• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 32 | Frühling 2024
  • S. 50-51

Künstler im Melodram

Rational lässt sich menschliche Kreativität kaum nachvollziehen und beschreiben. Umso mehr beflügelt sie die Fantasie

Text: Stefan Schmidl

In: Magazin Klassik, # 32 | Frühling 2024, Radio Klassik Stephansdom, S. 50-51 [Hörermagazin]

Denn welche Umstände, welche Voraussetzungen haben zur Inspiration bedeutender Kunst geführt? Kaum kann man sich begreiflich machen, dass sie lediglich das Produkt prosaischer Arbeit sein sollen. Viel verlockender ist es, sie sich als Ergebnis dramatischer Umstände zu erklären. Und darin liegt der Kern aller erzählenden Medien, die sich mit Leben und Werk berühmter Künstler auseinandersetzen. Das fiktive Element steht dabei im Vordergrund. Es war der Renaissancemeister Giorgio Vasari, der mit seinen Leben der hervorragendsten Maler, Bildhauer und Architekten (1550/1568) die Blaupause dafür lieferte. Schon in diesen Erzählungen halten sich Anekdotenhaftes, Erfundenes und aus anderen literarischen Quellen Übernommenes und Tatsächliches die Waage.

Entscheidend an Vasaris Lebensgeschichten war die Ununterscheidbarkeit dieser drei Textsorten. Dadurch befruchteten sich Dichtung und Wahrheit gegenseitig: Die Dichtung wurde plausibel und die Wahrheit dramatischer. Dieser Wirkung bedienten sich Literaten mit Vorliebe, man denke an Eduard Mörikes Mozart auf der Reise nach Prag. Nicht immer wurde allerdings die Balance gewahrt. So konnte es zu einem Ausufern der Fiktion kommen, wie in Rudolf Hans Bartschs immens erfolgreichem Roman Schwammerl, der das fatale Klischeebild Schuberts als rundlichem Gemütsmenschen im Liebesunglück verbreitete. Ungeachtet dessen wurden Künstler nicht nur in der Literatur, sondern zunehmend in anderen Medien zum Thema, etwa auf dem Gebiet des Musiktheaters. Zum Beispiel dienten die abenteuerlichen Biografien von Alessandro Stradella und Benvenuto Cellini gleich mehrfach als Stoff von Opern. Natürlich gelangte auch Mozart auf die Bühne: Nikolai Rimski-Korsakow vertonte dessen vermeintliche Vergiftung durch seinen Erzrivalen Salieri 1898.

Es ist denkwürdig, dass man Künstlerlegenden sogar zum Gegenstand von Programmmusik machte, die ja eigentlich vorzugsweise Sujets der Weltliteratur vorbehalten war. Zeugnis dafür ist die symphonische Dichtung Eine Episode aus dem Leben Schuberts, die Michail Ippolitow-Iwanow 1928 komponierte. Inhalt des Werks ist die anekdotenhafte Szene, in der Schubert als Fackelträger beim Begräbnis Beethovens fungiert und dabei seinen eigenen Tod antizipiert. Ähnlich gestaltet ist Sergei Ljapunows Orchesterwerk Zelazowa Wola (1909), in dem der Komponist versuchte, mit symphonischen Mitteln die Aura von Chopins Geburtsort einzufangen.

Vollends entfalten konnten sich Künstlermythen schließlich im Film. Das Zusammenwirken von Erzählung, Bild und Musik vermittelte dem Publikum das Gefühl des Miterlebens und verankerte damit Stereotypen tief im kollektiven Bewusstsein: Schuberts Liebesunglück, Schumanns Wahnsinn, Mozarts Infantilität, Beethovens Ringen mit seiner Taubheit, Liszts schillerndes Virtuosentum, Chopins melancholische Romanze mit George Sand. Dem Erlebnis all dieser Leinwandszenen wohnte selbstverständlich eine unleugbar voyeuristische Facette inne, die manches Mal überhandnahm. Erst zuletzt interessierte sich Maestro (2023) weitaus mehr für Leonard Bernsteins Bixsexualität als für seine Musik.

Ansonsten konnte man im Künstlerfilm gewissermaßen aus der Schlüssellochperspektive neben Privatem vor allem Momente der Inspiration erleben und somit Zeuge von Kreativität werden: Wenn etwa Michelangelo alias Charlton Heston in Inferno und Ekstase (1965) am Himmel die göttliche Vision der Erschaffung Adams sieht, wenn Vincent van Gogh alias Kirk Douglas in Ein Leben in Leidenschaft (1955) eruptiv im Kornfeld malt oder wenn Mozart alias Tom Hulce in Amadeus (1984) geradezu beiläufig einen Marsch Salieris in das berühmte „Non più andrai“ verwandelt.

Die Vorstellungen, die das Kino hier offeriert, verdichten die Frage nach künstlerischer Gestaltungskraft zu dramatischen Momenten und wollen sie dadurch begreifbar machen. Das Gleiche lässt sich auch in Hinsicht auf die filmmusikalische Perspektive des Künstlermelodrams sagen. Denn dort waltet nämlich ebenfalls der Gesichtspunkt, die Entstehung von Kunst nachvollziehbar und verständlich zu machen und ihre Bedeutung zu betonen. Die Rolle von Adaptionen kanonischer Werke in Musikerfilmen ist daher nicht hoch genug einzuschätzen. Nur in höchst seltenen Ausnahmefällen wurde anders verfahren, um dem Außergewöhnlichen kreativen Geister Nachdruck zu verleihen. So wird interessanterweise in der Filmmusik von Träumerei (1944) nicht Schumanns Musik verarbeitet, sondern in seinem Stil neu komponiert – ganz im Sinne des berühmten Bonmots „Se non è vero, è molto ben trovato“. Das lässt sich aber insgesamt über das Künstlermelodram sagen.

 

Radiotipp: Träume, Illusionen, Gefühle 

Musik im Kino, ausgewählt und präsentiert von Stefan Schmidl. Mythenproduktion – Künstler im Melodram

20. Mai 2024, 14.00 Uhr  (DaCapo 30. Mai 2024, 19.00 Uhr)