Premiere Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg
Ein willkommener Sündenbock
Text: Maximilian Enderle
In: Magazin, März / April 2024, Oper Frankfurt, S. 18-19 [Publikumszeitschrift]
Wohl kaum eine Oper ist von derart starken Dualismen geprägt wie Richard Wagners Tannhäuser: Erotik und Hohe Liebe, Exzess und Entsagung, Individualität und Konformismus treten darin in einen dialektischen Widerstreit. Versinnbildlicht werden diese Extreme in einer Titelfigur, die laut Wagner »nie und nirgends etwas nur ein wenig, sondern alles voll und ganz ist«. Erst der Tod vermag es, Tannhäusers innere Ambivalenzen aufzuheben.
Mit ihrem Erlösungsschluss steht die Oper ebenso in der Tradition der deutschen Romantik wie durch das mittelalterliche Sujet. Literarisch kühn verband Wagner im Libretto zwei unabhängige Sagenkreise: die Legende von Tannhäuser und dem Venusberg sowie die historischen Figuren der Heiligen Elisabeth und des Minnesängers Heinrich von Ofterdingen. Um die Volkstümlichkeit seines Werkes zu betonen, verschleierte der Komponist, dass er dabei auf literarische Quellen von Autoren wie E.T.A. Hoffmann, Ludwig Tieck oder Heinrich Heine zurückgegriffen hatte. Stattdessen behauptete er, der Stoff sei ihm in Form eines »Volksbuchs vom Tannhäuser« zugefallen.
Überraschenderweise konzipierte Wagner diese vermeintlich urdeutsche Geschichte während seines Paris-Aufenthaltes in den Jahren 1839 bis 1842. Maßgebliche Inspirationen erhielt er dabei von der Grand opéra eines Giacomo Meyerbeer oder Fromental Halévy: Die mittelalterliche Vergangenheit diente beiden Komponisten ebenfalls als Spiegel ihrer politisch ambivalenten Epoche; genretypische Chortableaus und intime Arienformen wie die Preghiera griff Wagner in seiner Tannhäuser-Partitur unmittelbar auf. Dass er auch diese Traditionslinie im Zuge seiner späteren Meyerbeer-Anfeindungen verleugnete, mag kaum verwundern.
Kunst und Revolution
Die französische Hauptstadt beeinflusste den Komponisten sowohl in ästhetischer als auch in ideeller Hinsicht. Die Leiden eines mittellosen Proletariats erfuhr Wagner in Paris am eigenen Leib. Gestützt auf die Lektüre französischer Frühsozialisten, ließ ihn dies immer kritischer gegenüber dem politischen Status Quo werden. Nachdem der Komponist nach Dresden umsiedelte, brachte er dort Rienzi (1842) und Tannhäuser (1845) zur Uraufführung, trat aber auch vermehrt mit revolutionären Schriften an die Öffentlichkeit. Die Neuorganisation der Theater propagierte er dabei ebenso vehement wie eine grundlegende Umwälzung der Besitz- und Machtverhältnisse.
Wagners Engagement gipfelte in der aktiven Teilnahme an den Dresdner Maiaufständen von 1849. Der Komponist war dabei als Kämpfer auf den Barrikaden sowie als Kommunikator hinter den Frontlinien aktiv. Um einer Verhaftung zu entgehen, floh er schließlich über Chemnitz und Weimar ins Schweizer Exil. Seine politischen Anliegen flossen in die Idee des »Gesamtkunstwerkes« ein, die Wagner in seinen Zürcher Kunstschriften (1849–1851) ausformulierte: Das Musikdrama der Zukunft sollte nicht nur verschiedene Kunstformen zusammenführen, sondern auch die Gesellschaft im Sinne einer Vereinigung freier Individuen umgestalten.
Eine solche Veränderung erscheint in Tannhäuser lange Zeit undenkbar. Der Fokus des Werkes liegt vielmehr auf den Kräften, die einer individuellen Lebensgestaltung entgegenwirken. Besonders zum Vorschein treten diese im Sängerkrieg des zweiten Aktes: Unter dem Vorsitz des Landgrafen ergründen die Minnesänger das »Wesen der Liebe«. Von den betont keuschen Äußerungen seiner Kollegen angestachelt, prahlt Tannhäuser schließlich mit seinem Aufenthalt im Venusberg. Damit zieht er den Hass einer Gemeinschaft auf sich, die ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse verdrängt und die Liebesgöttin in ein Schattendasein im Hörselberg verbannt hatte.
Bei aller Lust am Dissens verfolgt Tannhäuser jedoch kein politisches Kalkül. Eher wird er aufgrund seiner offen propagierten Sinnlichkeit selbst zum Politikum. Weitaus aktiver agiert Elisabeth, die mit allen Mitteln versucht, Tannhäusers sensualistisches Liebesideal moralisch zu legitimieren. Durch ihre finale Fürsprache bei der Jungfrau Maria erreicht sie zumindest einen Punktsieg: Ein gütiger Gott kassiert den päpstlichen Bannfluch und befreit den verstorbenen Tannhäuser vom Stigma der Sünde.
Grauen und Ekstase
Musikalisch stellte Tannhäuser für Wagner einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Musikdrama dar. Einerseits ist die Partitur noch stark von der romantischen Nummernoper geprägt, was sich etwa in Wolframs »Lied an den Abendstern« oder Elisabeths »Hallenarie« zeigt. Andererseits weist gerade Tannhäusers vielgliedrige »Romerzählung« durch ihre enge Verzahnung von Musik und Sprache auf spätere Werke des Komponisten voraus.
Die Rastlosigkeit des Protagonisten, die in dieser Passage exemplarisch zur Geltung kommt, korrespondiert mit Wagners permanenten Überarbeitungen der Partitur. Der kommenden Neuproduktion liegt die Wiener Fassung von 1875 zugrunde, welche wiederum die Änderungen der Pariser Version von 1861 aufgreift: Die Eingangsszene zwischen Tannhäuser und Venus ist darin um ein orgiastisches Bacchanal erweitert und hörbar von der kurz zuvor vollendeten Tristan-Partitur beeinflusst. Der Komponist notierte dazu: »Jetzt, wo ich Isoldes letzte Verklärung geschrieben, konnte ich erst das Grauen dieses Venusberges finden.«
Tatsächlich werden die Gefilde der Liebesgöttin von allerhand mythologischen Figuren bevölkert, die verschiedene Spielarten des Erotischen verkörpern. Ursprünglich wollte Richard Wagner dabei sogar die rituelle Opferung eines Bockes darstellen. Und wenngleich dieser Moment letztlich verworfen wurde, steht er doch symbolisch für den Umgang der Wartburg-Gesellschaft mit Tannhäuser: In einer polarisierten Zeit wird der unangepasste Künstler zum willkommenen Sündenbock.
TANNHÄUSER UND DER SÄNGERKRIEG AUF WARTBURG
Richard Wagner 1813–1883
Romantische Oper in drei Aufzügen / Text vom Komponisten / Uraufführung 1845, Hoftheater Dresden / In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
PREMIERE 28. April
VORSTELLUNGEN 1., 5., 11., 20., 30. Mai / 2. Juni
MUSIKALISCHE LEITUNG Thomas Guggeis INSZENIERUNG Matthew Wild BÜHNEN- BILD Herbert Murauer KOSTÜME Raphaela Rose CHOREOGRAFIE Louisa Talbot LICHT Jan Hartmann VIDEO Clemens Walter CHOR Tilman Michael DRAMATURGIE Maximilian Enderle
TANNHÄUSER Marco Jentzsch ELISABETH Christina Nilsson VENUS Dshamilja Kaiser WOLFRAM VON ESCHENBACH Domen Križaj LANDGRAF HERMANN Andreas Bauer Kanabas WALTHER VON DER VOGELWEIDE Magnus Dietrich BITEROLF Erik van Heyningen HEINRICH DER SCHREIBER Michael Porter REINMAR VON ZWETER Magnús Baldvinsson EIN JUNGER HIRT Karolina Bengtsson
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