• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 33 | Sommer 2024
  • S. 16-17

Haydn am Offizierstisch und Esterháza in Eisenstadt

Text: Otto Biba

In: Magazin Klassik, # 33 | Sommer 2024, Radio Klassik Stephansdom, S. 16-17 [Hörermagazin]

Ein „Officier“ sei nicht unbedingt ein „Befehlshaber über Soldaten“, sondern auch ein „vornehmer“ Mitarbeiter „der Großen“, erklärt ein Wörterbuch aus dem Jahr 1803. Auch ältere Wörterbücher unterscheiden zwischen einem „Haus-Officier“ und einem Militär in höherem Dienstrang.

Solche vornehmen Mitarbeiter am Fürstlich Esterházyschen Hof waren auch die Mitglieder der Hofmusikkapelle. In Haydns Anstellungsvertrag als Vizehofkapellmeister aus dem Jahr 1761 heißt es ausdrücklich, dass er „als ein haus-Officier angesehen“ wird, mit allen Rechten und Pflichten. Neben dem Gehalt erhielt er Essen am „Officier Tisch oder ein halben gulden des Tags-Kostgeld“. Auch dem im selben Jahr angestellte Oboisten Michael Kapfer wurde versichert, dass er als Haus-Offizier gelten und die diesem adäquate Verpflegung erhalten werde.

Im Jahr 1779 wurde der Anstellungsvertrag für Haydn, der inzwischen längst zum Hofkapellmeister geworden war, revidiert. Jetzt war nur mehr das Kostgeld vorgesehen, nicht mehr die Verpflegung bei Hof. Die Gedanken der Aufklärung gaben den gehobenen Mitarbeitern mehr Individualität. Die Wertschätzung des Künstlers durch den Hof kam aber dennoch zum Ausdruck: Haydn erhielt als Deputat jährlich 9 Eimer, das sind ca. 500 Liter oder pro Tag ziemlich genau zwei Bouteillen, „Officier-Wein“, während der in diesem Jahr angestellte Konzertmeister Luigi Tomasini nur „Wein“ bekam. Auch das Futter für die beiden Pferde der als Status-Symbol geltenden eigenen Kutsche Haydns wurde vom Fürsten beigestellt.

Wer in der Diensthierarchie eines Hofes ein höherer Angestellter war, der zu den Haus-Offizieren gezählt wurde, kann man in den Akten fast jeder Hofhaltung erkennen. Jüngst hat die Beethoven-Forschung deutlich herausgearbeitet, dass auch das Hofkapellmitglied Ludwig van Beethoven am kurkölnischen Hof zu Bonn diesen Haus-Offiziersrang hatte.

Alle Schlagworte von „Bedienten-Musikern“, von der Livrée, die sie tragen mussten, sind also obsolet. Die von manchen Biografen fälschlich so genannte Livrée war eine Offiziersuniform, die später auch Beamten-Uniform genannt wurde und noch von Anton Bruckner am Wiener Hof getragen wurde.

Aber wer war noch Haus-Offizier? Ich könnte aus Akten zitieren, zitiere aber lieber aus einem Brief Mozarts. Als 1781 der Salzburger Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo mit seinem Hofstaat und ausgewählten Mitgliedern seiner Kapelle in Wien weilte, galt für Mozart die am Salzburger Hof gültige Regelung für Dienstreisen: Mittags gab es eine Offizierstafel, abends ein Kostgeld. Mozart saß mit zwei Kammerdienern (wegen ihres permanenten Umgangs mit dem Fürsten überhaupt die angesehensten Angestellten), zwei Köchen (wegen der Möglichkeit einer absichtlichen oder unabsichtlichen Vergiftung die vertrauensvollsten Positionen am Hof), dem Zuckerbäcker (der als Künstler galt) und zwei weiteren Mitgliedern der Hofkapelle am Offizierstisch: also vier höchstrangige Mitarbeiter und vier Künstler. In Unkenntnis der höfischen Rangordnung bzw. des Ranges von Mozarts Tischgenossen, in Unkenntnis des Ranges eines Haus-Offiziers bzw. der Einrichtung des Offizierstisches und ohne Vergleich mit der Situation an anderen Höfen wie dem Eisenstädter oder Bonner, wurde in der Literatur Mozarts Platz neben den Kammerdienern, den Köchen und dem Zuckerbäcker fast immer als despektierliche Behandlung durch den Fürsten dargestellt. Tatsächlich war Mozarts Platz am Offizierstisch und in dieser Gesellschaft die größtmögliche soziale Anerkennung innerhalb des Hofes.

An diesem falschen Bild war Mozart freilich mit beteiligt, denn in seinem Bemühen, unter allen Umständen vom Vater Verständnis dafür zu finden, dass er die feste Anstellung am Salzburger Hof quittieren und freiberuflich als Klavierlehrer in Wien leben wollte, hat er am Salzburger Hofleben alles schlecht gemacht und auch bei seiner Beschreibung der Offizierstafel in Wien in einem Brief an den Vater nicht mit kritischen Untertönen gespart. Vater Leopold hat sich wohl seinen Teil gedacht, aber es längst aufgegeben, seinen Sohn zu beschwichtigen oder zu korrigieren. Wie es mit dem angeblichen Fußtritt für Mozart war, ist ein anderes Thema, das nicht hierher gehört.

In Eisenstadt hatte Haydn keinen Grund, seine Anerkennung als Haus-Offizier, die Offizierstafel oder den Offizierswein ins Negative zu wenden. In der reich bestickten Uniform (im Winter eine wärmere, im Sommer eine leichtere) ließ er sich sogar malen.

Neben seiner Tätigkeit als Hof-Kapellmeister war Haydn auch Organist an der Stadtpfarrkirche, den der Fürst als Patronatsherr finanzierte, nicht in Geld, sondern in Naturalien. Für diesen Organistendienst gab es nochmals 9 Eimer Wein jährlich, aber nicht den dem Kapellmeister zustehenden Offizierswein, sondern gewöhnlichen, sowie Weizen, Korn, Gries, Rindfleisch, Schweinefleisch, Schmalz, Kraut, Rüben, Salz, Kerzen und Brennholz. – Der Organist bekam den Lebensunterhalt in Naturalien, der Kapellmeister und Haus-Offizier einen Gehalt zur gefälligen Verwendung, die Tafel oder ein Kostgeld. Für den Doppelverdiener Haydn war nicht eines minder als das andere, sondern die Kombination ideal.