• »Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt«. Aus der Volksoper vertrieben – Künstlerschicksale 1938
  • Amalthea Verlag
  • 2. Auflage, 2023 (Auszug)
  • S. 22-25

Jara Beneš und die Jazz-Operette, das Schreckgespenst der Nazis

Text: Marie-Theres Arnbom

In: »Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt«. Aus der Volksoper vertrieben – Künstlerschicksale 1938, 2. Auflage, 2023 (Auszug), Amalthea Verlag, S. 22-25 [Buch]

Komponisten wie Paul Abraham, Oscar Straus, Jara Beneš, Bruno Granichstaedten sorgen dafür, dass die Operette am Puls der Zeit bleibt, modere Tanzmusik aus Übersee wird sofort verarbeitet und integriert, die Orchester um neue Instrumente wie Saxophon, Banjo oder umfangreiches Schlagwerk erweitert. 1930 präsentiert Bruno Granichstaedten seine Operette Reklame am Theater an der Wien – erstmals ist eine Jazz-Band in die Partitur integriert. Im Programmheft folgt die Erklärung: „Man mag über die Jazzmusik denken wie man will. In einem Punkt sind sich ihre Feinde und Freunde einig: sie hat der Musik ganz gewaltige Anregungen gegeben, neue Klangfarben, neue Rhythmen und eine Renaissance der bereits als abgetan verschrienen Melodie. Den symphonischen Jazz führt der Komponist zu noch nie dagewesenen Höhen, bringt er zu eigenartigster musikalischer Wirkung. Man kann mit Recht sagen, daß hier das modernste Werk der Operette geschaffen wurde, und dennoch nur im Rahmen der guten alten Wiener Schule.“

Diesem Prinzip folgt auch Jara Beneš: Mit Der gütige Antonius erlebt er am 23. Dezember 1935 seinen Durchbruch an der Volksoper, bis April 1936 begeistert das neue Werk Publikum und Presse. Bis zu diesem Zeitpunkt sind Beneš’ Werke nur auf tschechischen Bühnen gespielt worden, er ist also für das Wiener Publikum eine gern gesehene Neuentdeckung. Den Text der drei Beneš-Operetten bearbeiten Fritz Löhner-Beda und Hugo Wiener – ein gutes und erfolgversprechendes Team. „Es muß also nicht mehr unbedingt ein Lehár, ein Kálmán oder ein Abraham sein. Herr Jara Beneš hat gezeigt, daß er es auch kann“, schreibt die Wiener Sonn- und Montagszeitung am 20. Jänner 1936. Beneš ist mit einem Satz in die erste Liga aufgerückt – sein Erfolg, der so vielversprechend in Wien begonnen hat, wird nur zwei Jahre anhalten. Danach finden sich seine Stücke noch ganz selten auf tschechischen Bühnen, in Österreich und Deutschland wird er totgeschwiegen. Zwar ist der Komponist selbst nicht jüdisch, die beiden jüdischen Librettisten reichen für einen Boykott der Revuen.

„Selbstverständlich hat das Dritte Reich die typisch jüdische und stark verjazzte Operette allmählich ausschalten müssen mit dem sehr erfreulichen Ergebnis, daß die Operettentheater aller großen und kleineren Städte, wo der arische Operettenkomponist gepflegt wird, nach wie vor volle Häuser zeigen.“ Mit diesem Geleitwort zu Reclams Operettenführer zieht Hans Severus Ziegler im Jahr 1939 einen Schlussstrich unter eines der erfolgreichsten Kapitel der Operettengeschichte. Er ist es auch, der in der Wanderausstellung Entartete Musik den Jazz ebenso verteufelt wie die Werke der Zweiten Wiener Schule, aus der viele der an der Volksoper tätige Künstler hervorgehen. 

In Deutschland werden all diese Werke ab der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Jänner 1933 ohnehin nicht mehr gespielt – weder auf der Bühne noch im Radio. Bereits im April 1933 verbannt Radio Berlin den Jazz aus all seinen Programmen, zwei Jahre später wird dieses Verbot für das gesamte Reichsgebiet übernommen. „Nichts Atonales, keine Fremdeinflüsse, keinen Swing, keine lateinamerikanischen Tänze, keine Hottentottenrhythmen der Nigger“, verkündet Eugen Hadumovsky entschlossen in seinem 1934 erschienenen Buch Dein Rundfunk. Das Rundfunkbuch für alle Volksgenossen. Damit bricht der größte Absatzmarkt für Werke, die den Vorstellungen der Nazis nicht entsprechen, weg, was Künstler, Verleger und Theaterdirektoren in große Bedrängnis stürzt.

Die Volksoper setzt in diesen schwierigen Jahren mit Recht auf den Erfolg von Revuen und Operetten: Jara Beneš’ Werke stehen in einer Reihe mit Sie, Johann …!, einer Operette aus der Feder Fritz Grünbaums und Ernst Behrends, mit Musik von Paul Weiß, mit Ralph Benatzkys Herzen im Schnee und Robert Stolz’ Die Reise um die Erde. Das Genre bringt dem Haus Publikum und gute Presse und macht es zum letzten Hort der Operette in Wien. 

Bis zum 12. März 1938, dem Tag des „Anschlusses“, steht Gruß und Kuß aus der Wachau auf dem Spielplan, am Sonntag, dem 13. März, gibt es keine Vorstellung. Ab 14. März ist das Werk wieder zu sehen – als wäre nichts geschehen. Bereits am 15. März verkünden die Zeitungen in großen Lettern „Direktionswechsel in der Volksoper“, und die Zeitung Arbeitersturm überschlägt sich förmlich. In einem Artikel mit dem Titel Kampf dem Judentum wird von ersten Verhaftungen berichtet: „Jede von diesen dunklen Gestalten muß aus seinem behaglichen Leben herausgerissen werden. Menschen, die ihr Leben lang von der Ausbeutung des Gastvolkes gelebt haben, gehören in das Sammellager. Sie sollen einmal in ihrem Leben arbeiten müssen, ohne irgend einen ‚Rebbach‘ zu haben. Nationalsozialisten, seid auf der Wacht! Wer gegen Deutschland ist, dem werden wir das Handwerk legen.“ Dagegen klingt der folgende Satz unter der Überschrift Die jüdischen Komödianten müssen verschwinden fast harmlos: „Aus der Volksoper werden die Juden Ernest, ein Rumäne, und Kowalevsky auszuscheiden haben.“ Jean Ernest kann nach New York flüchten, aber nicht an seine Erfolge als Bariton und Direktor anschließen. Alexander Kowalewski überlebt den Krieg in Frankreich – nähere Umstände bleiben im Dunkeln. 

Neuer Direktor der Volksoper wird der langjährige Vizedirektor Fritz Köchl gemeinsam mit dem Obmann der Betriebszellenorganisation, dem Geiger Hans Frauendienst. „Gruß und Kuß aus der Wachau bleibt im Repertoire“, steht am 16. März lakonisch in der Zeitung. Bis zum 17. Mai steht die Operette auf dem Programm, dann wird sie durch die Operette Der ewige Walzer des regimekonformen Heinrich Strecker ersetzt. 

Um Jara Beneš wird es bald still. Wenige Aufführungen finden sich nach 1938, er verschwindet aus den Zeitungen. 1939 spielt das Centraltheater Dresden Auf der grünen Wiese, als Librettist ist V. Tolarsky angegeben, der die ursprüngliche tschechische Fassung geschrieben hat. Die deutschsprachige Fassung von Löhner-Beda und Wiener bleibt natürlich unerwähnt, stattdessen stehen Bruno Hardt-Warden und Rudolf Köller als Bearbeiter in der Ankündigung – die beiden haben auch das Libretto zu Der ewige Walzer verfasst. Die schmissigen, flotten Jara-Beneš-Klänge haben keinen Platz mehr in den Nazispielplänen, er muss das Ende des Krieges abwarten, um wieder aufgeführt zu werden. Am 30. April 1947 kommt es zu einer kleinen Renaissance, im Theater am Schönbrunnertor wird Auf der grünen Wiese gespielt, am 1. August 1947 dirigiert der Komponist eine weitere Aufführung an den Kammerspielen. Zwei Jahre später stirbt Jara Beneš nur 52-jährig in Wien – und mit ihm auch seine Werke, die völlig in Vergessenheit geraten sind.