KOSTÜME Henriette Hübschmann CHOREOGRAFIE Gal Fefferman LICHT Jonathan Pickers DRAMATURGIE Konrad Kuhn
DON PERLIMPLÍN Sebastian Geyer BELISA Karolina Bengtsson MARCOLFA Karolina Makuła BELISAS MUTTER Anna Nekhames ERSTES KOBOLDCHEN Idil Kutay° ZWEITES KOBOLDCHEN Ursula Hensges
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